HÖRSTEL. Zahlreiche Mitglieder der Grünen, die dem Realo-Flügel zugerechnet werden, haben eine Kehrtwende in der Asylpolitik gefordert. Die sich „Vert Realos“ nennende Mitgliedervereinigung ruft dazu auf, Einwanderung stärker zu steuern.
Es müsse ein stärkerer Unterschied zwischen „Kriegs- und Katastrophenflüchtlingen und Menschen, die ein vor allem wirtschaftlich besseres Leben“ suchten, gemacht werden, heißt es in dem Aufruf. Es brauche dabei „unterschiedliche Wege und Instrumente“, um dabei nicht nur den Migranten, sondern auch der „Verantwortung für unser Land und Europa“ gerecht zu werden. Dies sei eine „Notwendigkeit“, selbst wenn sie „harte Entscheidungen“ mit sich bringe.
Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören unter anderem Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der bayerische Landrat Jens Marco Scherf, die frühere Grünen-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Rebecca Harms, und die Afrika-Beauftragte des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), Uschi Eid.
Gruppe warnt vor „falscher Toleranz“
Die Asylpolitik müsse sich an den Regeln der freiheitlich demokratischen Grundordnung orientieren, betonten die Verfasser. Daher gelte es einer „aktuell schleichenden Erosion dieser Werte“ unter dem „Banner einer falschen Toleranz“ entgegenzutreten.
Migranten hätten häufig eine andere Sozialisation erfahren, daher könne nicht vorausgesetzt werden, daß sie Werte wie „die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Trennung von Staat und Religion, Freiheit und Gleichberechtigung unterschiedlicher individueller Lebensentwürfe“ teile. Diese Grundlagen seien „von Staat, Politik und Gesellschaft zu vermitteln, einzufordern und wo nötig auch durchzusetzen“.
Die Strukturen in Deutschland hätten ihre „Belastungsgrenze“ erreicht. Es gäbe kein „klares Integrationskonzept“, gerade für Menschen aus „islamisch geprägten Gesellschaften“, kritisierten die Unterzeichner. Säkularität und „das Frauenbild der westlichen Gesellschaft“ würden von „religiös geprägten Gemeinschaften in Frage gestellt“.
Kritik von Parteikollegen
Diese Phänomene hätten zur Folge, daß „die Akzeptanz für Einwanderung“ sinke, was eine Gefahr für den „sozialen Frieden“ in Deutschland darstelle, warnten die Politiker um Boris Palmer. Durch die „Weigerung, Fehlentwicklungen offener zu debattieren“, würde „der rechte Rand der Gesellschaft“ gestärkt.
Parteiinterne Kritik an dem Positionspapier kommt von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Er warf der Gruppe eine „toxische Grundhaltung“ und das Führen einer „Phantomdebatte“ vor. Die Willkommenskultur in Deutschland sei nicht erschöpft: „Ich erlebe das in Hannover anders.“ Ebenso gebe es keine „Mitnahmeeffekte“ bei Sozialleistungen. (lb)