„GroKo in der Sackgasse – letzte Ausfahrt Neuwahl?“, lautete der Titel der Ausgabe von „maybrit illner“ am Donnerstag abend im ZDF. Es wurde aber schnell klar, daß, zumindest von den geladenen Gästen fast niemand ein echtes Interesse an schnellen Neuwahlen hatte. Nicht einmal die Vorsitzende der Partei, die derzeit wohl am meisten an den Wahlurnen davon profitieren würde. Grünen-Chefin Annalena Baerbock schien das Thema Neuwahlen regelrecht meiden zu wollen.
Wäre sie eine Rechtspopulistin, hätte man ihr wahrscheinlich vorgeworfen, sie habe nur Angst vor Regierungsverantwortung und vor der damit verbundenen „Entzauberung“ ihrer derzeit so populären Partei. Da sie aber keine rechte Populisten ist, durfte sie weitgehend unkritisiert, fröhlich grüne Phrasen dreschen. Darüber, wie sich die Grünen mit einer Mischung aus Ökologie und Sozialpolitik für die „breite Gesellschaft“ einsetzen würden.
Es hakt keiner nach
Immerhin erklärte Baerbock auch zumindest im Ansatz, was sie damit meinte. Nämlich, daß die Menschen jetzt in gut isolierten Wohnungen wohnen. Daß es gerade auch die immer weitergehenden Energie-Effizienzauflagen sind, die das Bauen in Deutschland so unattraktiv machen, und daß dies mitverantwortlich für die Wohnraumverknappung und die hohen Mieten ist, erwähnte sie nicht. Es hakte auch keiner wirklich nach.
Stattdessen ließen Moderatorin und Gäste die Grünen-Chefin noch ein wenig von den gemeinsamen Demonstrationen mit den Gewerkschaften (natürlich gegen Rechts) erzählen und die Regierung für ihr „Nichtliefern“ beim Thema Klimaschutz attackieren. Damit hatte Baerbock ihr Pulver dann aber auch weitgehend verschossen. Mehr brauchte sie allerdings auch nicht.
.@Markus_Soeder erwartet keinen Bruch der Großen Koalition in Berlin. Auf jeden Fall gehe Stabilität vor „sich feige vom Acker machen“.
Die ganze Sendung in der Mediathek
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Denn der grüne Zeitgeist wehte an diesem Abend auch mal wieder spürbar durch das ZDF-Studio. Sogar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der ansonsten hauptsächlich gekommen zu sein schien, um mit dem guten Ergebnis der CSU bei der EU-Wahl zu prahlen („Eines der besten in ganz Europa“), wurde von sich und der Runde für seinen Einsatz für die Artenvielfalt gelobt.
Eine Ex-Piratin fordert Neuwahlen
Natürlich durfte auch die mittlerweile obligatorische „Netzaktivistin“ in der Polittalkshow nicht fehlen. Diesmal war es die Bloggerin Katharina Nocun. Die 33jährige ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei hatte wenig substantielles zum Thema beizutragen. Dafür aber viel Meinung und ein bißchen Revolutionsrhetorik im Gepäck. Gegen die Großkonzerne, gegen die Agenda 2010, gegen die AfD, die sie immer wieder ins Gespräch brachte, indem sie sich darüber beschwerte, daß im öffentlichen Diskurs zu viel über die AfD und zu wenig über Inhalte gesprochen werde.
Nocun war übrigens die einzige in der Runde, die sich wirklich Neuwahlen wünschte. Die SPD, sagte sie, müsse wieder mutiger werden. Vor allem natürlich beim Thema Klimaschutz. Den Sozialdemokraten fehle es an der „großen Vision“. Über Helmut Schmidts berühmten Satz, „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, schrieb die Ex-Piratin 2017 auf Facebook: „Sorry, aber das ist Bullshit. Wer keine Visionen hat, den braucht eine satte Republik nicht zum Bundeskanzler wählen.“ Kevin Kühnert an der Spitze der SPD fände die Autorin, wie sie bei Illner sagte, aber „klasse“. Mit jedem Auftritt einer dieser „Netzaktivistinnen“ fällt es einem schwerer, den inneren Kulturpessimisten noch irgendwie im Zaum zu halten.
Die kommissarische SPD-Parteivorsitzende Malu Dreyer trauert derweil noch ein wenig Andrea Nahles nach. Die habe „gute Ideen“ gehabt. Neuwahlen will natürlich auch sie nicht. Auch wenn die SPD-Frau, ohne rot zu werden, behauptete: „Keiner von uns hat Angst vor einer Neuwahl.“ In Sachen Klimapolitik wollte sich auch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz natürlich nicht lumpen lassen.
Grünen-Chefin @ABaerbock betonte: „Wir brauchen soziale starke Demokraten in unserem Land.“ Gleichzeit sei sie überzeugt, dass die Grünen aber eine Rolle spielen, wenn wirklich etwas verändert werden solle.
Die ganze #illner Sendung
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Frei nach dem alten Werbemotto „Wer hat’s erfunden?“, erzählte die Übergangschefin der einstigen Bergarbeiterpartei den Zuschauern, daß die SPD schon immer Klimapolitik gemacht habe. Als Sozialdemokratin könne sie sich „keine soziale Gerechtigkeit ohne ökologische Gerechtigkeit vorstellen“.
Auch der Journalist Hajo Schumacher betonte, daß die Umweltthemen schon „40 Jahre alt“ seien. Die Jugend würde den Alten vorwerfen, daß sie hier nichts getan hätten, sondern sich lieber „Wohlstand gegönnt“ haben und für wenig Geld „um die Welt geflogen“ sind. Natürlich sind es gerade die Jungen, die sich den Wohlstand, den ihre Eltern und Großeltern erarbeitet haben, gönnen, und für wenig Geld um die Welt fliegen.
Aber das kann Hajo Schuhmacher natürlich nicht sagen. Sonst wäre er ja nicht mehr „cool mit den Kids“. Deswegen versuchte er, bei der „Generation YouTube“ auch lieber mit Tiefschlägen gegen Philipp Amthor (CDU) zu punkten. Er stellte sich dabei aber so ungeschickt an, daß er es jedes mal selbst war, der „auf den Sack bekam“, weil der Jungpolitiker der CDU die plumpe Kritik nicht nur an sich abprallen ließ, sondern sie auch recht gekonnt konterte.
Auch der CDU-Youngster kann der Versuchung nicht widerstehen
Er habe vorher schon gewettet, sagte Amthor, wann der erste „Alters-Joke“ käme. Das hat Hajo Schumacher aber nicht davon abgehalten, immer wieder Alters-Witze zu machen, und dafür immer wieder vom CDU-Youngster lässig abgewatscht zu werden. Allerdings konnte auch Amthor der Versuchung nicht ganz widerstehen, sich ein wenig grün zu geben. So brachte er zum Beispiel eine „ökologische Steuerreform“ ins Spiel; wie auch immer diese aussehen soll.
Es war also mal wieder ein ziemlich grüner Abend im ZDF. Einer, an dem sich die Grünen-Politikerin weitgehend zurücklehnen konnte, um alle anderen grün sein zu lassen. Wer die eigenen Ideen so sehr zum „Allgemeingut“ gemacht hat, der braucht wahrlich keine Neuwahlen; und sich schon gar nicht durch schnödes Mitregieren den hippen Ruf versauen.