BERLIN. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Deutschen zu mehr Offenheit gegenüber Einwanderern aufgefordert. Viele Einwanderer, die in Deutschland zu Hause seien, fühlten sich noch immer ausgegrenzt. Das dürfe nicht sein, sagte Gauck anläßlich einer Einbürgerungsfeier im Schloß Bellevue. „Hören wir auf, von ‘wir’ und ‘denen’ zu reden. Es gibt ein neues deutsches ‘Wir’, die Einheit der Verschiedenen. Und dazu gehören Sie genauso selbstverständlich wie wir“, versicherte Gauck den Eingebürgerten.
Ein Blick in den Saal genüge ihm, um zu sehen, wer Deutscher sei, werde künftig noch viel weniger als bisher am Namen oder am Äußeren zu erkennen sein. „Der Blick ins Land zeigt, wie – ja ich würde sagen – skurril es ist, wenn manche der Vorstellung anhängen, es könne so etwas geben wie ein homogenes, abgeschlossenes, gewissermaßen einfarbiges Deutschland. Es wird zunehmend als Normalität empfunden, daß wir verschieden sind – verschiedener denn je.“
Einwanderung als „Bereicherung“
Die Haltung, daß Deutschland kein Einwanderungsland sei, sei zum Glück weitgehend überwunden, lobte Gauck. „Wir können sagen: Deutschland ist auf einem guten Weg und hat große Wegstrecken bereits zurückgelegt.“ Der größte Schritt sei hierbei die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts 1999 gewesen. Aber auch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft durch die Große Koalition sei ein „Ausdruck der Lebenswirklichkeit“. „Unser Land lernt gerade, daß Menschen sich mit verschiedenen Ländern verbunden und trotzdem in diesem, unserem Land zu Hause fühlen können. Es lernt, daß eine Gesellschaft attraktiver wird, wenn sie vielschichtige Identitäten akzeptiert und niemanden zu einem lebensfremden Purismus zwingt.“
Das Miteinander der Verschiedenen habe Deutschland kulturell und menschlich so viel positive Erfahrungen beschert, „daß wir ganz bewußt das schöne Wort ‘Bereicherung’ verwenden dürfen“, zeigte sich der Bundespräsident glücklich. Er selbst habe in dieser Frage einen Lernprozeß hinter sich. Er komme aus Mecklenburg, erzählte Gauck. Dort seien sich die Menschen, wie generell in der DDR, ziemlich ähnlich gewesen.
Er habe aber bemerkt, daß man in wenigen Jahren sein Bild von „Ich“ und „Wir“ ändern könne. Es seien Begegnungen mit Menschen verschiedener Herkunft gewesen, die sein Bild verändert hätten. Heute wisse er: „Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt akzeptieren. Wir wollen dieses vielfältige ‘Wir’. Wir wollen es nicht besorgnisbrütend fürchten. Wir wollen es zukunftsorientiert und zukunftsgewiß bejahen.“
Einwanderung muß überall sichtbar sein
Sicherlich seien mit einer Einwanderungsgesellschaft auch Probleme wie Ghettobildung, Jugendkriminalität, patriarchalische Weltbilder, Homosexuellenfeindlichkeit, Sozialhilfemißbrauch, Fundamentalismus und Antisemitismus verbunden. Diese Probleme dürften auch nicht verschwiegen werden, mahnte Gauck. Gleichzeitig müsse aber auch darauf geachtet werden, mit der Kritik an solchen Phänomenen nicht ganze Gruppen zu stigmatisieren. Auch dürften kulturelle und soziale Ursachen nicht vermischt werden.
Zudem forderte der Bundespräsident, daß es in Deutschland nicht nur beim Fußball oder in der Tagesschau, sondern überall sichtbar werden müsse, daß jeder Fünfte mittlerweile eine Einwanderungsgeschichte habe. „Wir brauchen viel mehr Rollenvorbilder, viel mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Schulen und Behörden, bei Polizei und in Kindergärten, in Theatern und Universitäten, in Redaktionen und Ministerien, in Parteien und Verbänden.“ (krk)