Die im Jahr 1900 in Würzburg geborene Margret Boveri war in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts so etwas wie ein weiblicher Scholl-Latour; als Journalistin und Verfasserin von Reisebüchern wurde sie damals über Deutschland hinaus sehr bekannt. Ihre damals im Züricher Atlantis-Verlag erschienenen drei Reisebücher „Das Weltgeschehen am Mittelmeer“ (1936), „Vom Minarett zum Bohrturm“ (1938) und „Ein Auto, Wüsten, blaue Perlen“ (1939) waren flott geschrieben und verbanden eigene Erlebnisse mit einer oft ins Schwarze treffenden Analyse der politischen Krisenherde Südeuropas und des Vorderen Orients. Noch heute sind sie von Interesse, weil in Boveris Schilderungen und Analysen trotz aller Zeitbedingtheit doch vielfach die historischen Ursachen für gegenwärtige Probleme der Welt des Nahen Ostens aufscheinen.
Margret Boveri entstammte einer besonderen Familie: Beide Eltern waren Naturwissenschaftler, der Vater lehrte als Zoologe an der Universität Würzburg; die Mutter, eine Biologin, war gebürtige US-Amerikanerin. Die junge Margret wurde privat erzogen, die Eltern lehnten eine christliche Erziehung ab. Nach dem Abitur studierte sie mit vielen Unterbrechungen, unternahm Reisen und absolvierte längere Auslandsaufenthalte, nicht nur in der Heimat ihrer Mutter. Schließlich ging sie an die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, machte ihren Abschluß in den Fächern Geschichte und Philosophie und promovierte 1932 bei Hermann Oncken – einem der seinerzeit prominentesten deutschen Historiker – mit einer damals sehr aktuellen zeitgeschichtlichen Studie über die Politik des britischen Außenministers im Jahr 1914, Sir Edward Grey.
„Es ist doch eine ungeheuerliche Sache, die hier vor sich geht“
Inzwischen hatte sie beschlossen, den Beruf der Journalistin zu ergreifen; ihren Weg begann sie als Volontärin, bald darauf schon als außenpolitische Redakteurin im Berliner Tageblatt. Ihr Mentor wurde Paul Scheffer, damals einer der prominentesten deutschen Journalisten, der seiner Schülerin zur Distanz gegenüber den 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten riet. Daran hat sie sich auch – im großen und ganzen – gehalten, wenngleich sie eine Emigration für sich selbst strikt ablehnte. Jahrzehnte später hat sie in dem heute ebenfalls noch sehr lesenswerten Buch „Wir lügen alle – Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler“ (1965) ihre damaligen Erfahrungen eindringlich geschildert und dabei auch ihrem früheren Vorgesetzten und journalistischen Lehrer Paul Scheffer ein Denkmal gesetzt.
Bald schon ging sie als Korrespondentin auf lange Auslandsreisen, in deren Folge sie ihre Reisebücher schrieb, und endlich konnte sie ihr berufliches Ziel erreichen: sie wurde Mitarbeiterin der Frankfurter Zeitung, für die sie zwischen 1939 und 1943 als Auslandskorrespondentin zuerst aus den USA, später aus dem neutralen Schweden berichtete. Als ihre Zeitung 1943 verboten wurde, war sie kurze Zeit auf der Iberischen Halbinsel tätig, ab dem Frühjahr 1944 schrieb sie, inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt, für die von Goebbels herausgegebene Wochenzeitung Das Reich – diese Tätigkeit hat man ihr später vorgeworfen.
Mit dem Herannahen des Kriegsendes, das die realistisch denkende und illusionslos analysierende Journalistin seit längerem hatte kommen sehen, beschloß sie, in Berlin zu bleiben und ihre Erlebnisse detailliert aufzuzeichnen. Erst ein knappes Vierteljahrhundert nach Kriegsende hat sie diese Texte in einem Buch gesammelt veröffentlicht: „Tage des Überlebens – Berlin 1945“, erschienen 1968. „Es ist doch eine ungeheuerliche Sache, die hier vor sich geht“, notiert sie wenige Tage nach Kriegsende im Mai 1945, „dieses Ende von Berlin und wohl von ganz Preußen. Und das steckt mir offenbar tief im Blut, das Gefühl, für die anderen Menschen, die es nicht miterlebten, diese Vorgänge festhalten zu müssen.“ Mit diesem noch immer faszinierenden und bewegenden Buch – vielleicht ihrem wichtigsten – hat Boveri, wie einer ihrer Bewunderer, der verstorbene FAZ-Redakteur Henning Ritter einmal schrieb, „ein großes, durch die Umstände einzigartiges literarisches Zeugnis hinterlassen“.
Boveris „Amerikafibel für erwachsene Deutsche“ bereitet ihr Ärger
Nach dem Krieg blieb sie – freilich bald schon wieder von Reisen unterbrochen – in Berlin-Dahlem, wo sie bis zu ihrem Tod wohnte. Die überzeugte Junggesellin band sich jetzt nicht noch einmal an eine Zeitung oder an einen einzigen Arbeitgeber, wie sie überhaupt in strikter Distanz zu allen Besatzungsmächten – auch den westlichen – stand, sondern wagte ein Leben als freie Journalistin und Autorin.

Ihr erstes Buch nach dem Krieg trug den sprechenden Titel „Amerikafibel für erwachsene Deutsche“ und erschien schon 1946, auf stark holzhaltigem Papier gedruckt, in einem Berliner Verlag. Boveri verarbeitete darin die Erfahrungen aus ihrem mehrjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten bis 1941 und zeichnete darin ein recht ungeschminktes, in Teilen überaus kritisches Bild der Mentalität der zeitgenössischen Amerikaner. Das Buch wurde von den dort Dargestellten denn auch recht ungnädig aufgenommen; es durfte nicht mehr bzw. nur noch unter dem Ladentisch verkauft werden, und der Autorin brachte es ein Einreiseverbot in die USA ein. Ihre kranke Mutter, die dort lebte und 1950 verstarb, hat Margret Boveri deshalb nicht mehr wiedersehen können.
Ihr nächstes großes Werk erschien gleich in vier Bänden im Rahmen der heute fast schon legendären Taschenbuchreihe „Rowohlts Deutsche Enzyklopädie“; es behandelte den „Verrat im XX. Jahrhundert“ unter den verschiedensten Gesichtspunkten: als „unsichtbares“ und „sichtbares“ Geschehen, als Agieren „für und gegen die Nation“, auch als Kampf ideologischer Fronten gegeneinander. Das Buch wurde nicht immer zustimmend aufgenommen; manche Leser störte es, daß auch der – von Boveri ausdrücklich positiv gewertete – Widerstand des 20. Juli in den größeren Kontext des „Verrats“ gestellt wurde. Für sie war das von ihr analysierte Gesamtgeschehen des Verrats in seinen unterschiedlichsten Formen Ausdruck der „Krankheit unserer Zeit“, die sie als „Bewußtseinsspaltung im Menschen selbst“ und als dessen „Verlust der Heimat in seinem Verhältnis zur Umwelt“ definierte.
Patriotin bis zum Schluß
Boveri verstand sich ausdrücklich als deutsche Patriotin, wechselte – inzwischen auch gedruckte – Briefe mit Ernst Jünger und Armin Mohler und kritisierte nachdrücklich die Westpolitik Adenauers. Erst kurz vor ihrem Tod konnte sie ein positiveres Bild der Bundesrepublik gewinnen; die deutsche Teilung hat sie stets als Katastrophe angesehen. Insofern muß man die Tatsache eher als zwiespältig betrachten, daß sie in ihren späten Jahren ausgerechnet den linken Ex-DDR-Schriftsteller Uwe Johnson zu ihrem engsten Vertrauten erkor, auch wenn sie offenbar nur mühsam dessen Erkundungen ihrer Vergangenheit im Dritten Reich und dessen Vorwürfe, ihre journalistische Tätigkeit vor 1945 betreffend, ertrug. Immerhin ermunterte er sie zur Abfassung ihrer Autobiographie, die Johnson, zumeist nach aufgezeichneten Gesprächen auf dem Tonband, schließlich zwei Jahre nach Boveris Tod unter dem Titel „Verzweigungen“ herausgab.
Von manchen Autoren wird Boveri auch heute noch dafür kritisiert, daß sie nicht in die Emigration gegangen war, was für die Tochter einer US-Amerikanerin vermutlich nicht besonders schwierig gewesen wäre. Sie blieb, trotz ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus, weil sie sich als deutsche Patriotin begriff. Zum Widerstand hatte sie, die mit Adam von Trott zu Solz gut bekannt war, wenigstens lockeren Kontakt. Als Angehörige der um und kurz nach 1900 geborenen „Kriegsjugendgeneration“ war ihr frühes Leben stärkstens durch den Ersten Weltkrieg und dessen Ausgang beeinflußt worden. Die Erfahrung des Verlustes eines ehemals sicheren und geordneten Lebens, die Schmach der Niederlage von 1918, die materielle Ausplünderung durch die Siegermächte, die territorialen Verluste des Kriegsverlierers Deutschland, überhaupt die schwere Demütigung durch den Versailler Vertrag – dies alles prägte jene Generation zutiefst.
Daß Boveri, der man nur wenige journalistische Fehlleistungen nach 1933 und vor 1945 vorwerfen kann, ihrem Heimatland treu blieb und versuchte, sich mit Hilfe von Kompromissen in schwierigster Zeit beruflich und persönlich über Wasser zu halten, kann und darf man ihr aus heutiger Sicht nicht mehr übelnehmen. Sie glaubte stets an das „gute Deutschland“, das sie zeitweilig wohl als notwendiges Gegengewicht gegen die von ihr – nicht nur in der „Amerikafibel“ beklagte – allgemeine „Standardisierung“ und die „mechanisierte Uniformiertheit“ der westlichen Welt aufgefaßt hat. In ihrer Spätzeit galt sie zu Recht als die große alte Dame des deutschen Journalismus. Sie starb vor genau einem halben Jahrhundert, am 6. Juli 1975.