Das ging ja schnell – und hat doch so lange gedauert. Mit ihrem frühen verzögerten Rücktritt hat Anne Spiegel ein politisches Paradoxon zustande gebracht, das seinesgleichen sucht. Schon mit dem verstörenden Video von ihrer Pressekonferenz, das eher wie das eines traumatisierten Entführungsopfers wirkte, denn wie das Statement einer gut erholten Urlauberin, legte die Kurzstrecken-Familienministerin einen Auftritt hin, der in seiner schlecht abgebundenen Form wohl in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird.
Genutzt hat es ihr zwar nichts, aber nicht wenige in der politisch-medialen Klasse empfanden ihre emotionalen Äußerungen als sehr beeindruckend. Spiegel entschuldigte ihre Urlaubsreise mit privaten Gründen. Konkret mit dem Schlaganfall ihres Mannes, den dieser im Jahr 2019 erlitten habe, und daher Streß vermeiden müsse. Viele zollten ihr dafür auf Twitter „Respekt“.
Tatsächlich hätte die Politikerin durchaus verdient, wenn sie die Liebe zu ihrem Partner und ihrer Familie über ihre politische Karriere gestellt hätte. Aber genau das hat die Grüne eben nicht getan. Spiegel hat den lukrativen Posten der Familienministerin angenommen, wohlwissend, daß sich der damit verbundene Aufwand nicht mit ihren privaten Problemen vereinbaren läßt. Das war eine bewußte Entscheidung und persönliche Schwerpunkt-Setzung.
Keine ehrliche Lebensentscheidung
Andere Politiker haben ihre Prioritäten in vergleichbaren Situationen anders gesetzt. Man denke da zum Beispiel an Franz Müntefering, der einst als Vizekanzler zurücktrat, um seine krebskranke Frau zu pflegen. Anne Spiegel wollte einen solchen Machtverzicht bis zuletzt nicht. Stattdessen windete sie sich immer wieder in Ausreden und Lügen. Den Frankreich-Urlaub, der ihr jetzt auf die Füße gefallen ist, soll sie sogar vor ihrer eigenen Partei verschwiegen haben.
Eine ehrliche Lebensentscheidung sieht anders aus. Eine solche kann man als Bürger von seinen gewählten Volksvertretern allerdings erwarten. Erst recht, wenn diese ein Regierungsamt übernehmen – und auch dann, wenn diese weiblich sind. Das halt die üblichen Verdächtigen und selbsternannten „Frauenversteher“ natürlich nicht davon ab, in ihren Nachrufen auf die auf ganzer Linie gescheiterte Familienministerin auf die feministische Tränendrüse zu drücken.
„Muß man sich dafür entschuldigen, Urlaub zu machen?“, fragt die Spiegel-Kolumnistin, Margarete Stokowski, zielsicher an der eigentlichen Problematik im Fall Anne Spiegel vorbei. Daß sich „die Politikerin und Mutter für ihren Urlaub entschuldigt hat“, findet die feministische Autorin „bedenklich“ und fordert: „Zeit, sich von der patriarchalen Idee der Vollzeit-Präsenz am Arbeitsplatz zu verabschieden.“
Patriarchale Idee Vollzeitarbeit?
Stokowski spricht in ihrem Text vom „Menschenrecht auf Urlaub“ und umschifft dabei mehr oder weniger geschickt die Tatsache, daß die Ministerin nicht zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt von ihrem Recht auf Erholung Gebrauch gemacht hat, sondern während einer großen Flut, also einer nationalen Tragödie, ihren verantwortungvollen Posten verlassen hat.
Wenn der Wunsch nach der Vollzeit-Präsenz, eines Kabinettsmitglieds am Arbeitsplatz, während einer derartigen Krise, tatsächlich eine patriarchale Idee ist, dann brauchen wir dringend wieder mehr Patriarchat in der deutschen Politik. Eine matriarchale Idee beziehungsweise ein feministisches Hirngespinst ist die, nicht nur von Stokowski immer wieder vorgebrachte Behauptung, daß „Frauen es in der Politik besonders schwer haben“ und, daß sie „für jeden Fehler mehr fertiggemacht werden als ihre männlichen Kollegen“.
These widerlegt
Schon der derzeit unter multimedialen Dauerbeschuß stehende Karl Lauterbach könnte davon ein jammervolles Lied singen – und tut das in Talkshows und auf Twitter regelmäßig. Auch das in der linken Bubble verbreitete Vorurteil, daß vor allem konservative Männer von der Öffentlichkeit mehr Gnade erfahren würden, als linksgrüne Frauen, ist bei objektiver Betrachtung der Tatsachen in keiner Weise haltbar.
Selbst während der Flut gab es mit dem CDU-Mann Armin Laschet, der nach seinem deplatzierten Lacher am Flußbett nicht nur auf Twitter nicht mehr viel zu lachen hatte, ein prominentes Beispiel, das diese These widerlegt.
Mangelnde Selbsteinschätzung
Daß sich so viele – nicht nur männliche – Politiker inzwischen trotz sichtlicher Untauglichkeit und auch noch nach zahlreichen groben Fehlern und Skandalen oft sehr lange im Amt halten können, hat andere Gründe als das Geschlecht der Gewohnheitsversager in den Parlamenten und an den Kabinettstischen.
Es liegt wohl vor allem an der mangelnden Selbsteinschätzung und der völlig abhanden gekommenen Rücktrittskultur einer weitgehend verhätschelten Politiker-Generation, die gelernt hat, daß Kompetenz keine zwingende Voraussetzung für das Amt ist – und sich selbst einredet, daß jegliche Form von Kritik gleich „Hate Speech“ von Rechten sei.
Bitte mehr politischen Druck
Sie habe sich „aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen“, sagte Spiegel, nachdem sie sich letztendlich doch noch zu einem Rücktritt durchgerungen hatte. Man kann eigentlich nur hoffen, daß zumindest dieses Statement der Grünen-Politikerin einmal voll und ganz der Wahrheit entsprochen hat.
Zwar würde man sich als Wähler und Bürger dieser Republik Amtsträger wünschen, deren Selbstverständnis und Ehrgefühl einen solchen Druck im Falle eines politischen Versagens nicht bräuchte, um diese zu einem Rücktritt zu bewegen. Wenn es aber eben bei dieser neuen Generation von Politikern nicht anders gehen sollte, kann man sich nur wünschen, daß der politische Druck auf diese noch deutlich weiter anwächst.
Auf daß Unfähigkeit, aufgeflogene Lügen und veritable Skandale wieder zu ganz normalen Rücktrittsgründen werden. Wenn möglich bitte ohne 75.600 Euro Übergangsgeld für vier Monate Teilzeitarbeit.