Daß die Meinungsforschung die Zukunft nicht vorhersagen kann, räumt Hermann Binkert offen ein. Der Leiter des Umfrageinstituts Insa-Consulere versucht am Mittwochabend dennoch, den Wandel in der parteipolitischen Landschaft anhand der Empirie sowie eigener Erfahrungen zu erklären. Rund 100 Besucher verfolgen seine Ausführungen in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin.
Bei trockenen Zahlen bleibt es nicht. „Ich habe meine Frau mitgenommen, damit Sie verstehen, daß das hier kein Geheimtreffen ist“, leitet der 59jährige die Veranstaltung mit Blick auf die aktuellen Schlagzeilen ein und bringt den Saal zum Lachen. Die heitere Stimmung während der zweistündigen Runde stellt einen Kontrast zu den teils pessimistisch anmutenden Umfrageergebnissen dar. „Wir haben die Deutschen zu ihren größten Ängsten befragt“, nennt Binkert als Beispiel: Doppelt so viele fürchten sich demnach vor der Zukunft ihres Landes als vor dem Tod. „Ich finde es schon beeindruckend.“
Standfestigkeit ist entscheidend
Wie stark sich die politische Landschaft dadurch im Umbruch befindet, zeigt Binkert anhand der politischen Selbstverortung der Befragten in der Sonntagsfrage. Vor zwei Jahren habe es sich bei denen, die sich rechts der Mitte sehen, um eine „Größenordnung von rund 20 Prozent“ gehandelt. Heute seien es 28 bis 30 Prozent der Bürger: „Wenn konservative Bürgerliche sich nicht mehr verstecken, sondern das, was ihnen wichtig ist, präsentieren, dann können sie die Leute gewinnen.“
In dieser Hinsicht bezeichnet Binkert die Entwicklung der AfD als spannend. „Ein Unternehmen, welches elf Jahre lang die gleiche Strategie verfolgen würde, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen, hätte sich eine neue überlegt“, sagt er. Doch Bürger schätzten es, wenn Parteien die Wähler umwerben wollen, statt nur den Umfragewerten nachzueifern. Ein Beispiel dafür sei die Einführung der sozialen Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard: „Man hätte Erhard abgeraten, wenn man die Leute befragt hätte.“
Was passiert, wenn Regierungen ihre Politik an den Umfragewerten ausrichten, habe man unter Angela Merkels Kanzlerschaft gesehen. „Sie hat es perfektioniert – vorwärts, Genossen, ich folge euch.“ Anmerkungen aus dem Publikum, bei der Migrationspolitik sei das nicht der Fall gewesen, weist er zurück. „Im Sommer 2015 war die Willkommenskultur bei der Bevölkerung gut angekommen, wohingegen Merkel von den Medien als Eiskanzlerin beschimpft wurde“, erinnert er.
Feste Wählerschaften in den Umfragen bei zwei Parteien
Die AfD habe inzwischen einen „festen Wählerstamm“ entwickelt, der sich von den Ereignissen um die Vereinigung nicht beeindrucken lasse: „Es muß deutlich sein, daß Versuche im Stil der 70er und 80er, neue Parteien wegzukriegen, mit der AfD nicht mehr möglich sind.“ Mit Blick auf die Ausgrenzungsstrategie werde das Jahr 2024 entscheidend sein.
Auf eine mit der AfD vergleichbare Treue könne nur eine andere Partei zählen: die Grünen, die ungeachtet ihrer Handlungen über einen harten Kern verfügten. Auch die Schwerpunkte der Unterstützer der jeweiligen Vereinigungen stünden sich deutlich gegenüber.
Neue Parteien, neues Glück?
Als eine weitere Anti-Grünen-Partei nennt Binkert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Insa-Daten zufolge sei die Partei Habecks die einzige, die nicht als Verlierer aus der BSW-Gründung hervorgehe. Die meisten potentiellen Wagenknecht-Wähler, rund ein Drittel, kämen hingegen von der Linken, gefolgt von der AfD. „Wobei nicht so sehr, wie man ursprünglich hätte annehmen können, weil deren Wähler wissen, daß die bei Wagenknecht nicht das bekommen, was sie wollen“, bemerkt der Marktforscher.
Als entscheidenden Faktor bei den kommenden Landtagswahlen führt der Insa-Leiter jedoch die Kandidaten vor Ort an. Dies gelte auch für die möglicherweise als Partei neugegründete Werte-Union: „Ein Maaßen kann nicht in drei Bundesländern gleichzeitig aufgestellt werden.“ Wie wichtig der Personenfaktor sei, zeige der Ausnahmeerfolg der Linkspartei in Thüringen unter Bodo Ramelow. „Ohne ihn wäre die Linke auch dort untergegangen“, mahnt Binkert – und empfiehlt den Politikern, sich einiges von seinen früheren Reden im Thüringer Landtag als Oppositionsführer abzuschauen.
„Es braucht Leute, die pointiert Positionen rüberbringen“
Auf Nachfrage nennt der Marktforscher den Medienwandel als Motor der politischen Veränderung. So unterstützten die typischen Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Befragten über 70 Jahren, mit CDU und SPD die traditionellen Volksparteien. Im Gegensatz dazu würden Grüne und FDP als Parteien der Jungen gelten, die eher auf soziale Medien und Youtube-Kanäle zugreifen. „Die neuen Medien verändern die Form der Ansprache“, merkt der Insa-Chef an.
Gewinnen könne, wer authentisch rüberkommt – hier beklagt Binkert einen Mangel. „Es sagt viel aus, daß nur der Verteidigungsminister auf mehr positive Meinungen als negative kommt“, betont der Marktforscher. Es brauche Leute in jeder Funktion, die Wähler bewegen können und pointiert Positionen rüberbringen. Aber auch in jedem Einzelnen liegt seiner Meinung nach die Verantwortung: „Ich bitte Sie darum, an der Meinungsbildung beteiligt zu sein.“