An dieser Politikerin beißen sich Gegner offenbar die Zähne aus. Angela Merkel steuert ihre vierte Kanzlerschaft an und scheint so fest wie nie im Sattel zu sitzen. Wie ist das nur möglich? Als die Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2005 knapp vor der SPD lagen, kam es in der Elefantenrunde abends im Fernsehen zum legendären Ausbruch des unterlegenen Kanzlers Gerhard Schröder: „Sie kann es nicht!“ Das Lächeln von Merkel deutete schon an, wer hier den längeren Atem behalten sollte.
Mit dem gerade verstorbenen Altkanzler Kohl teilt Merkel das Schicksal, oft unterschätzt worden zu sein. Reihenweise deklassierte sie Männer, die glaubten, sie zur Seite drängen zu können: Friedrich Merz, Roland Koch – zuletzt auch Horst Seehofer. Den brüllenden bayerischen Löwen verwandelte sie pünktlich zum Wahlkampf in ein schnurrendes Kätzchen.
Eine im Grunde katastrophale Bilanz
In einem Sammelband versammelt der Wirtschaftsjournalist Philip Plickert 22 hochkarätige Merkel-Kritiker, die eine im Grunde katastrophale Bilanz ziehen. Daß die angeblich rational, naturwissenschaftlich kalkulierende Politikerin die Dinge „vom Ende her“ denke, sei eine Legende. Tatsächlich vollziehe sie immer wieder sprunghafte Winkelzüge, die letztlich purem Opportunismus entspringen. So bei der Energiewende, bei der Euro-Rettung, beim Ausstieg aus der Wehrpflicht und bei der Grenzöffnung im Jahr 2015.
Phänomenal ist nun, wie Merkel sich aus einer für sie atmosphärisch gekippten Stimmung des Jahres 2016, als die Parole „Merkel muß weg“ konsensfähig zu werden schien und die AfD in Umfragen zeitweise auf über 15 Prozent kletterte, wieder herausmanövrierte.
Nie ein Kampf um Grundsätze
Nie wird man Merkel erleben können, wie sie um Grundsätze kämpft und dafür bereit wäre, notfalls auch die Macht aufzugeben. Vielmehr hat sie ein perfektes Sensorium entwickelt, wohin sich Trends wenden, wie sich die Waage neigen könnte. Und so gibt sie auch in dieser Woche kaltblütig die Verteidigungslinie gegen die „Ehe für alle“ auf, auch wenn mehrere CDU-Parteitage dieses linke Projekt verworfen hatten. Merkels politische Kosten-Nutzen-Analyse und ein müder Blick in demoskopische Umfragen ergab: Irrelevant für die Wahl, also haken wir den konservativen Ballast ab.
Die Schwäche ihrer Kritiker ist ihre Stärke
Die Schwäche ihrer konservativen Kritiker ist ihre Stärke. Merkel gibt dem stärksten Druck nach. Und der kommt von links. Wie ein Chamäleon verwandelt Merkel sich den wechselnden Lagen und Stimmungen an. Oder wie beim Märchen vom Hasen und vom Igel ruft sie immer schon „Ick bin all hier“, noch bevor sie die rot-grünen Verfolger eingeholt haben.
Und die AfD? Statt die von Merkel geräumte bürgerliche Leerstelle zu besetzen, treibt sie mit Gezänk und irrlichternden Signalen viele Wähler FDP und CDU wieder in die Arme.
JF 27/17