Die Lehre des Gottes kam aus dem Osten und fand rasche Verbreitung im römischen Reich. Seiner Gemeinde trat man durch die Taufe bei. Für den Entschluß waren der Wunsch nach Erlösung und der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ausschlaggebend. Dazu kam die Angst vor ewiger Verdammnis im Jenseits, wenn man im Diesseits gegen die Gebote des Gottes verstieß. Nur er war Heiland und Retter. Deshalb folgten ihm seine Anhänger. Sie bildeten einen engen Zusammenschluß und kamen regelmäßig zu Gottesdiensten an verborgene Orte.
Im Zentrum ihrer Lehre stand, daß wechselseitiges Vertrauen und moralisch einwandfreies Verhalten das Wohlgefallen des Gottes garantierten. Für seine Anhänger war er das Licht der Welt. Seine Geburt unter dramatischen Umständen feierte man deshalb an einem Tag nahe der Wintersonnenwende.
Nein, die Rede ist nicht von Christus und den Christen, sondern von Mithras, jenem ursprünglich aus Persien stammenden Gott, dem das Archäologische Museum in Frankfurt am Main gegenwärtig eine Ausstellung widmet. Selbstverständlich nimmt die auch die großen Unterschiede zwischen Christentum und Mithras-Kult in den Blick. So hatte Mithras keine Verbindung mit der biblischen Tradition, sondern entstammte dem iranischen Pantheon.
Der Stier ist tot – Tür 22 ✨ im OF-#Adventskalender!
196 Jahre nach seiner Entdeckung ist das drehbare Kultbild mit Darstellung der Stiertötung durch Mithras erstmals in #Frankfurt @Archaeol_Museum zu sehen! Anfang Januar 1826 wurde es im Mithräum I des römischen Nida entdeckt. pic.twitter.com/vWmy32d3vu— Orbis Ferrorum (@OFerrorum) December 22, 2022
Er dürfte in irgendeiner Weise mit Mithra, dem „Gott der Verträge“, in Verbindung gestanden haben. Genauer läßt sich das nicht sagen, und auch sonst ist unser Wissen über das „Evangelium“ des Mithras sehr begrenzt, da es anders als das christliche nur im Geheimen weitergegeben wurde. Immerhin hat die Forschung an Hand von Funden in den Überresten der Mithras-Tempel – der sogenannten Mithräen – festgestellt, daß im Zentrum dieses Kultes die Tötung eines Urstiers durch den Gott gestanden hat. Ein Opfer, das das Leben im Kosmos regenerierte. Dieser „Tauroktonie“ (Stiertötung) entsprach eine „Taurobolie“ (Stiertaufe), bei der man den, der in die Gemeinde aufgenommen werden wollte, mit Stierblut übergoß.
Mithraskult war für römische Soldaten attraktiv
Das neue Mitglied wurde ausdrücklich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Praxis, die aus anderen antiken Kulten bekannt ist, über deren „Mysterien“ wir deshalb bis heute genauso wenig Kenntnis haben wie über die Einzelheiten der Mithras-Verehrung. Ihre eigentliche Bedeutung wurde auch dem Neuling nur nach und nach eröffnet. Im Zuge der Initiation konnte er von der Weihestufe des „Raben“ über den des „Bräutigams“, des „Soldaten“, des „Löwen“, des „Persers“ und des „Sonnenläufers“ bis zum „Vater“ aufsteigen.
Wahrscheinlich erklären die strenge Hierarchie, die Betonung der ethischen Dimension und die Arkandisziplin viel von der Anziehungskraft des Mithras-Kultes im römischen Reich. Exotische Elemente scheinen sie nicht gemindert zu haben, eher im Gegenteil. Vor allem für Soldaten wirkte er attraktiv. Bezeichnend, daß viele Mithräen nahe den Garnisonen der Grenzgebiete des Imperiums gefunden wurden; in der Umgebung Frankfurts hat man bis heute allein vier solcher Tempelanlagen identifiziert.
Das alles sind Belege dafür, daß der Aufstieg des neuen Glaubens seit dem 1. Jahrhundert unaufhaltsam scheinen konnte. Der französische Religionswissenschaftler Ernest Renan meinte sogar: „Wenn das Christentum in seinem Wachstum durch irgendeine tödliche Krankheit aufgehalten worden wäre, wäre die Welt mithräisch geworden.“
Christen widmeten Mithräen um
Eine Aussage, deren Plausibilität auch darauf beruht, daß der Mithras-Kult der römischen Mentalität so viel eher entsprach als das Christentum. Kannte er doch weder dessen Idee der Gleichheit aller Menschen vor Gott, noch die Forderung nach Barmherzigkeit noch die Weltverachtung. Angesichts der dramatischen Krise des Reiches im 3. Jahrhundert fand er außerdem die Unterstützung der politischen Führung. Kaiser Aurelian suchte ihn mit einiger Entschlossenheit zur Staatsreligion zu machen, und noch in Konstantins Liebäugeln mit dem Kult des Sol invictus, der „Unbesiegten Sonne“ – auch das ein Beiname des Mithras – kam diese Präferenz zum Ausdruck.
Verglichen damit fiel die Polemik der Christen gegen die Konkurrenz der „Perser“ kaum ins Gewicht. Die Ausstellung in Frankfurt vermittelt sogar den Eindruck, als ob die Feindschaft nie so erbittert war, daß es nach der Durchsetzung des Christentums im 4. Jahrhundert und dem Verbot der heidnischen Kulte zu einer regelrechten Verfolgung der Mithras-Anhänger gekommen ist. Die archäologischen Funde sprechen nicht für eine systematische Zerstörung von Mithräen, gelegentlich wurden sie auch umgewidmet und – wie im Fall von San Clemente zu Rom – in einen Kirchbau einbezogen.
Bis dahin war der Weg für die Christen allerdings weit. Galten sie doch als Zusammenschluß von Verfassungsfeinden und Verschwörungstheoretikern. Ihre Anhänger riskierten Ansehen, soziale Existenz und oft das Leben, wenn sie sich offen bekannten. Trotzdem setzte sich ihre „Frohe Botschaft“ durch. Das rein innerweltlich zu erklären, ist kaum möglich. Adolf von Harnack hat die Grenze mit der Feststellung markiert, es bleibe für den Historiker nur, anzuerkennen, daß das Christentum Weltreligion wurde, weil es „das darbot, was allen notwendig war, aber auch das brachte, was ein jeder besonders begehrte“.
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Die Ausstellung „Mithras – Annäherungen an einen römischen Kult“ im Archäologischen Museum der Stadt Frankfurt am Main wird noch bis zum 10. April 2023 gezeigt. Ein Katalog liegt nur in englischer und französischer Sprache vor.