Was ist das Schöne und wie kann es im Leben der Menschen Raum bekommen? Was ist das gute Leben? Wie lassen sich Freiheit und Ordnung so verbinden, daß ein dem Menschen zuträgliches Leben möglich ist? Und wie können Menschen auf der Welt, vor allem aber in ihrer unmittelbaren Lebenswelt heimisch werden?
Es sind Fragen wie diese, die den britischen promovierten Philosophen Roger Scruton umgetrieben haben und nicht nur für sein politisches Denken prägend waren. Als Konservativer war Scruton nie ein Ritter des Zeitgeists, sondern stets auf der Suche danach, wie in der modernen globalisierten Welt das Ethos einer „verwurzelten“ Lebensweise bewahrt, gerettet oder aufs neue stark gemacht werden könnte.
Für Scruton hängt ein Leben unter Rechtsgesetzen davon ab, daß diese Gesetze einem bestimmten Territorium zugeordnet sind und daß die Grenzen eines solchen Territoriums auch kontrolliert werden müssen. Insofern dies nicht geschieht, kann man in der Tat mit Scruton von einem Weg der Selbstzerstörung sprechen, den die europäischen Staaten gegenwärtig gehen.
Geprägt von Burke und T. S. Eliot
Roger Scruton hat beschrieben, wie das Erlebnis des politischen Spektakels im Pariser Mai des Jahres 1968 die Grundlage dafür legte, zu einem Konservativen zu werden. Die Lektüre de Gaulles lehrte ihn, wie wichtig die Bewahrung der geistigen Dinge in unruhigen Zeiten ist. Und das Studium des englischen Rechts ließ ihn die Möglichkeit einer Macht ohne Unterdrückung erkennen. Darauf folgte die Wiederentdeckung Edmund Burkes, dessen Gesellschaftsverständnis mit dem linken Zeitgeist unvereinbar war, und nicht zuletzt der Dichter und Kulturkritiker T. S. Eliot wurde zu einer dauerhaften metapolitischen Inspiration.
Wie wenige andere sezierte Scruton die Denker der Neuen Linken von Lukács bis Habermas und stutze sie auf ihre wahre philosophische Bedeutung zurecht. Und auch die fatalen Konsequenzen des postmodernen Denkens im Gefolge von Dekonstruktivisten wie Jacques Derrida hat Scruton früh erkannt und mit spitzer Feder aufgespießt. Dabei kam ihm seine solide Ausbildung in analytischer Philosophie zustatten, doch wurden deren Instrumente in seinen Händen nie zu einer sterilen Glasperlenspielerei. Sein unübertroffenes Lehrbuch „Modern Philosophy“ (1994) legt davon ein glänzendes Zeugnis ab.
Politisch war seine wohl wichtigste Tat die Gründung der Salisbury Review im Jahre 1982, die bis heute einen keiner Parteilinie verpflichteten Konservatismus vertritt und so stets jedem Konformismus wie auch jeder falschen Anbiederung etwa an den Thatcherismus abhold blieb. Konsequent trat Scruton dafür ein, konservativen Autoren, die an den Universitäten unterschlagen und mißachtet wurden, Gehör zu verschaffen.
Und er zeigte stets Mitgefühl mit jenen, die als „Flüchtlinge vor dem liberalen Totalitarismus“ in den angeblich so freiheitlichen Ländern ins Abseits gedrängt wurden. Seine Gedankenspiele zu einer Universität auf „Scrutopischen Grundsätzen“ bleiben in höchstem Maße aktuell.
Späte akademische Anerkennung
Wie wenig dem englischen Philosophen, der sich auch als engagierter Verteidiger der Jagd zu Wort meldete, mit Klischees beizukommen ist, macht sein ökologisch sensibler Konservatismus deutlich (Grüne Philosophie). Die aktuelle Hysterisierung der Ökologie-Debatte läßt Scruton wie einen Propheten in der Wüste erscheinen, doch wird sich sein Denksatz allemal als der nachhaltigere erweisen.
Die Anerkennung in der akademischen Welt kam für Scruton sehr spät. Die Jahre der Ausgrenzung und Diffamierung waren damit zwar nicht endgültig vorbei. Aber es ließ sich doch nicht mehr übersehen, daß Scruton mehr war als nur ein Konservativer, den man in der heutigen Kultur ungestraft unbeachtet lassen könnte. Die Erhebung in den Adelsstand im Jahre 2016 bezeugt, daß seine Heimat England in Scruton schließlich einen würdigen Repräsentanten der Nation erkannt hatte.
Seine vielleicht nachhaltigste Bedeutung könnte einerseits in der Religionsphilosophie liegen. Hier bemühte sich der lange säkular orientierte Scruton über die Jahre immer wieder darum, Phänomene wie das Heilige und das Göttliche einzukreisen. Und seine Verbundenheit mit der anglikanischen Kirche, die sich auch in seiner Aktivität als Kirchenorganist zeigte (Our Church, 2012), verweist andererseits auf das weite Feld der Ästhetik. Hier ist die Zahl der gewichtigen Publikationen Scrutons kaum zu übersehen. Epoche hat nicht nur seine „Ästhetik der Musik“ (1997) gemacht, sondern ebenso seine leidenschaftliche „Verteidigung der Schönheit“ (2012).
Das Leben unter dem Anspruch der Schönheit
Den herrschenden Relativismus, für den Schönheit bloß eine subjektive Präferenz ist, hielt Scruton für ein Mißverständnis. Denn dieser ignoriere, wie sehr Vernunft und Werte unser Leben durchdringen und somit auch die Erfahrung der Schönheit nicht einfach irrational ist. Man kann so weit gehen, in dieser Erfahrung einen Appell zu sehen, uns selbst unter den Anspruch der Schönheit zu stellen.
Und Scruton ist auch hier mit gutem Beispiel vorangegangen, indem er nicht nur als Komponist, sondern auch als Schriftsteller Kunstwerke schuf. Scrutons literarische Kritik des Platonismus in den „Xanthippischen Dialogen“ (1993) ist hier ebenso zu nennen wie seine romanhafte Verarbeitung der Erfahrung des kommunistischen Prag, als er selbst intensiv den Kontakt mit den Dissidenten gesucht hatte, die unter einer bleiernen Diktatur der politischen Korrektheit litten (Notes from Underground, 2014).
Zu seinen besten Werken aber gehören zweifellos jene, die sich einer ästhetischen Rehabilitierung Richard Wagners verschrieben haben – angefangen mit einer Studie zu Tristan und Isolde (2003) über die große Nibelungen-Analyse „The Ring of Truth“ (2016) bis hin zu seinem Parsifal-Projekt, aus dem er noch im Oktober 2018 in der Münchner Carl Friedrich von Siemens-Stiftung vortrug.
Am vergangenen Sonntag ist Sir Roger Scruton im Alter von 75 Jahren gestorben. Sein geistiges Vermächtnis, so viel Pathos darf hier sein, wird uns noch lange beschäftigen; es bietet Ansporn und Inspiration weit über den Tag hinaus.
JF 4/20