Almaty Anfang Januar 2022: Im Zentrum der größten Stadt Kasachstans schießen Sicherheitskräfte auf Demonstranten. Die Residenz des Präsidenten geht in Flammen auf. Dutzende Demonstranten, aber auch mehrere Polizisten werden getötet. Die Regierung ruft den Ausnahmezustand aus. Wie konnte es dazu kommen? Seit dem Ende der Sowjetunion und der folgenden Unabhängigkeit Kasachstans im Jahr 1991 regierte Nursultan Nasarbajew (Amanat) das Land. Der frühere Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans etablierte sich als autoritärer Alleinherrscher. Nasarbajew unterdrückte jede Kritik an seiner Regierung, zum Teil auch mit Gewalt.
Außenpolitisch verfolgte Nasarbajew eine eher ausgleichende Linie. Das Land lehnte sich eng an Rußland an, unterhielt aber von Anfang an auch gute Beziehungen zum Westen. So ist Kasachstan beispielsweise Mitglied der russisch dominierten Eurasischen Union, hat gleichzeitig aber auch gute Kontakte zur EU und schloß mit der deutschen Regierung eine bilaterale Rohstoffpartnerschaft ab. Der jetzige Präsident, Kassym-Schomart Tokajew (Amanat), war Nasarbajew nach dessen freiwilligem Rücktritt 2019 ins Amt gefolgt. Doch Nasarbajew kontrollierte im Hintergrund weiter die Regierung und die Politik des Landes.
Die Masse der Bevölkerung hat vom Rohstoffreichtum Kasachstans bisher nicht profitiert. Die Unruhen im Januar 2022 begannen nicht zufällig als Demonstrationen gegen die wirtschaftlichen Probleme der Kasachen, nämlich die stark gestiegenen Energiepreise. Als diese in Gewalt umschlugen, setzte die Regierung bewaffnete Polizei und Militär ein. Nach Angaben der Regierung gab es 225 Tote. Die politische Führung machte islamistische Gruppen aus dem Ausland für die Gewalt verantwortlich, international ist das umstritten.
Kasachstan laut Putin Ziel von internationalen Terroristen
Tokajew nutzte jedenfalls die Unruhen, um Nasarbajew ins politische Abseits zu drängen. Unterstützer Nasarbajews wurden entmachtet. Manche Analysten sehen daher die Unruhen als einen Konflikt verschiedener Fraktionen im kasachischen Machtapparat.
Außenpolitisch versuchte Tokajew, die Politik seines Vorgängers weitgehend fortzusetzen und strebte nach guten Beziehungen sowohl zu Rußland und China als auch zum Westen. Die Unruhen im Januar 2022 zwangen ihn, die Hilfe Putins in Anspruch zu nehmen. Rußland schickte zusammen mit anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion Truppen nach Kasachstan, um dort die Lage zu stabilisieren. Putin begründete den Einsatz wie folgt: „Kasachstan ist das Ziel von internationalen Terroristen geworden.“ Die Entsendung russischer Soldaten zeigte, wie abhängig Kasachstan weiterhin von Rußland ist.
Durch den Überfall auf die Ukraine belastete Putin jedoch die Partnerschaft. Die Invasion weckte alte Ängste im Nachbarland. Im Norden Kasachstans lebt eine große russische Minderheit, die landesweit ein gutes Fünftel der Bevölkerung stellt. Manche Kasachen befürchten, daß Putin die im Land lebenden Russen instrumentalisieren könnte, um Ansprüche auf kasachische Gebiete zu erheben oder um Kasachstan politisch zu kontrollieren. Zwar erscheint es unwahrscheinlich, daß Putin in Kasachstan militärisch intervenieren wird, solange die kasachische Regierung ihren jetzigen außenpolitischen Kurs beibehält und sich nicht gegen Moskau positioniert. Doch ein Teil der Bevölkerung ist vom russischen Vorgehen in der Ukraine geschockt und im kulturellen Bereich ist eine verstärkte Betonung eigener Traditionen und eine Abgrenzung vom Erbe der Sowjetunion zu beobachten.
China und Rußland im Wettstreit um Einfluß in Zentralasien
Wirtschaftlich ist allerdings China längst in Kasachstan dominant. Der östliche Nachbar ist der wichtigste Exportmarkt Kasachstans, und chinesische Investoren sind im Land sehr präsent. Über das mittelasiatische Land verläuft ein wichtiger Strang der Seidenstraße. Die Verbindung nach China macht Kasachstan für Investoren besonders interessant. Zwar pflegt Kasachstan auch gute Beziehungen zur EU, doch letztendlich werden die beiden großen Nachbarn des Landes bestimmend bleiben. Kasachstan kann es sich nicht erlauben, Rußland und China zu verprellen. Kasachstan bleibt eine Geisel seiner geographischen Lage.
Ortswechsel: Samarkand im September 2016: Ein Konvoi aus schwarzen Mercedes-Limousinen und einem blumengeschmückten Leichenwagen fährt durch die usbekische Stadt. Das staatliche Fernsehen zeigt Hunderte weinende Menschen am
Straßenrand. Sie betrauern den Tod von Islam Karimow (Liberaldemokratische Partei), der Usbekistan seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 regiert hatte. Ob alle Usbeken den Tod ihres Präsidenten so beklagten, darf bezweifelt werden. Karimow errichtete eine Diktatur, die die von Nasarbajew im Nachbarland Kasachstan an Härte noch übertraf.
Außenpolitisch versuchte Karimow, das Land aus seiner traditionellen Abhängigkeit von Rußland zu lösen. Beispielsweise erlaubte er den USA die Einrichtung eines Militärstützpunkts auf usbekischem Gebiet. 2005 mußten diese aber den Stützpunkt wieder räumen, weil Karimow über amerikanische Kritik am Vorgehen der usbekischen Sicherheitskräfte verärgert war. Gleichzeitig weigerte sich Karimow aber auch, der von Rußland dominierten Eurasischen Union beizutreten. Das Verhältnis zu den mittelasiatischen Nachbarn war gespannt, sodaß Usbekistan unter Karimow international relativ isoliert dastand.
Usbekistan sucht die Nähe zu China
Sein Nachfolger Shavkat Mirzijojew (Liberaldemokratische Partei) setzt dagegen auf eine stärkere internationale Verflechtung des Landes. So haben sich seit seinem Amtsantritt die Beziehungen Usbekistans zu Rußland verbessert. Beide Regierungen unterzeichneten mehrere Abkommen zum Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Den russischen Angriff auf die Ukraine hat Usbekistan aber nicht unterstützt. Die Regierung ging in diesem Punkt auf vorsichtige Distanz.
Usbekistan teilt mit Kasachstan, aber auch mit Tadschikistan und Kirgistan die Angst vor erstarkendem Islamismus. Allerdings gibt es diese Angst schon seit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der mittelasiatischen Staaten. Doch nur in Tadschikistan griffen islamistische Kräfte in den 1990er Jahren nach der Macht, was einen Bürgerkrieg zur Folge hatte.
Diese Furcht bestätigte sich bisher nicht. Gegenüber den USA und der EU gibt sich Usbekistan offen. Doch die usbekische Regierung vermeidet es ebenso wie die kasachische, sich gegen Moskau in Front zu bringen. Und gegenüber China scheint Usbekistan nicht an Konfrontation, sondern an engeren Beziehungen interessiert zu sein.