„Time is on my side“ – als die Rolling Stones am Karfreitag 2016 ihr bewegendes Konzert auf Kuba gaben, mußten sie diesen Titel nicht extra spielen. Auch so wirkte der Auftritt als glaubwürdige popkulturelle Botschaft, die das baldige Ende des kommunistischen Castro-Regimes einläutete. Ganz anders als bei diesem Konzertdokument („Havanna Moon“) verhält es sich beim jetzt erstmals in Deutschland präsentierten Dokumentarfilm „Metal Politics Taiwan“, der Freddy Lim begleitet, Kopf der „New Power Party“, man könnte auch sagen: der Alternative für Taiwan.
Steht diese doch für die Unabhängigkeit Taiwans und damit für ein gewandeltes Selbstverständnis der jüngeren Generation. Nicht zufällig war Taiwan, wenn auch nur kurz, 1895 die erste Republik Asiens. Gleichwohl gilt für die Republic of China (ROC), so der heutige offizielle Name, schon seit Jahrzehnten: „Die Zeit arbeitet gegen Taiwan.“ Dieses Fazit eines deutschen Reiseführers von 1995 hat nichts an Aktualität verloren, droht die „Volksrepublik China“ beinahe täglich mit bellizistischer Rhetorik, sobald die „abtrünnige Provinz“ Taiwans seine Unabhängigkeit behauptet.
Gefeierter Metalsänger
Andererseits wächst in Taiwan der Widerstand gegen die hergebrachte Ein-China-Doktrin. Ausdruck dessen war 2014 die Besetzung des Parlaments durch die Sonnenblumen-Bewegung, als die Regierung der Kuomintang (KMT) über ein Wirtschaftsabkommen die Insel an China ausliefern wollte – so die Befürchtung der Studenten, die daraufhin das Parlament besetzten, und damit den Beginn eines Wandels markierten. Ergebnis dessen war die Gründung der New Power Party (NPP) durch Freddy Lim, Metalsänger der in ganz Asien gefeierten Death-Metal-Band „Chtonic“, der bereits vor seinem Wechsel in die Politik sich für die Durchsetzung der Menschenrechte engagierte.
Dabei wurde der charismatische Gründungsvorsitzende der NPP nicht zufällig zum Sujet des Regisseurs Marco Wilms. Ist es doch Kennzeichen des aus Ostberlin stammenden preisgekrönten Dokumentarfilmers, in seinen Filmen die „Kunst als Schlüssel zur Gesellschaft“ (Stadtmagazin Tip) zu begreifen, wie zuletzt in seiner packenden Dokumentation „Art War“, die eigentlich eine Oscar-Nominierung verdient hätte. Dabei präsentiert auch „Metal Politics Taiwan“ ein Drama, allerdings nicht auf den ersten Blick – gerade so, als befände sich der Beobachter „im Auge des Taifuns“.
Zeitreise in furioser Tarantino-Manier
Das gilt auch für die lange beschwiegene Geschichte des noch immer verehrten Kuomintang-Führers Chiang Kai-shek, den Freddy Lim zu Recht als „Massenmörder“ bezeichnet, dessen Kollaboration mit den Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren das Video des Chtonic-Songs „Supreme Pain for the Tyrant“ thematisiert, wo auf einer Zeitreise in furioser Tarantino-Manier mit den Tätern kurzer Prozeß gemacht wird. Dabei ist Freddy Lim überzeugt, so sein Auftritt zur Filmpremiere in Berlin, daß die Leute in Geschichtsfragen nicht indoktriniert, sondern durch die Darstellung in den Künsten berührt werden sollten. Vor der monströsen Gedenkhalle Chiang Kai-sheks schreckt Lim zurück, denn darin werde ihm übel. Werde dort doch ein weltweit berüchtigter Massenmörder verehrt. Der deutsche Beobachter erinnert sich hier plötzlich an Robert Harris´ Roman „Fatherland“.
Indes sind alle historischen Analogien trügerisch, wie auch das Wort manches heute handelnden Politikers. In bezug auf Taiwan zeigt dies vielleicht nichts deutlicher als die Forderung von Bundeskanzlerin Merkel auf dem jüngsten CDU-Wirtschaftstag, als sie eine einige EU forderte, um dadurch eine gemeinsame Position gegenüber Rußland oder China einzunehmen. Dabei ist diese längst Realität: Beschloß doch die EU vor einigen Jahren einen Passus, demzufolge für Taiwans Staatsoberhaupt, wie derzeit die Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP), ein inoffizielles Einreiseverbot für sämtliche EU-Staaten besteht.
Die so oft beschworene „Wertegemeinschaft“ ist hier längst Realität – und macht einmal mehr deutlich, daß der Angriff Chinas zur Erweiterung seiner Hegemonie längst Realität ist. Um so mehr ist „Metal Politics Taiwan“ eine breitere deutsche Öffentlichkeit zu wünschen, zählt Freddy Lim doch bereits jetzt zu den „Entscheidern“. So sieht es der Repräsentant Taiwans in Deutschland, der Germanist Jhy-Wey Shieh, der in Taiwan als Talkshowmaster legendär ist, nicht zuletzt durch seine kalauernde etymologische Expertise: Anspielend auf den Bandnamen „Chtonic“ bezeichnete er sich als „Untergrund-Botschafter.“