Wenn das Klima zu warm wird, solle man doch einfach die Sonne abschalten. Was wie eine Verballhornung des der Königin Marie Antoinette zugeschriebenen Kuchen-Zitats klingt, wird aktuell im US-Kongreß ernsthaft diskutiert. Die Methoden, um dies zu verwirklichen, sind auch keineswegs so weit in der Science-fiction verankert, wie es zunächst den Anschein hat.
Im vergangenen Juni wurde ein Forschungsbericht veröffentlicht, den der US-Kongreß in Auftrag gegeben hatte und der sich mit der Frage befaßt, wie die Sonneneinstrahlung verringert werden kann, die bei uns auf der Erde ankommt (Solar Radiation Modification, SRM). Vorschläge, wie genau dieses Ziel erreicht werden kann, gibt es reichlich: Der „Holzhammer“ unter diesen Strategien beinhaltet, großflächige Objekte im Weltraum zu errichten, die als überdimensionierter Sonnenschirm eine partielle Sonnenfinsternis erzeugen können, sodaß in ihrem Schatten sich die Erde abkühlt.
Selbstverstärkender Rückkopplungseffekt
Daß technische und finanzielle Grenzen dieses Vorhaben quasi unmöglich machen, zeigt sich dadurch, daß der Forschungsbericht sich explizit nicht mit weltraumbasierten „Spiegeln im Weltall“ befaßt. Ebenso wird ausgeschlossen, „lokal basierte Maßnahmen zur Erhöhung der Oberflächenreflexion“, etwa „weiße Dächer“, näher in Betracht zu ziehen.
Bemerkenswerterweise hat diese Maßnahme allerdings schon einmal lange vor den ersten Menschen auf vollkommen natürliche Art und Weise das Weltklima abgekühlt: Vor über 700 Millionen Jahren führten sich ausbreitende Polkappen dazu, daß mehr Sonnenlicht von den weißen Eisflächen reflektiert wurde, so daß die Erde sich abkühlte. Ein selbstverstärkender Rückkopplungseffekt begann, an dessen Höhepunkt Eisgletscher selbst in Äquatornähe auftraten. Erst vulkanische Aktivität konnte den Teufelskreis der „Schneeball-Erde“ durchbrechen und die Erde wieder auf eine Temperatur anheizen, die für mehrzelliges Leben geeignet war.
The BBC's Earth series continues tonight at 9pm on BBC Two with "Snowball", which tells the story of a 50 million year deep freeze that nearly extinguished all life.
This VFX breakdown demonstrates how we created the volcanic eruptions that drove a great thaw and allowed life to… pic.twitter.com/O6Sj932GLv
— Moonraker VFX (@moonrakervfx) July 24, 2023
Das „Jahr ohne Sommer“ als Vorbild
Dieses katastrophale Beispiel von Mutter Natur soll dem Kongreß jedoch nicht als Vorbild dienen. Stattdessen fokussiert man sich auf das Einsprühen von Aerosolen in die Stratosphäre (Stratospheric Aerosol Injection/SAI) und die Aufhellung von Meereswolken (Marine Cloud Brightening/MCB) als realistisch durchführbare Methoden. SAI injiziert Aerosole in die Stratosphäre, die zweitniedrigste Atmosphärenschicht zwischen 15 und 50 Kilometern Höhe, damit diese kleinen Partikel das einfallende Sonnenlicht reflektieren.
Die jüngere Erdgeschichte liefert auch hierzu ein natürliches Vorbild: das „Jahr ohne Sommer“ 1816. Der Vulkanausbruch des indonesischen Tambora im Vorjahr schleuderte so viel Asche in die Atmosphäre, daß die Sonne in einem Radius von 600 Kilometern zwei Tage lang fast völlig verdunkelt wurde. Dies führte auch in Europa und Nordamerika zu Mißernten, Hungersnöten und dem kältesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Sollten durch eine Fehlkalkulation ähnliche Effekte auftreten, wären die Konsequenzen der Mißernten angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung nur um so verheerender.
In Israel ist die Wettermanipulation gescheitert
Ein ähnliches Konzept liegt dem MCB zugrunde, das die Bildung von weißen, stark reflektierenden Wolken über dem Meer anregen soll. Auch hierfür werden Aerosole vorgeschlagen, die allerdings als Kondensationskeime dazu dienen, über den sogenannten Twomey-Effekt die Wolkenbildung auszulösen. Tatsächlich läßt sich dieser Effekt als Nebenprodukt bei großen Schiffen beobachten, deren Abgase Aerosole beinhalten, so daß sich Wolkenlinien über dem Fahrtweg des Schiffs bilden.
Zahlreiche Länder haben insbesondere in trockenen Regionen schon versucht, über dieses Verfahren mit versprühtem Silberiodid Regenwolken zu erzeugen. Der Erfolg ist gemischt, so daß beispielsweise Israel nach über sechs Jahrzehnten sein Projekt hierzu 2021 abgebrochen hat.
Feindbild Zirruswolke
Eine dritte Methode, die der Bericht beleuchtet, ist das Ausdünnen von Zirruswolken (Cirrus Cloud Thinning/CCT), obwohl es sich dabei strenggenommen nicht um die Beeinflussung der Sonneneinstrahlung handelt. Auch ohne menschliche Hilfe wird ein Teil des Sonnenlichts wieder von der Erde reflektiert, doch Zirruswolken absorbieren diese Rückstrahlung auf ihrem Weg in das Weltall.
Einen wunderschönen Nikolaus 🙋🏻♂️
Die Sonne lacht an diesem Sonntag am Himmel, neben einigen hohen #Zirruswolken. Wettertechnisch bleibt es heute trocken und mild (Maxima 12°C! Minima nachts 7°C), bei spürbar mäßigem in Böen frischem Südostwind#Wetter #Berlin #Dezemberfrühling /GP pic.twitter.com/7rAuUOhZ8q— Wetter Berlin Dahlem (@wind_berlin) December 6, 2020
Werden die Zirruswolken ausgedünnt, kann mehr Licht bzw. Wärme wieder in den Weltraum entfliehen, ohne die Erde aufzuwärmen. Auch hierfür werden Aerosole vorgeschlagen, um die Zirruswolken abregnen zu lassen, doch die Forschung ist hier noch in den Kinderschuhen.
Nur Ergänzung zu den „Elementen der Treibhausgasreduktion“?
Doch auch die anderen vorgeschlagenen Methoden sind keineswegs so weit ausgereift, daß sie sich auf dem Weg zur Produktreife befinden. Stattdessen liest sich der Kongreßbericht eher wie eine Wunschliste eines Forschungsdirektors, der um Fördergelder für seine neuesten Ideen werben will: das vorgeschlagene Forschungsprogramm dreht sich lediglich um eine „verbesserte Quantifizierung der Effekte von möglichen SRM-Methoden“, nicht um die tatsächliche Umsetzung.
Für diese Machbarkeitsstudie sollen neben besseren Beobachtungen und Messungen der Atmosphäre durch Bodenstationen und Satelliten auch neue Simulationsmodelle entwickelt werden, die die Effekte von SRMs prognostizieren können.
Wenn Wettermachen zur Waffe wird
Neu ist die Debatte nicht, schon vor über einem Jahrzehnt hat Hans Joachim Schellnhuber, damals Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die SRM-Forschung kritisch beäugt. Ausdrücklich warnt er vor dem Potential eines Wettrüstens, denn einige Länder „können tatsächlich eine Aufwärmung ihres Territoriums begrüßen“ und basierend auf den hier vorgestellten Methoden die Klimaerwärmung anheizen.
Dennoch ist der Kongreßbericht alles andere als eine Abkehr von der etablierten Klimapolitik. So sollen all diese Maßnahmen nur ergänzend neben den „fundamentalen Elementen der Treibhausgasreduktion“ eingesetzt werden. Über Klimafragen hinaus kann die Kontrolle des Wetters zahlreiche Vorteile mit sich bringen, zum Beispiel Dürrephasen verhindern oder schwere Unwetter vorzeitig entschärfen. Doch Schellnhubers Warnung, daß die Büchse der Pandora auch in fremde Hände geraten kann, sollte angesichts der verheerenden Mißernten nach dem Jahr ohne Sommer nicht ungehört verhallen.