Gegenwärtig stehen etwa 7.000 Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen: unter anderem in Afghanistan, auf dem Balkan, vor der libanesischen Küste. Seit 1993 sind rund 70 deutsche Soldaten bei solchen Unternehmungen getötet worden. Ein Ende ist nicht abzusehen, dabei nimmt ihre Gefährlichkeit zu.
Während die Bevölkerung mehrheitlich gegen diese Aktionen ist – in ihrer Ablehnung aber bemerkenswert indifferent und passiv bleibt –, stimmt die politische Klasse fast geschlossen dafür. Die Bundesregierung hat sich gerade für die neuerliche Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes ausgesprochen, eine Sudan-Aktion ist geplant.
Es ist erstaunlich, wie wenig in Deutschland über Sinn und Folgen dieser Politik diskutiert wird. Und während Pläne für Denkmäler die Wellen der Erregung gewöhnlich hochschlagen läßt, gehen die Planungen für ein Ehrenmal im Berliner Bendlerblock, das den gestorbenen und gefallenen Bundeswehrangehörigen gewidmet sein soll, an der Öffentlichkeit vorbei. Woran liegt das?
Es geht um das Sterben von Soldaten. Damit wird ein individueller und kollektiver Grenzfall berührt, die Verteidigung des bedrohten Gemeinwesens, für das der einzelne das höchste Opfer bringt. Von dieser Konstellation fühlt sich der moderne westliche Mensch, der seine Prägungen von einer überalterten Spaßgesellschaft und einem abgelebten Sozialstaat empfängt, bedroht und überfordert. Er verdrängt den Gedanken an Tod und Schmerz, das Opfer erklärt er zu einer historisch erledigten Kategorie, die eigene Bequemlichkeit wird zum Ausweis aufgeklärten Postheroismus‘ erhoben.
In Deutschland treibt diese Entwicklung besonders lächerliche Blüten, weil hier ein politisch-historisches Gedächtnis nicht existiert bzw. exklusiv auf den NS-Staat ausgerichtet ist. Der Gedanke an eine außen- und militärpolitische Staatsräson gilt als obszön oder quasifaschistisch, während man sich paradoxerweise darauf verläßt, daß der Staat als Instanz stets in Aktion tritt, um Wohlstand und die persönliche Sicherheit zu garantieren.
Im übrigen: Was immer sich gegen die Nachkriegskonstellationen und die USA-Dominanz sagen läßt: Es war im Kalten Krieg sehr bequem, unter dem militärischen Schirm der Amerikaner zu leben und keine eigene Verantwortung wahrnehmen zu müssen.
<---newpage---> Bundeswehr als Fremdkörper im Staat
Diese politische Grundkonstellation war für Deutschland mentalitätsgeschichtlich folgenreich: In ihrem Schutz bzw. Schatten und im Zeichen des Massenwohlstands summierten die privaten Peter-Pan-Existenzen sich zu einem kollektiven Zustand, der zudem hypermoralisch überhöht wurde. Eine Folge davon ist eine allgemeine Infantilität gegenüber politischen und militärischen Überlebensfragen.
Die jetzt nachgewachsene politische Klasse ragt über diese allgemeine Inferiorität und Infantilität kaum hinaus, sie bildet – insbesondere bei den Grünen und dem Juso-Nachwuchs – teilweise sogar ihre Avantgarde. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Politiker, Meinungsmacher usw. sich den Zumutungen des Wehrdienstes aus reiner Bequemlichkeit entzogen haben. Die Besonderheiten des Soldatenberufs, die soldatische Ethik usw. können bei ihnen nur bewußte oder unbewußte Aversionen auslösen.
Entsprechend bildet die Bundeswehr einen Fremdkörper im Staat. Davon zeugen – bei steigender Beanspruchung – ihre finanzielle und materielle Auszehrung, das „Soldaten sind Mörder“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Skandalisierung von – teilweise inszenierten – Erscheinungen angeblichen „Rechtsextremismus‘“, die grundsätzliche gesellschaftliche Mißachtung, die Absetzung fähiger, politisch aber mißliebiger Offiziere wie Brigadegenerals Reinhard Günzel durch subalterne Politiker oder die Unfähigkeit, das Spiel von im tödlichen Risiko lebenden Bundeswehrangehörigen mit afghanischen Totenschädeln psychologisch angemessen zu deuten.
Und auf was für einem erbärmlichen Niveau wird über die Auslandseinsätze diskutiert! Beispielhaft dafür sind die jugendlich-naiven Argumente (etwa die Durchsetzung von Bildungsrechten für Muslimas), mit der die immerhin schon ins Rentenalter eingetretene Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) ihre Notwendigkeit begründet.
Zu den absurden Widersprüchen gehört, daß von deutschen Soldaten erwartet wird, Tausende Kilometer von zu Hause entfernt ihren Kopf hinzuhalten gegen den Vollzug der Scharia, während in Deutschland ihre stille Einführung zur Politik der kulturellen Toleranz und der „Menschenrechte“ gehört.
Die deutsche Wehrpolitik ist sachlich und moralisch völlig bodenlos. Auch daraus erklärt sich das Schweigen über sie: Um nämlich sinnvoll über sie zu diskutieren, müßte sie zunächst einmal verworfen werden. Damit aber würde man auf die gegenwärtige Staatsverfassung als Ganzes zielen.
<---newpage---> Würde des Staates wird durch geschichtliche Negativbezüge definiert
In dieser Situation kann jungen Deutschen praktisch nicht empfohlen werden, für diesen Staat den Wehrdienst zu leisten und das Risiko des Todes auf sich zu nehmen. Wofür sollten sie das tun? Betrachten wir die innere und die äußere Situation.
Die offizielle Konzeption des „Staatsbürgers in Uniform“ geht an der Realität vorbei. Sie knüpft an das 19. Jahrhundert an, als der Staatsbürger sich in der Tat als Träger einer überpersönlichen Pflicht fühlte, stolz darauf war und, wo er sie nicht besaß, alles daran setzte, sie auf sich nehmen zu dürfen. Diese Haltung kann nicht mehr auf die Gegenwart übertragen werden.
Heute wird der Staat, soweit er Pflichten einfordert, als eine Zumutung empfunden, nicht als das, was mitzugestalten, zu erhalten und zu schützen ist. Ein Soldat, der von Berufs wegen seine Würde daraus bezieht, daß er sein Leben zum Schutz und Wohle des deutschen Volkes einsetzt, macht sich in dessen verblendeten Augen lächerlich.
Sein Opfer wird gar nicht als solches erkannt und angenommen, sondern auf einen psychischen oder sozialen Defekt zurückgeführt. Das ist kein Wunder in einem Staat, dessen Würde von seinen Funktionsträgern durch geschichtliche Negativbezüge definiert wird.
Da Deutschland keine eigene außen- und wehrpolitische Räson besitzt, wird sie ihm von anderen zugewiesen. Nun ist gegen Bündnis- oder supranationale Strukturen und Verpflichtungen überhaupt nichts einzuwenden. In der Praxis sieht es aber so aus, daß die Berliner Politik deutsche Soldaten an US-Berserker verscherbelt. Weil sich aus dieser vasallenhafte Lehenstreue kein Pathos entwickeln läßt, werden die Einsätze beschönigt und als klinisch reine Sache dargestellt.
Wenn Bundeswehrsoldaten bei Einsätzen sterben, dürfen sie nicht einmal Gefallene heißen, also die Würde des Soldatentods für sich in Anspruch nehmen. Das Ehrenmal soll gar kein Ort der Ehrung, der Reflexion, der Selbstvergewisserung sein, sondern eine endgültige Grabplatte, damit kein Ruf heraufdringt: Warum? Wozu? Deshalb geht es als geheime Kommandosache über die Bühne.