Die Szenen waren neu im Österreich der Zweiten Republik. Über 20.000 Demonstranten protestierten am 4. Februar 2000 gegen die Vereidigung der neuen Regierung aus ÖVP und FPÖ. Polizisten sperrten den geschichtsträchtigen Heldenplatz vor der Hofburg ab. Ihnen gegenüber stand die wütende Menge und bewarfen die Beamten immer wieder mit Farbbeuteln.
Da die Sicherheit der Regierungsmitglieder nicht gewährleistet werden konnte, mußten sie durch einen unterirdischen Gang in die Hofburg zum Bundespräsidenten kommen. Das glich eher einem Schleichweg zur Regierungsverantwortung als einem sonst üblichen repräsentativem Gang zur Macht.
Nach einer scheinbar in Stein gemeißelter rot-schwarzen Koalition hatten nun wieder Politiker der Freiheitlichen auf der Regierungsbank Platz genommen. Auch wenn das damalige Aushängeschild der FPÖ, Jörg Haider, keinen Ministerposten innehatte, sondern als Landeshauptmann (Ministerpräsident) in Kärnten blieb, so war er doch präsent im politischen Geschehen in der Alpenrepublik.
EU verhängte Sanktionen
Nicht zuletzt Dank seiner Prominenz war es der FPÖ bei der Nationalratswahl im Oktober 1999 gelungen, 26,9 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Damit waren sie gleichauf mit der ÖVP von Wolfgang Schüssel, unter dem die Freiheitlichen schließlich Juniorpartner der Koalition wurden.
Schüssel erinnerte sich zwanzig Jahre später gegenüber dem Zeit Magazin an die überraschend unkomplizierten Verhandlungen mit der FPÖ. „Der Koalitionsvertrag mit der SPD war fix und fertig, wurde aber im SPÖ-Parteivorstand abgelehnt. Deshalb haben wir mit den Freiheitlichen verhandelt, die haben 95 Prozent einfach übernommen.“
Doch nicht nur viele Österreicher protestierten gegen die neue Regierung. Auch die EU wollte es sich nicht nehmen lassen, ihre Abneigung gegen die Rechten in der Regierung zu demonstrieren. Am 31. Januar 2000 kündigten die damals 14 EU-Staaten Sanktionen gegen das EU-Mitglied Österreich an – ein einmaliger Vorgang. Sie beschränkten ihre bilateralen Beziehungen zur Alpenrepublik auf ein Minimum. Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hob mahnend den Zeigefinger und warnte: „Wehret den Anfängen.“
Die „Weisen“ sollten Österreich unter die Lupe nehmen
Der parteilose österreichische Justizminister Dieter Böhmdorfer entrüstete sich rückblickend über die Vorgänge. „Ganz Europa wurde gegen Österreich aufgehetzt.“ Doch innenpolitisch hatten die Maßnahmen sogar einen Nutzen für Schüssel. Denn gegenüber dem als feindlich wahrgenommenen Ausland stärkten sie seine Stellung bei seinen Landsleuten und damit auch die schwarz-blaue Regierung.
Als müsse Österreich wie ein ungezogenes Kind beaufsichtigt werden, entsandte Brüssel auch noch drei sogenannte Weise, die den Umgang der Bundesregierung mit Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern, sowie das Wesen und die Entwicklung der FPÖ unter die Lupe nehmen sollten. Was wie eine Demütigung eines souveränen Staates wirkt, hatte jedoch für die EU eine ganz eigene Funktion. Der deutsche Völkerrechtler Jochen Frowein, einer der drei „Weisen“, betrachtete die Entsendung dieser drei Beobachter als „Exit-Strategie“, um von den Sanktionen langsam Abstand zu nehmen.
FPÖ scheiterte an sich selbst
Unter der Hand war den übrigen EU-Staaten wohl klar, in welch schwierige Situation sie sich selbst durch die Sanktionen manövriert hatten. Ein Bericht der drei „Weisen“, den sie im September des Jahres verfaßten, empfahl schließlich ein Ende der Strafmaßnahmen, was umgehend umgesetzt wurde.
Bedenkt man, wie schnell sich die FPÖ in den kommenden Monaten nach mehreren Niederlagen bei Landtagswahlen selbst zerlegte, war die europaweite Aufregung umsonst. Bereits im November 2002 wurde erneut gewählt, nachdem wegen parteiinterner Auseinandersetzungen mehrere FPÖ-Minister zugetreten waren. Zugleich zeigte sich bereits vor zwanzig Jahren, was einem EU-Mitglied droht, wenn seine Bürger wagen, rechts zu wählen.