Die kleine sächsische Stadt Leisnig, gelegen an der Freiberger Mulde und etwa 50 Kilometer südöstlich von Leipzig, ist vor allem durch die tausend Jahre alte Burg Mildenstein bekannt und durch das seit 2006 bestehende Stiefelmuseum mit dem weltweit größten Stiefel, der gleichzeitig das Wahrzeichen der Stadt ist. Stolz sind die Bürger darauf, daß der Reformator Martin Luther hier 1523 die Leisniger Kastenordnung entworfen hat. Geschichtsinteressierte wissen auch, daß der Apotheker und Chemiker Ernst Georg Jünger hier gelebt und gearbeitet hat, der Vater des Schriftstellers Ernst Jünger.
Leisnig ist aber auch die Geburtsstadt von Friedrich Olbricht (1888-1944). Der spätere General der Infanterie gehörte während des Zweiten Weltkrieges neben Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Generalmajor Henning von Tresckow zu den führenden Köpfen des militärischen Widerstandes gegen Adolf Hitler und bezahlte dafür mit seinem Leben.
Jedes Jahr gedenken die Leisniger am Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler vom 20. Juli des berühmten Sohnes ihrer Stadt. Dann wird an Olbrichts Geburtshaus auf der Friedrich-Naumann-Straße ein Kranz niederlegt. Eine Erinnerungstafel aus Granit war bereits 1988 angebracht worden, als die SED in ihrer Spätphase versuchte, auch das Gedenken an den militärischen Widerstand gegen das NS-System für ihre Zwecke zu mißbrauchen.
Besitzer lehnte Verkauf ab
Allerdings ist das Gebäude selbst keine Gedenkstätte, sondern seit viele Jahren ein Ärgernis. Denn es verfällt. 2009 schaffte es Bürgermeister Tobias Groth (CDU) immerhin, die Bundeswehrführung für das Problem zu sensibilisieren. Dieser wiederum gelang es, über die Botschaft von Dubai Kontakt mit dem Hausbesitzer aufzunehmen und diesen über den ruinösen Zustand seiner Immobilie im fernen Sachsen zu informieren. Praktische Auswirkungen hatte das nicht, auch ein Kaufangebot der Stadt wurde abschlägig beschieden.
Zwei Jahre später konnte die Kommune wenigstens durchsetzen, daß im Zuge der Gefahrenabwehr das kaputte Dach mit Mitteln des Denkmalschutzes repariert wurde. Zuvor hatte es eine Ortsbegehung gegeben, deren Bilder Groth noch heute durch den Kopf spuken: Die Dielen waren eingebrochen, Wände vom Schimmelpilz befallen, Decken eingefallen.
Es habe „abenteuerlich verrottet“ ausgesehen, erinnert sich Oberstleutnant Christoph von Löwenstern, seinerzeit Presseoffizier der inzwischen aufgelösten 13. Panzergrenadierdivision, deren Stab in der General-Olbricht-Kaserne in Leipzig beheimatet war. Man habe den Himmel gesehen und im Inneren sei ein Bäumchen gewachsen.
Die Politik interessiert das alles nicht
Seitdem verfällt das Haus weiter. Vor einer prinzipiell möglichen Zwangsenteignung des Besitzers scheut die Stadt bisher zurück, nutzt aber jeden Jahrestag des Hitler-Attentats, um medienwirksam auf die Bedeutung des Gebäudes aufmerksam zu machen. In diesem Jahr berichtete die Deutsche Presseagentur über den fortschreitenden Verfall an Olbrichts Geburtshaus. Inzwischen sei auch das Notdach aus Wellblech verschlissen und Teile des Originaldaches eingebrochen.
Noch steht das Objekt auf der Landesdenkmalliste als „ein Kulturdenkmal und bau-, orts- und personengeschichtlich von Bedeutung“. Für die Probleme der Stadt, die das Gebäude gern erwerben würde, um es in eine Stiftung zu überführen und dauerhaft an General Olbricht und den Widerstand zu erinnern, interessiert sich allerdings weder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in Dresden, noch der Bundespräsident im fernen Berlin oder gar die Bundesverteidigungsministerin, die doch so gern neue Vorbilder für die Bundeswehr sucht.