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Das Desaster am Hindukusch

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Am 15. Februar 1989 wartete frierend eine internationale und sowjetische Presseschar in Termez/Usbekistan. Hier, über diese Brücke, die Afghanistan und Usbekistan verbindet, mußten die letzten Sowjetsoldaten aus Afghanistan kommen. An diesem gottverlassenen Ort endete wahrhaftig der zehn Jahre andauernde Krieg zwischen der Sowjetunion und Afghanistan. Afghanistan, die „blutende Wunde“, hatte bis zu 1,5 Millionen eigene Tote zu beklagen; fünf Millionen Menschen waren wegen des Krieges aus dem Land geflohen. Hoch war auch der Blutzoll auf der sowjetischen Seite: Hier starben nach nicht bestätigten Angaben in den knapp zehn Jahren des Einmarsches etwa 15.000 Soldaten. Weitere Zehntausende wurden verwundet beziehungsweise gesundheitlich und psychisch für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Den nicht zu gewinnenden Krieg schnellstens beenden Ich war damals als Moskau-Korrespondentin unter den wenigen westlichen Journalisten, die dieses historische Ereignis miterleben durften. Schon bei der ersten Phase des Rückzugs war ich dabei. Termez, dieser kleine Grenzort, hatte sich in einen einzigen Jahrmarkt verwandelt. Jubelnd und kreischend wurden die einzelnen ankommenden Soldaten empfangen, und als der stämmige 46jährige russische General Boris Gromow als letzter die Brücke überschritt, wollten die Freudenrufe kein Ende nehmen. Denn der Oberkommandierende der sowjetischen Afghanistan-Truppen hatte maßgeblich zur Entscheidung über den Rückzug beigetragen. Spätestens bei den Kämpfen um Khost im Dezember 1987, als der sowjetische Parteisekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, noch einmal unter Aufbietung aller Kräfte den Durchbruch in Afghanistan erzielen wollte, hatte dieser General seine Erkenntnisse gewonnen und weitergegeben, die das Urteil im Kreml formten, diesen nicht zu gewinnenden Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Gromow war zugegen bei diesen mörderischen Kämpfen, in denen vor allem sowjetische Rekruten aus dem Baltikum starben. An jenem 15. Februar wurde Gromow von seinen beiden Söhnen begrüßt. Seine Frau Natalja Nikolajewna war tödlich verunglückt: Die Militärmaschine, mit der sie ihren Mann in Afghanistan besuchen wollte, war abgeschossen worden. Jahrelang war das Thema in der Sowjetunion tabu, wurden Tod und Leiden der sowjetischen Soldaten in Afghanistan verschwiegen. Die Propaganda machte aus den eigenen Opfern Helden. Doch irgendwann war der Blutzoll zu hoch geworden, als daß die Bevölkerung sich noch täuschen ließ. Afghanistan wurde zum Reizwort. Die staatliche Propagandamaschinerie hatte mit Heldentaten und Durchhalteromanen die Zweifel am Sinn dieses Afghanistankriegs zu zerstreuen versucht. Todesanzeigen wurden nicht veröffentlicht, und die Zinksärge der gefallenen Offiziere blieben verschlossen, entgegen dem russischen Brauch einer öffentlichen Aufbahrung. Man wollte den Angehörigen den Anblick der verstümmelten Leichen ersparen. Einfache gefallene Soldaten wurden sowieso in Afghanistan begraben. Dann kam das Ende. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen wurden Verhandlungen zwischen Afghanistan und Pakistan geführt, die zur Unterzeichnung eines Vertrags führten. Die Sowjetunion und die USA garantierten den Verzicht auf jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans. Ab Mai 1988 begann die Sowjet­union mit dem Abzug ihrer offiziell über 100.000 Soldaten. Allerdings wurden die sowjetischen Truppen immer wieder in Einzelkämpfe mit den Mudschaheddins verwickelt, die das vereinbarte Abkommen ablehnten. Vier westliche Journalisten – Helen von Reuters, Marco vom Messaggero, Rafael vom La Vanguardia und ich von der Welt – hatten es auf abenteuerliche Weise geschafft, mit der letzten Militärmaschine aus Kabul nach Dschallalabad zu fliegen, um den Rückzug des ersten sowjetischen Konvois am 15. Mai mitzumachen. Noch in allerletzter Minute drohte das Unternehmen zu platzen, weil der zuständige sowjetische Kommandeur uns beiden Frauen untersagte, mitzufliegen. Seine Begründung lautete: „Der Propagandaeffekt wäre weitaus höher, wenn eine Journalistin getötet würde als ein Journalist.“ Erst der Oberbefehlshaber Boris Gromow, der angerufen wurde, gab schließlich die Erlaubnis. Im Nachtdunkel gingen wir zur Militärmaschine. Noch einmal beschworen die sowjetischen Militärexperten die Gefahr. „Es gibt kein Zurück mehr – der Weg geht nur über das Gebirge zurück.“ Als die Antonow-26 dann startete, wir im Dunkeln uns an der Leine festhielten, da kamen doch Angst und Beklemmung auf. Nichts und niemand beschützte dieses Militärflugzeug. Weder das „Silvesterfeuerwerk“, das in Kabul üblich war, um abzulenken, noch die als Lockvögel tanzenden dröhnenden Hubschrauber. Unsere Maschine wäre ein „nacktes“ Angriffsziel für die Luftabwehrraketen „Stinger“ oder „Blowpiper“ gewesen, wenn die Afghanen sie eingesetzt hätten. Der Rückzug passierte eine Reihe ausgebrannter Panzer Am 15. Mai – ein glühendheißer Sonntag – begann der Abzug der Sowjets unter den Augen der Uno-Beobachter. Zum letzten Mal paradierten die Truppen in Dschalalabad, diesem strategisch wichtigen Ort nahe dem Khyberpaß und der Straße nach Peschawar. Dann hieß es „aufsitzen“, und der erste sowjetische Konvoi bestehend aus 1.200 Mann und 300 Waffengeräten gemäß der Genfer Vereinbarung setzte sich in Bewegung. Acht Stunden lang saßen wir auf dem heißen Panzer – die 150 Kilometer lange Strecke bis Kabul führte durchs flache Land und über steile Pässe. Es war die gleiche Route, auf der 1947 die Engländer ihren Rückzug in entgegengesetzter Richtung antraten. Acht Stunden Angst und Hitze, vorbei an ausgebrannten Panzern und Tankwagen, vorbei an Gräbern. Alles zeugte davon, daß der Krieg hier noch kürzlich gewütet hatte. Dann kam der Talkessel von Kabul. Wir hatten es geschafft, die erste und gefährlichste Strecke auf dem Rückzug, der dann am 15. Februar 1989 endgültig abgeschlossen wurde. Rose-Marie Borngässer war von 1984 bis 1990 Korrespondentin der „Welt“ in der Sowjetunion. Foto: Rückzug der Roten Armee, Afghanistan 1988: Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen

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