KÖLN. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Bundesregierung vor einer erheblichen Mißbrauchsgefahr beim Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan gewarnt. Das geht aus einem internen Vermerk der Abteilung 6 („Islamismus und islamistischer Terrorismus“) des Inlandsnachrichtendienstes hervor, über den der Business Insider am Sonntag berichtete.
Das Programm war aufgelegt worden, nachdem die Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 die Macht übernommen hatten. Es sieht die Aufnahme von Personen vor, die etwa wegen ihres Eintretens für Demokratie in Afghanistan besonders gefährdet sein sollen oder die zum Beispiel wegen ihrer sexuellen Orientierung eine spezifische Verfolgung erfahren. Es ist von anderen Verfahren abzugrenzen, etwa dem Ortskräfteverfahren.
Die Vorauswahl der Personen erfolgt dabei durch Nichtregierungsorganisationen, die die Bundesregierung nicht öffentlich benennt. Der Leiter der Abteilung 6 des Verfassungsschutzes, Klaus Rogner, bezeichnet diese „Verlagerung von staatlichen Aufgaben auf nicht staatliche Organisationen mit eigener politischer Agenda“ in dem erwähnten Vermerk als problematisch. Es bestehe die Gefahr, „daß eine Einflußnahme der pakistanischen oder afghanischen Behörden auf die NGOs und Antragstellenden erfolgt“. So sollen unter anderem „Scharia-Richter“ unter den Ausgewählten gewesen sein.
Verfassungsschutz: „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“
Offensichtlich befänden sich in der Vorauswahl Personen, „die den Grundwerten der Bundesrepublik entgegenstehen und nicht zuletzt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland darstellen könnten“. So seien bis dato „bei knapp 4.000 durchgeführten Sicherheitsinterviews etwa 200 Bedenkenvoten generiert“ worden. Der Vermerk des Verfassungsschutzes entstand im September 2024.
Rogner verweist laut Business Insider auch darauf, daß es eine hohe Anfälligkeit für Fälschungen von Dokumenten gebe. Hierzu gebe es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Sicherheitsbehörden und dem Auswärtigen Amt. Dessen Visastelle sehe Fälschungen nicht als Verfahrenshindernisse, während die Sicherheitsorgane sie „durchweg als Sicherheitsbedenken“ einstuften.
Das Bundesinnenministerium betonte gegenüber dem Business Insider, daß es nach Kenntnis der Bundesregierung keine Fälle gebe, in denen im Rahmen des Aufnahmeprogramms Afghanistan Personen nach Deutschland trotz Sicherheitsbedenken eingereist seien. Der Business Insider meldet daran Zweifel an: Nicht immer kämen Erkenntnisse aus Sicherheitsinterviews auch im Auswärtigen Amt an.
Sicherheitsinterview wurden erst nachträglich eingeführt
Diese Interviews sind auch nicht von Anfang an Bestandteil des Aufnahmeverfahrens. Sie wurden erst im Juni 2023 eingeführt, nachdem die Bundesregierung das Aufnahmeprogramm im März 2023 zwischenzeitlich wegen Mißbrauchsvorwürfen ausgesetzt hatte. Seitdem erfolgen sie laut Bundesregierung zusätzlich zu Sicherheitsabfragen in Datenbanken. Die Interviews finden im benachbarten Pakistan statt, wobei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei beteiligt sind.
Laut der Äußerung eines Sprechers der Bundesregierung vom November 2024 waren bis dato 864 Personen über das Bundesaufnahmeprogramm nach Deutschland gekommen. Allerdings sind für mehr als 3.000 Menschen Aufnahmen zugesagt worden. Mitte Januar teilte die Bundesregierung mit, daß sich derzeit knapp 1.600 Personen aus dem Bundesaufnahmeprogramm jeweils mit Aufnahmezusage im Ausreiseverfahren in Pakistan befänden. Insgesamt sind in den vergangenen drei Jahren mehr als 34.000 Afghanen über verschiedene Programm nach Deutschland gekommen.
CDU, CSU und AfD fordern, das Aufnahmeprogramm zu beenden. Die Bundesregierung entschied im Sommer, vorerst keine neuen Aufnahmezusagen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms zu erteilen. (ser)