Michel Klonovsky wäre nicht er selbst, wenn er seinen formidablen Kurzgeschichten, die soeben bei Manuscriptum unter dem Titel „Die schöne Apothekerin“ erschienen sind, nicht eine Warnung in eigener Sache voranstellen würde. Er, der sich mit seinem Netztagebuch „Acta diurna“ fast täglich als schärfster Kritiker des Pressewesens in der Nachfolge von Karl Kraus betätigt, ja, als filigraner und unbestechlicher Chirurg sich jene Verbrechen vornimmt, die im Blätterwald an der deutschen Sprache begangen werden, und der sich als Autor des Wenderomans „Land der Wunder“ (2005) einen ewigen Platz in der deutschen Hochkomik erschrieben hat, kommt nun mit sogenannten Jugendsünden nieder, wie er sie lässig im Vorwort umschreibt – mit nämlichen Kurzgeschichten, die er vor etwa zwölf Jahren verfaßt und jetzt auf einer alten Festplatte wiederentdeckt hat.
Sie handeln auf total unwoke Weise von männlichem Begehren und weiblicher Verführungskunst, jenen Grundgegebenheiten, an denen keine noch so angestrengte Fummelei je irgend etwas ändern wird, auch wenn die Verhäßlichungsanstrengungen diese veralteten binären Strategien durchkreuzen wollen. Bei Frauen durch Nasenpiercings und orangefarbene Stoppelfrisuren, bei Männern durch Röcke über behaarten Beinen und Schneeflöckchen-Gekreische.
Die schöne Apothekerin ist südländischer Herkunft
Am eindrücklichsten wird das männliche Begehren wohl in der Titelgeschichte vorgeführt – und entkleidet als Spiel der Phantasie. Denn die schöne Apothekerin südländischer Herkunft mit ihrem langen schwarzen Haar ist zwar hinreißend, wenn sie über den Marktplatz schlendert, nein majestätisch schreitet in ihrer Schönheit, aber den durchaus komischen Taumel, ja, die Besessenheit erzeugt der Erzähler selber.
Er beschreibt ihre Radioaktivität. Beschreibt die Hingerissenheit des Freundes und Kollegen. Notiert, wie ein Arbeitsgespräch im Café dort unten auf dem Markt ins interesselose Blabla abrutscht, weil beide nur interessiert sind, die Aufmerksamkeit der Schönen zu gewinnen. Ja, der Erzähler wird zum Spanner, wenn er sein Fernglas durch die Jalousie seines Büros auf den Markt richtet und die Tür zur Apotheke, aus der die Apothekerin doch irgendwann auftauchen muß.
Sie bleibt die Unerreichbare und er der chancenlose Wurm. Die Peripetie – so nennen es die Dramatiker wohl, also der entscheidende Wendepunkt – ereignet sich bei einem dann doch lang erhofften Abendessen in einem sündhaft teuren Restaurant, und sie wird wiederum durch Phantasie bewirkt. Wie das konkret geschieht, soll hier nicht verraten werden, aber sie ist mit einer auf allerschönste Weise hinterhältigen Pointe verwirklicht.
Unter der Frage „Wie sterben?“ sehen wir in einer anderen Erzählung Akademiker und Kulturleute bei einem Abendessen versammelt, Figuren, die aus einer Botho-Strauß-Komödie der 1970er Jahre stammen könnten, etwa der „Trilogie des Wiedersehens“, und sie reden, anläßlich des Schicksals eines Freundes, vom Sterben. Sie reden, schwafeln, quatschen, witzeln, spekulieren darüber. Und da der Autor immer auch Gott ist, kennt er die ganze Geschichte. Er kennt das Ende. Und er reicht es nach wie das Dessert dieser Tafelrunde, das kalt genossen wird nach all dem erhitzten Geplauder.
Es sind immer die Schönsten, die zusammenfinden
Da wir schon Gott erwähnten, also den Höchsten, der tritt in der längsten Geschichte auf den Plan, wie im mittelalterlichen Faust mit einer Wette gegen den Teufel. Sie heißt folgerichtig „Faustina“ und setzt ein mit den Worten: „Am selben Morgen, als Gott begann, Charles Darwin zu lesen, stieg der Milliardär Hubertus Elsässer beschwingt aus seinem Bett …“
Und Gott kommt zu dem Schluß, daß dieser Engländer mißverstanden wurde, da er stets als Kronzeuge gegen ihn genutzt wurde, dabei habe er ihn doch besser verstanden als alle anderen. Es seien eben immer die Schönsten, die zusammenfinden und sich dadurch hinaufmendeln zu einer göttlich schönen Population.
Elsässers Jagd auf die junge Magd
Der Teufel hält dagegen. Die Frauen, sagt er, seien allesamt Huren und selbst das häßlichste Machtschwein könne, bei entsprechendem Reichtum, sie alle erobern. Und so ergibt es sich, daß der Milliardär Elsässer, der soeben eine weitere Eroberung verzeichnen konnte, auf die kleine Angestellte Anna Simon trifft – „meine Knechtin“, sagt Gott.
Nun zaubert Klonovsky allerlei Kunstkomik aus seinem Zylinder und verfolgt die Jagd des Reichen auf die arme, aber an Reizen üppig beschenkte Anna Simon, bisweilen hat die schnappatmende Verfolgungsjagd den Witz einer Komödie des französischen Dramatikers Georges Feydeau. Auch hier wollen wir den Gewinner nicht verraten, auch wenn die Gesetze des Genres nur einen Schluß erlauben.
Klonovsky zeigt sich auch schwach und hilflos
Mit der „Unterhaltung im Zug“ schlägt Michael Klonovsky einen anderen, einen modernekritischen und traurigen Ton an. Die Überraschung allerdings, auch für mich, bietet die letzte Erzählung des Büchleins mit dem Titel „Um derentwillen die Sonne scheint“. Hier wirft Klonovsky die bisweilen störende Attitüde des Alleswissers und Alleskönners ab und liefert sich aus. Er zeigt sich schwach und hilflos und auf Augenhöhe eines Bettlers, der von der Welt der Siegreichen und Vorüberhastenden nur die Hosenbeine und die Schuhe sieht.
Und daß sich gerade hier ein Wunder ereignet, das man „Mitmenschlichkeit“ nennen kann, gehört wohl zur schönsten aller denkbaren Überraschungen. Auch hier übrigens kommen lebensrettende Wunder wie Liebe und Musik zu jener Geltung, die sie verdienen.
Fazit: Wunderbare, kurzweilige Unerhaltung eines erzählerschen Könners. Und was ein Glück für uns Leser, daß sich Klonovskys alte Festplatte mit den vergessenen Geschichten erhalten hat.