Du kannst die Person doch nicht einfach auf ein Geschlecht festlegen“, meckert der Türsteher am Clubeingang einen jungen Gast an, der angesichts der Kassendame von einem „Mädel“ gesprochen hatte. „Du misgenderst sie vielleicht, wenn du sie als weiblich ansprichst.“ Verwirrt fragende Blicke beim Gast, der sich eigentlich nur nach der Garderobe erkundigen und danach ausgelassen tanzen wollte.
Stellte der erste Teil zur elektronischen Tanzmusik noch fest, daß die Techno-Kultur in ihren anarchischen Anfangsjahren kein geschärftes Profil für ihr Milieu hatte, so ist dieses – bis auf die vorgestellten rechten Nischen – heute links. In Clubs, die sich gern zu LGBTQ-„Safe Spaces“ erklären, findet man neben „Refugees Welcome“-Grafitti aushängende Verhaltensregeln gegen alle möglichen Phobien und Ismen. Die angebliche „Alle sind willkommen“-Doktrin ist in Wirklichkeit hoch selektiv.
Techno mit Gratismut
Kamen in der Disco-Landschaft früher eher Südländer schwerer in die angesagten Tanztempel, so werden mittlerweile Gruppen weißer Männer kritisch beäugt. Es wimmelt vor „queeren sexpositiven Partys“, Achtsamkeits- und Antidiskriminierungsteams, „Freiräumen“, Soli-Veranstaltungen und Gendersternchen. „Ein Club, wo Techno und linke Politik aufeinandertreffen können“, beschreibt eine Mitbetreiberin das „About Blank“ in der ARD-Reportage „Exzess Berlin“. „Es gibt einen Einheitslohn, alle verdienen das gleiche pro Stunde, egal ob man putzt oder Booking macht.“
Als 2018 die AfD unter dem Motto „Zukunft Deutschland“ in der Hauptstadt demonstrierte, beteiligte sich die Berliner Clubszene an der Mobilisierung der Gegenproteste, die in der Tat ein Vielfaches an Mannstärke auf die Straßen brachten. Ob rein politische Parolen und Strukturen das erreicht hätten, scheint mehr als fraglich. Für „das Gute“ feiern – und dann auch noch bei Gratismusik im sonnigen Tiergarten – ist da leichter und vielversprechender. Der Anti-AfD-Protest erinnerte vielerorts mehr an ein Open-Air-Rave, für die Berlin so berühmt ist.
Längst sind die Berliner Clubs nicht nur ein schwer zu ignorierender Tourismusmagnet und Wirtschaftsfaktor, sondern ein Resonanz- und Unterstützerraum für linksgrüne Politik. Mit internationaler Strahlkraft: Nicht nur „die halbe Welt“ kommt ins liberale Berlin, um einmal „KitKat“ & Co. gesehen zu haben, überall lassen sich Eventveranstalter von der Baß-Metropole an der Spree inspirieren – #thatssoBerlin. Techno ist provinzielles Sightseeing und kosmopolitischer Hype mit gefeierten DJs von Amerika bis Asien zugleich; der neue Soundtrack für „Peace“, „One World“ und die brav angepaßte All-inklusive-Poollounge. Ein derartiges außerparlamentarisches Parteienvorfeld füttert die Politik gern. So wird beispielsweise der bekannte Berliner „Sisyphos“-Club von der Initiative Musik, dem Programm Neustart Kultur und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert.
Kommerzkitsch ist allgegenwärtig
Doch immer mehr kritische Zwischentöne funken dazwischen. Eintrittspreise zwischen 15 und 25 Euro, gestiegene Getränkepreise, knappe Festivalkarten als Luxusgüter und eine neuartige polyglotte Schickeria, die aus Eigentumswohnungen und Hotels per Taxi zum Rave fährt, lassen sozialistisch angehauchtes Kollektiv-Gebaren lächerlich wirken. Einige alteingesessene Partygänger zieht es wieder in Kneipen und Bars mit Plattenspieler, weil sie sich eine Clubtour einfach nicht mehr leisten können.
Techno-Tiktoker ikonisieren die berüchtigten schwarzen Lack- und Leder-Outfits sowie die grotesk langen Schlangen vorm „Berghain“, dessen Kulttürsteher Sven Marquardt in Dokus und sogar Hollywoodstreifen wie „John Wick 4“ mitspielt. Halbillegaler Autonomen-Schmelztigel war gestern, jeglicher Progressivität spottender Pop und biobürgerliche Line-up-Jetsetter sind heute. Elektronische Tanzmusik ist zu einem globalen Riesengeschäft geworden mit Großveranstaltungen wie dem „Tomorrowland“, dessen Besuch Hunderte, wenn nicht Tausende Euro verschlingen kann. Einige Anarcho-Veranstalter der ersten Tage sind längst schwerreiche Geschäftsmänner mit Sportwagen – allem beibehaltenem heuchlerischen Katzenjammer über Immobilienspekulanten und Gentrifizierung zum Trotz. Clubeigene Plattenlabels und Merch-Shops sind zudem fester Bestandteil der Musikindustrie.
Und auch beim Thema Feminismus und Kampf gegen Antisemitismus steht die Techno-Boheme unter Beschuß mit Doppelmoralvorwürfen. Preist die Szene gerne lautstark Frauenrechte, so blieb sie angesichts der islamistischen Mord- und Vergewaltigungsexzesse beim „Supernova“-Festival während des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober lange mucksmäuschenstill, was selbst der linken taz negativ aufstieß.
Viele DJs solidarisierten sich sogar mit der palästinensischen Seite. Nur langsam und nach Protest kam es zum vereinzelten Schulterschluß mit Israel. Erst am 19. November fand zum Beispiel im „About Blank“ eine Solidaritätsveranstaltung für die Opfer des Supernova-Massakers statt. Nicht ohne einen Tag zuvor einen besonders skurril anmutenden „Queer Soli Rave“ für den Palestine Children’s Relief Fund zu veranstalten. Der Fund arbeitet mit der umstrittenen Hilfsorganisation Islamic Relief zusammen, der die finanzielle Unterstützung der Hamas vorgeworfen wird. Am 24. Januar soll nun eine Überlebende der Terrorattacken im „Blank“ von ihren Erlebnissen berichten.
Doch mit dieser Gratwanderung zwischen den Polen einiger deutscher Clubs, scheint der Zoff in der internationalen Szene erst zu beginnen. Unter der Kampagne „Strike Germany“ ruft derzeit ein selbsternanntes „breites Bündnis aus Künstlern, Filmemachern, Autoren und Kulturarbeitern“ zu einem Boykott deutscher Kulturveranstaltungen und -institutionen auf, weil diese „die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere bezüglich der Solidarität mit Palästina unterdrücken“. Linke gegen Linke. Auch zahlreiche DJs schlossen sich dem Protest an. So zogen beispielsweise Manuka Honey und Jyoty ihre Eröffenungsteilnahme im „Berghain“ am Ende Januar startenden CTM Festival zurück.