Nun sag’, wie hast du’s mit der AfD? Es ist die in jüngster Zeit vermehrt gestellte Gretchenfrage – wobei sich das „du“ hier an „die Wirtschaft“, also an Unternehmen und Unternehmer, aber auch an die zahlreichen Verbände und Standesvertretungen richtet. Die sollten sich positionieren, was natürlich bedeutet: gegen die AfD; Haltung zeigen, Farbe bekennen; für Vielfalt, gegen Haß und Hetze – et cetera pp. So fordern es Leitartikler und Wissenschaftler, aber auch Konzernmanager.
Und manch ein Kommentator vermißt hier sogar noch mehr Engagement. So vermerkt etwa die Süddeutsche Zeitung, daß man sich beim Autobauer BMW nicht zu diesem Thema äußern möchte und andere Dax-Konzerne es lieber bei allgemeinen Bekenntnissen zu „Werten“ oder „Diversität und Offenheit“ oder gegen „gesellschaftliche Spaltung“ beließen, ohne direkten Bezug zur besagten Partei zu nehmen.
„Die AfD richtet einen großen Schaden an“
„Manche Unternehmen sind feige, weil sie sich nicht mit AfD-nahen Kunden oder Mitarbeitern anlegen wollen“, kritisierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, in dem Blatt. Dabei, so moniert der Ökonom, trügen die Firmen eine gesellschaftliche Verantwortung und dürften „sich nicht neutral verhalten, wenn es um die wirtschaftlichen und demokratischen Grundlagen des Landes geht“. Dabei müßten laut dem DIW-Chef die Inhaber und Manager sogar aus Eigeninteresse gegen die AfD Stellung beziehen: „Eine zuwandererfeindliche Politik bedeutet, daß Deutschland noch mehr Fachkräfte fehlen. Unternehmen werden pleite gehen“, behauptet Fratzscher.
Auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, stellte klar: „Wer erwägt, die AfD zu wählen, muß wissen: Diese Partei richtet großen Schaden an“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Flankiert werden – besonders mit Blick auf den Osten der Republik – solche Warnungen oft mit der Behauptung, schon die hohen Zustimmungswerte für die AfD könnten Investoren abschrecken und so für eine wirtschaftliche Krise sorgen.
…oder doch nicht?
Doch ist dem wirklich so? Nimmt man allein Sachsen-Anhalt, wo die verfemte Partei in den Umfragen bei über 30 Prozent rangiert, so bestätigen sich solche Ängste ganz offensichtlich nicht. Die größten Unternehmen des Landes investieren allein in seit 2022 begonnene oder bewilligte Projekte insgesamt fast drei Milliarden Euro. Das entspricht in etwa einem Fünftel des Gesamthaushalts dieses Bundeslandes. Am traditionsreichen Industriestandort Leuna baut das finnische Unternehmen UPM eine Bioraffinerie, in der ab Ende dieses Jahres Kunststoffe aus Holz entstehen sollen.
Von Halberstadt aus will Daimler Truck ab kommendem Jahr Ersatzteile in alle Welt liefern. Geplant sind zunächst 450 Arbeitsplätze, die Investitionssumme beträgt knapp 500 Millionen Euro. 700 Arbeitsplätze sollen im Logistikzentrum der Elektronikfirma Avnet in Bernburg entstehen. Und in Bitterfeld-Wolfen startet demnächst die Produktion in der ersten Lithiumraffinerie in Europa. Nicht eingerechnet in diese Summe ist der größte Batzen, der freilich auch mit allerhand Subventionen aus dem Steuersäckel gefördert wird: die Ansiedlung der Chip-Produktion des amerikanischen Technikriesen Intel in Magdeburg. Rund 30 Milliarden Euro sollen in den Bau von mehreren Fabriken gehen.
Auch Sachsen gilt bekanntlich als AfD-Hochburg. Ungeachtet dessen gab der größte Halbleiterhersteller der Welt, die taiwanesische Firma TSMC, im August vergangenen Jahres bekannt, er wolle zehn Milliarden Euro in eine neue Fabrik in Dresden investieren und dort 2.000 Arbeitsplätze schaffen. Wenige Monate zuvor hat Infineon mit dem Bau einer neuen, fünf Milliarden Euro teuren Fabrik in der Elbmetropole begonnen. Mehrere Milliarden Euro investierte der amerikanische E-Auto-Produzent Tesla in seine Mega-Fabrik in Brandenburg, einem Bundesland also, in dem die AfD nach derzeitigem Stand stärkste Fraktion im Landtag werden könnte.
Auch Experten und die Bundesregierung sehen es anders
Nur ein kleiner Ausschnitt freilich, aber es widerspricht der Gleichung, viele „Rechtspopulisten“ bedeuteten wenig wirtschaftliche Investitionen und Arbeitsplätze. Auch die Bundesregierung räumte im vergangenen Herbst auf eine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion hin ein, ihr lägen „keine entsprechenden Befunde zum Zusammenhang zwischen den Umfragewerten einzelner Parteien und Investitionsabsichten von Unternehmen vor“.
Desungeachtet meidet die „verfaßte Wirtschaft“, also die etablierten Verbände, die AfD nicht nur, „sondern grenzt sie regelrecht aus“, wie die beiden Ökonomen Knut Bergmann und Matthias Diermeier vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) in einem Gastbeitrag für die FAZ jüngst feststellten. Wobei die Autoren durchaus auch kritische Stimmen zu diesem Vorgehen wahrnehmen.
„Wir haben die FDP als Mittelstandspartei abgelöst“
Wie aber gestaltet sich das Verhältnis Unternehmer/AfD aus Sicht von Politikern der Partei? Er stehe „regelmäßig in Kontakt mit Unternehmern“, sagt Tino Chrupalla im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Er sei Gast bei Zusammenkünften, sitzt auf Podien, beispielsweise im regionalen Mittelstandsverein. Dabei mag eine Rolle spielen, daß der AfD-Vorsitzende vor seiner politischen Karriere selbst ein mittelständisches Unternehmen geführt hat, also mit seinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe über ihre Sorgen und Nöte reden kann.
Entscheidend ist aber vor allem: Chrupalla ist der direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Görlitz. „Hier bin ich der einzige im Bundestag“, als politischer Ansprechpartner hat er damit ein Alleinstellungsmerkmal. Sorgen bereiteten den örtlichen Wirtschaftsvertretern auch nicht die AfD-Ergebnisse, sondern vor allem „die Energiepreise“, so Chrupalla. Viele seiner Gesprächspartner, so schildert er seine Wahrnehmung, seien vor allem von den Liberalen und ihrer Rolle in der Ampel-Koalition enttäuscht. „Wir haben die FDP als Mittelstandspartei abgelöst“, ist der AfD-Spitzenmann überzeugt.
Und er macht einen Unterschied aus: nämlich zwischen den Mitgliedern und der Führungsriege in den Standesvertretungen. „Dort haben sie alle ein CDU-Parteibuch“ – und aufgrund des politischen Drucks exekutiere man daher eine „Brandmauer“ gegen die AfD. Doch das sei an der Basis ganz anders. „Die Unternehmer wenden sich zusehends von ihren eigenen Verbandsvertretern ab“, schildert der AfD-Fraktionsvorsitzende.
Keine flächendeckende Brandmauer
Tatsächlich gibt es auch Funktionäre, die von einer Politik der Ausgrenzung nichts zu halten scheinen. „Wir sind politisch neutral“, zitiert die FAZ Wolfram Kreisel, Mitglied im Präsidium der Industrie- und Handelskammer Dresden. Der Familienunternehmer in vierter Generation stellt Maschinen für Schüttguttechnik her und hat seinen Firmensitz in Görlitz, im Wahlkreis von Chrupalla.
„Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, die Einheit von Handeln und Haftung, Berufsfreiheit und eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung sind elementare Bestandteile einer freiheitlichen und prosperierenden bürgerlichen Gesellschaft.“ Mit diesen Positionen dürften sich die meisten Unternehmer hierzulande wohl anfreunden können. Es sind die Kernpunkte, mit denen die AfD ihre „marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik“ im Programm definiert.
Hinzu kommt noch, daß die Partei sich klar für Bürokratieabbau, die Senkung der Stromsteuer, die vollständige Abschaffung des „Soli“, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie mehr Tempo beim Ausbau der digitalen Infrastruktur – und deutlich gegen eine Erhöhung des Bürgergelds ausspricht. Kein Wunder auch, daß laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die FDP „verglichen mit anderen Parteien den größten Anteil ihrer Wählenden an die AfD verloren“ hat – wenn man den aktuellen blauen Höhenflug in den Umfragen mit den Kreuzen bei der Bundestagswahl 2021 vergleicht.
„Unternehmen sind gut beraten, sich nicht als parteipolitische Ersatzakteure zu positionieren“, meinte der Soziologe Holger Backhaus-Maul von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegenüber der FAZ. Brandmauern wie in der Politik würden in der Wirtschaft nicht funktionieren, zu unterschiedlich seien die Interessen der Unternehmen, so der Wissenschaftler.
Wer dagegen deutlich Front gegen die AfD macht, ist Deutschlands größter Autohersteller Volkswagen. „Die Ziele der AfD stehen unseren Werten und Kerninteressen fundamental entgegen“, verlautbarte die Zentrale des quasi halbstaatlichen Konzerns in Wolfsburg. Daß das unter den Mitarbeitern nicht ungeteilte Zustimmung findet, weiß der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Niedersächischen Landtag, Stefan Marzischewski-Drewes, zu berichten. „Geschätzt zehn Prozent der Mitglieder in meinem Kreisverband haben einen VW-Hintergrund“, sagt der Politiker aus Gifhorn der JUNGEN FREIHEIT.
„Cancel Culture“ in der Wirtschaft
Auffallend sei, daß viele von ihnen sich aus Sorge vor beruflichen Nachteilen im Unternehmen, in dem der von der IG Metall dominierte Betriebsrat viel Macht hat, erst im Ruhestand parteipolitisch engagieren. Daß der gerade etwas angeschlagene Autobauer viele Angestellte derzeit in die Frührente schicke, verschaffe der AfD geradezu einen Mitgliederschub, so Marzischewski-Drewes. Wenn er sich mit lokalen Unternehmern treffe, kämen als deren Sorgen stets die überbordende Bürokratie, die hohen Energiepreise und die fehlende Planungssicherheit zur Sprache, berichtet der AfD-Fraktionschef. Bei Zusammenkünften gebe es kaum Berührungsängste. Einzige Bedingung: Diskretion, keine Fotos.
Enrico Komning ist AfD-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern und einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion in Berlin. Dort erlebt er durchaus eine Form von Ausgrenzung seiner Partei: „Gesetzesentwürfe und Anträge werden konsequent ungeachtet des Inhalts und trotz hoher Überschneidungen mit der wirtschaftspolitischen Programmatik der Unionsfraktionen sowie der FDP abgelehnt“, schildert er der JUNGEN FREIHEIT. In seiner Heimat war der Wirtschaftsanwalt gut vernetzt, etwa bei den Wirtschaftsjunioren. Nach dem Gang in die Politik brachen manche Kontakte wegen des Banns gegenüber der AfD ab.
Es tut sich was
Mittlerweile nimmt der 55jährige einen Wandel wahr: „Termine mit Handwerksbetrieben, lokalen Dienstleistungsunternehmen sind inzwischen Alltag in meiner Wahlkreisarbeit.“ Was anfangs noch unter der Hand stattfand, kann nun öffentlich werden. „Angst vor einer AfD-Wirtschaftspolitik hat nach meiner Erfahrung keiner – weder Unternehmer noch Arbeitnehmer – eher Hoffnung“, resümiert Komning.
Für Hessens AfD-Voritzenden Robert Lambrou gilt indes nach wie vor: Wenn es zu Treffen mit Wirtschaftsvertretern kommt, dann nur vertraulich. Aber, so schildert er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT, immer öfter höre man dann hinter vorgehaltener Hand, wie viele doch die Partei wählen würden. In Wiesbaden stellt seine Fraktion die erste Oppositionsführerin in einem West-Bundesland. Ob sich dies positiv auf den Zugang zu Vertretern von Industrie und Wirtschaft auswirken werde, könne man erst mit der Zeit beurteilen, meint Lambrou. Über eines ist er sich jedoch sicher. „Die vielbeschworene Brandmauer wird – wenn sie eines Tages fällt–, dann schlagartig und nicht allmählich fallen“.