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Halbleiter, Stahl und Co.: Volle Auftragsbücher, leere Warenlager

Halbleiter, Stahl und Co.: Volle Auftragsbücher, leere Warenlager

Halbleiter, Stahl und Co.: Volle Auftragsbücher, leere Warenlager

Bandstahllager in Thyssenkrupp-Werk in Duisburg: Unternehmen von Flutkatastrophe betroffen
Bandstahllager in Thyssenkrupp-Werk in Duisburg: Unternehmen von Flutkatastrophe betroffen
Bandstahllager in Thyssenkrupp-Werk in Duisburg: Unternehmen von Flutkatastrophe betroffen Foto: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack
Halbleiter, Stahl und Co.
 

Volle Auftragsbücher, leere Warenlager

Fast zwei Drittel der Industrieunternehmen klagen über Materialmangel. Die Preise für Stahl, Baumaterialien oder Fahrräder ziehen massiv an. Die EZB beschwichtigt – aber kritische Ökonomen warnen vor einer anhaltenden Inflation.
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Die Lieferengpässe nehmen kein Ende. Laut dem Präsidenten des Zentralverbands des Handwerks, Hans Peter Wollseifer, stauen sich bei den Handwerkern Aufträge für im Schnitt 8,8 Wochen an. „Im Bau- und Ausbaubereich jedoch ist es so, daß man aktuell mit mindestens zehn und manchmal sogar bis zu 15 Wochen rechnen muß, bis ein Auftrag begonnen und abgearbeitet wird“, ließ er sich in einer Mitteilung zitieren.

Nicht nur Holz sei knapp und teurer, sondern „alles, was man braucht, um ein Haus zu bauen oder zu renovieren und vieles mehr“. Auch elektronische Teile und Kabel fehlten – Vorprodukte wie Schrauben würden langsam knapp. „Absurd“ sei die aktuelle Situation, erklärte Wollseifer und fügte hinzu: „Unsere Betriebe haben volle Auftragsbücher, aber es lohnt sich in vielen Bereichen angesichts der derzeitigen Einkaufspreise für Material gar nicht, die Aufträge auszuführen. Denn die Betriebe wissen, daß sie dann ein Minus machen.“

Zwei von drei Industriebetrieben fehlt Material

Nicht nur das Handwerk ächzt. Laut einer Umfrage des Münchner ifo-Instituts fehlt fast zwei Dritteln der Industrieunternehmen Material. Von April bis Juli stieg der Anteil demnach von 45 auf 63,8 Prozent. Besonders betroffen waren die Hersteller von elektrischen Ausrüstungen (84,4 Prozent) und die Autobauer und Zulieferer (83,4 Prozent)– wegen des Chipmangels. Danach folgten die Hersteller von Kunststoff- und Gummiwaren (79 Prozent) wegen der stark gestiegenen Preise für Kunststoff-Granulate.

Ein Stahl-Großhändler schreibt etwa in einer Email an einen Kunden, die der JF vorliegt, daß die Stahlpreise auf „einem historischen Hoch“ seien. „Die Werke verringern den Kunden die Kontingente für das dritte und vierte Quartal. Jeder muß mit weniger zurechtkommen. Teilweise werden Aufträge komplett gestrichen“, schreibt der Mann. Man würde mit Kaufanfragen überflutet und Zusatzmengen würden ohne Zögern gekauft.

Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verschärfe die Knappheit. „Ein europäischer Hersteller für Warmbreitband und kaltgewalzten Blechen hat in dem Bundesland ein Coillager für die Automobilindustrie mit über 15.000 Tonnen. Dieses wurde komplett geflutet. Ein anderer Hersteller berichtet von einem Ausfall von über 30.000 Tonnen Coils“, schreibt der Großhändler. Laut Medienberichten mußte Thyssenkrupp Höhere Gewalt („force majeure“) gegenüber Kunden geltend machen. Störungen an der Bahnstrecke verhinderten den Bezug von Vorprodukten oder den Transport der Stahlerzeugnisse zu den Kunden, meldet die Wirtschaftswoche.

Bahnfrachten würden teils auf den LKW-Verkehr umgelegt, aber der sei „sowieso schon überlastet“, schreibt auch der Stahl-Großhändler. Lieferanten berichteten davon, daß Sendungen bei Speditionen bis zu zehn Tage liegen bleiben würden. „Vor dem zweiten oder dritten Quartal 2022“ verbessere sich die Versorgungslage nicht, stellt der Mann in den Raum.

Preise für Vorprodukte ziehen an

Die Preise für knappe Vorprodukte ziehen denn auch massiv an. Handwerkspräsident Wollseifer nennt Teuerungen von 20 bis 30 Prozent innerhalb der vergangenen drei bis fünf Monate. Bei einzelnen Materialien hätten sich die Preise verdreifacht. „Bauen wird massiv teurer werden“, warnt er.

Die EU-Statistikbehörde Eurostat berichtet von einem Rekordanstieg der gewerblichen Erzeugerpreise. Im Juni seien sie um 10,2 Prozent in der Eurozone gestiegen. Das sei der höchste Wert seit der Einführung des Euro als Buchwährung im Jahr 1999. Besonders kräftig stiegen die Preise für Energie (25,4 Prozent) und Vorprodukte (10,6 Prozent). Steigen die Erzeugerpreise, gilt das als Hinweis, daß sich zukünftig auch die Verbraucherpreise erhöhen. Bereits im Juli lag die Inflationsrate im Euroraum bei 2,2 Prozent, in Deutschland sogar bei 3,8 Prozent.

Problematisch sind auch die teilweise stark gestiegenen Einkaufspreise“, sagte denn auch Klaus Wohlrabe, der Leiter der Umfrageabteilung beim ifo-Institut. „Derzeit bedienen die Hersteller die Nachfrage noch aus ihren Lagern an Fertigwaren. Aber die leeren sich nun auch zusehends, wie sie uns mitgeteilt haben.“

Ökonomen warnen vor anhaltend höherer Inflation

Die Europäische Zentralbank (EZB) beschwichtigt derweil und sagt, die hohen Preissteigerungen seien bloß „vorübergehend“. Doch kritische Ökonomen äußern daran Zweifel. Der Chef der Degussa Goldhandel, Markus Krall, warnt etwa auf Twitter, wegen der Lieferengpässe „wird die Inflation noch ganz andere Dimensionen annehmen“.

Professor Gunther Schnabl von der Universität Leipzig schätzt im Interview mit der Wirtschaftswoche, daß die hohe Inflationsrate von 3,8 Prozent anhaltend sein wird. Die EZB habe mit dem Anheben des Inflationsziels von „unter, aber nahe zwei Prozent“ auf ein Ziel von im Schnitt zwei Prozent und der Ankündigung, das Tempo der Anleihekäufe zu beschleunigen, die Inflationserwartungen erhöht. Außerdem signalisierten die Eurostaaten mit dem Aussetzen der Schuldenregel, die Staatsausgaben ausweiten zu wollen. Es seien auch weitere Corona- und Klimaregulierungen zu erwarten, die die Kosten für die Unternehmen nach oben treiben würden. Zuletzt würden die Gewerkschaften auf höhere Löhne drängen, wenn die Inflationsrate wie derzeit steige.

Zweiradhandel rechnet mit Erholung ab 2024

Vieles dürfte für eine sogenannte Stagflation auf kurze bis mittlere Frist sprechen. Nicht nur die Lieferengpässe könnten die Wirtschaft ausbremsen – Volkswirte wie Schnabl warnen auch vor sogenannter Zombifizierung, weil die Corona-Hilfen Betriebe am Leben halten, die nicht mehr rentabel wirtschaften. Laut Creditreform war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr weiter rückläufig – mit einem Minus von 1,7 Prozent. Die Wirtschaftsauskunftei wertete 26.000 Jahresabschlüsse aus und fand heraus, daß bereits vor der Corona-Krise 14,5 Prozent einen negativen Gewinn vor Steuern erwirtschafteten. Bei 27,2 Prozent lag die Gewinnmarge im sehr niedrigen Bereich unter fünf Prozent. „Denkbar schlechte Voraussetzungen für einen heftigen Konjunktureinbruch, wie ihn Deutschland im letzten Jahr verkraften mußte“, kommentiert Creditreform.

Mit einer schnellen Erholung rechnet auch der Zweiradhandel nicht, was die Fahrrad-Knappheit angeht. „Einige Händler warten bis heute noch auf bis zu 40 Prozent der Räder, die sie bereits im vergangenen Jahr bestellt haben“, sagte Hans-Peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhandels laut dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die Branche rechne damit, daß sich die Lieferprobleme erst zum Jahr 2024 entspannten. Die Preise würden weiter anziehen – um zehn bis 15 Prozent. 

Bandstahllager in Thyssenkrupp-Werk in Duisburg: Unternehmen von Flutkatastrophe betroffen Foto: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack
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