Anzeige
Anzeige

Kausalitäten aus dem Märchenbuch

Kausalitäten aus dem Märchenbuch

Kausalitäten aus dem Märchenbuch

 

Kausalitäten aus dem Märchenbuch

Anzeige

Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Das Zentrum gegen Vertreibungen soll nach dem Mehrheitswillen etablierter Historiker ein Ort der deutschen Selbstanklage werden, wo unter dem Begriff „Zwangsmigration“ zusammengespannt wird, was nicht zusammengehört. Doch diese Sieger der Geschichte dürfen sich nur solange als solche fühlen, wie die gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse und Psychopathologien maßgeblich sind. Diese müssen daher befestigt werden, was wiederum die Heftigkeit ihrer Reaktionen erklärt. Nehmen wir Wolfgang Benz, den Chef des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Benz, Jahrgang 1941, hat kürzlich in der Süddeutschen Zeitung gegen die Stiftungspläne zum Zentrum gewettert, weil sie „skandalös“, „intellektuell anspruchslos“ und „altmodisch“ seien. Seine Forderung, das Projekt keinen „Interessenvertretern“ zu überlassen, impliziert die Gegenfrage nach seinen eigenen Motiven. Schließlich ist er nicht als Historiker von Belang, sondern als Vorarbeiter im Weinberg der Zivilreligion, in deren Mittelpunkt der Holocaust als alles transzendierender „Zentralwert“ (Hermann Broch) steht. Aus dieser scholastischen Perspektive ergibt sich eine natürliche Abwehrhaltung gegen alles, was auch nur entfernt an „Relativierung“ gemahnen könnte. Andernfalls würde er seinen historiographischen Ansatz selbst zur Disposition stellen. Dieser Zusammenhang ist leicht nachvollziehbar, ein Grund, Benz zu folgen, ist er nicht. „Ostbewegung“ von 1939 folgte „Westbewegung“ nach 1945 Benz ist Herausgeber des Buches „Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen“. Sein Einleitungstext beginnt mit den europäischen „Umsiedlungs-, Emigrations- und Vertreibungswellen“, die ab Herbst 1939 durch Deutschland veranlaßt worden seien. Dieser gewaltsamen „Ostbewegung“ sei 1945 eine gewaltsame „Westbewegung“ gefolgt. So hat alles seine Ordnung, und der brave Bundesmichel kann weiterschnarchen. Doch die zwanghafte Kausalität zwischen „1933“/“1939″ einerseits und der Vertreibung andererseits, die Benz voraussetzt, müßte erst noch bewiesen werden. Bis dahin ist sie nicht mehr als ein scholastisches bzw. politisches Axiom. Und dieser Beweis dürfte schwerfallen. Zitieren wir dazu den britischen Premierminister Lloyd George, der am 25. März 1919 vor den Versailler Grenzplänen warnte: „Ich kann mir keine stärkere Ursache für einen künftigen Krieg vorstellen, als daß das deutsche Volk, das sich zweifellos als eine der kraftvollsten und mächtigsten Rassen der Welt erwiesen hat, rings von einer Anzahl kleiner Staaten umgeben werden soll, von denen viele aus Völkern bestehen, die noch nie vorher eine stabile Regierung aufgestellt haben, aber jeder breite Massen von Deutschen einschließt, die die Vereinigung mit ihrem Heimatland fordern werden.“ Er verwies beispielhaft auf die 2,1 Millionen Deutschen, die dem neugegründeten polnischen Staat zugeschlagen wurden. Bereits die Note des Deutschen Gesandten an die Regierung in Warschau vom 20. November 1920 über die Behandlung der deutschen Minderheit sollte Lloyd Georges Befürchtungen bestätigen. Beklagt wurden willkürliche Verhaftungen, das Verschweigen von Haftgründen, der Abtransport aus der Heimat, die Mißhandlung der Gefangenen, ihre Erpressung und Beraubung durch das Gefängnispersonal, das Zusammensperren unbescholtener Bürger mit Kriminellen. Deutsche Gefangene hätten sich bei der Revision ihrer Zellen als „deutsche Schweine“ zu melden und evangelische Christen ihre Konfession als „Verrückt“ anzugeben. Die Beschädigung und Besudelung von Denkmälern stünden auf der Tagesordnung. Außerdem habe es Morde gegeben, die vielfach ungesühnt geblieben seien. Im Januar 1923 sagte ein volksdeutscher Abgeordneter im polnischen Sejm, die polnische Nationalitätenpolitik handele nach dem Motto: „Kein Mittel ist unversucht zu lassen, die polnischen Bürger deutschen Stammes außer Landes zu treiben, das Land zu entdeutschen, zu purifizieren, wie man das so geschmackvoll auszudrücken beliebte. Auch das brutalste Mittel ist zu diesem Zweck erlaubt.“ So werde das Postgeheimnis verletzt, deutsche Gewerbetreibende, Bauern, Fabrikanten würden gezwungen, ihre Werkstätten, Höfe und Fabriken an Polen abzutreten. In Oberschlesien sei ein Gesetz zur Annahme gelangt, wonach in den Gebietskörperschaften ausschließlich die polnische Sprache verwendet werden dürfe, auch dort, wo die Deutschen eindeutig die Mehrheit bildeten. Der Redner sagte weiter: „Wir stellen nur ungern Vergleiche mit der Vergangenheit an, aber wir können es nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß in den polnischen Kreisen der ehemaligen Provinz die polnische Sprache neben der deutschen noch drei Menschenalter nach Einverleibung dieser Provinz in den preußischen Staat als Amtssprache zugelassen war.“ Um das deutsche Schulwesens zu zerschlagen, würden Lehrer ausgewiesen, Schulgemeinden auseinandergerissen sowie deren Grundbesitz beschlagnahmt. Im April 1923 weilt der polnische Ministerpräsident Wladislaw Sikorski in Posen. Bei seiner Begrüßung im Rathaus sagte Bürgermeister Cyryl Ratajski, die deutsche Gefahr in Polen sei erst beseitigt, wenn alles deutsche Land in polnische Hände übergegangen sei und der Feind nicht mehr unnötig im eigenen Land ernährt zu werden bräuchte. Sikorski sicherte zu, daß die Liquidation deutscher Güter und Industrieunternehmen rücksichtslos weitergeführt würde. 160.000 Einwohner, die für Deutschland optiert hatten, sollten ausgewiesen werden. Die Aufzählung der verbalen und physischen Übergriffe ließe sich fortsetzen. Ein besonderes Kapitel würden die Pressionen gegen die „Freie Stadt“ Danzig bilden, die zu 96 Prozent von Deutschen bewohnt wurde, in Versailles aber unter polnische Oberhoheit gestellt worden war. Zwar waren die Minderheitenrechte und ihre Überwachung durch den Völkerbund vertraglich festgelegt worden, doch dieses Konstrukt erwies sich als wirkungslos. Der deutsche Generalkonsul in Posen berichtete 1931 an das Auswärtige Amt: „Welche Fortschritte die Entdeutschungsmaßnahmen in den letzten Jahren gemacht haben, wird jetzt auch von polnischer Seite mit geradezu zynischer Offenheit zugegeben.“ Er zitierte aus einer aktuellen Untersuchung des Warschauer Forschungsinstituts für Nationalitätenfragen, nach der seit 1919 eine Millionen Deutsche aus Polen abgewandert seien. „Wenngleich diese Zahl hinter unseren Schätzungen zurückbleibt, so ist es doch bemerkenswert, daß auch von polnischer Seite eine so hohe Abwanderungsziffer als Erfolg der Entdeutschungspolitik zugegeben wird.“ Seit 1919 Unterdrückung der deutschen Minderheit Das britische Oberhaus beklagte in einer Debatte im Juni 1932 die Verletzung der Minderheitenrechte durch den polnischen Staat, von der auch Ukrainer betroffen waren. Einer der Redner sagte, es falle ihm schwer, einen befreundeten Staat – nämlich Polen – zu kritisieren, aber man müsse Warschau daran erinnern, daß ihm die Annexionen von 1919/20 nur unter der Bedingung zugestanden worden seien, „diesen Gebieten Autonomie“ zu gewähren. Statt dessen seien die „Regulierungen auf landwirtschaftlichem Gebiet sind (….) dazu benutzt worden, um die Bevölkerung von ungünstig eingestellten Dörfern durch den Erlaß von Verboten wegen Maul- und Klauenseuche daran zu hindern, zur Wahl zu gehen (…) Es gibt aber auch die einfachere Methode, die Wähler auf dem Weg zur Wahl niederzuschlagen, was ja viel ernster ist und sich, wie bewiesen worden ist, im Fall der Wahlen in Oberschlesien ereignet hat.“ 45 Prozent der deutschen Kinder in Thorn und Posen seien „ihrer Schulen beraubt und in polnische Schulen getrieben worden“. Im März 1933 meldete der Posener Konsul nach Berlin: „Deutsche Handwerker und Gewerbetreibende werden boykottiert. Ärzte verlieren ihre Kassenpraxis, Apotheker werden enteignet, Schankkonzessionen entzogen. (…) So fühlt sich die Minderheit von allen Seiten bedrängt. Auch die Atmosphäre des Hasses, der die Deutschen ausgesetzt sind, hat in keiner Weise nachgelassen und führt immer wieder zu Mißhandlungen und Verfolgungen.“ Der langjährige Spitzendiplomat und spätere Staatssekretär Ernst von Weizsäcker schrieb in seinen Memoiren: „Fest steht, daß der deutsch-polnische Minderheitenstreit keine Erfindung Hitlers war. Wer die zwanziger und die dreißiger Jahre erlebt hat, weiß davon. Ich selbst habe jahrelang keine Tagung des Völkerbundrates erlebt ohne schwere deutsch-polnische Reibung oder Krise. Ich war Zeuge, wie die polnischen Übergriffe und Vertragswidrigkeiten in der Weimarer Republik den Versöhnungspolitiker Stresemann zu seinem berühmten Faustschlag von Lugano trieben (…). Im Dritten Reich war es damit nicht besser bestellt, nur hatte Hitler ab 1934 das Thema bis auf weiteres aus der deutschen Presse verbannt. Aus der Verwaltungspraxis der Woiwoden war darum die Unterdrückung der deutschen Minderheit keineswegs verschwunden. Unsere diplomatischen und Konsularberichte aus Polen zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief.“ Im September 1934 kündigte Polen die Minderheitenkontrolle durch den Völkerbund auf. Als Außenminister Joachim von Ribbentrop im Frühjahr 1939 den Auftrag gab, eine Liste mit Gegenmaßnahmen zu erstellen, um den Terror gegen die deutsche Minderheit zu stoppen, kam sein Büro zu dem Ergebnis, daß es keine wirksamen Maßnahmen gab. Dazu ist anzumerken, daß Polen sich durch Neville Chamberlains Garantieerklärung vom März 1939 in seiner Handlung gedeckt fühlte. Bei Kriegsausbruch befanden sich mehrere zehntausend deutschstämmige Flüchtlinge im Reich, viele Volksdeutsche waren ins Landesinnere Polens verschleppt worden. Der letzte Hohe Kommissar des Völkerbunds in Danzig, Carl J. Burckhardt, schildert in seinen Erinnerungen ein nächtliches Gespräch mit dem polnischen Außenminister Jozef Beck im August 1938, in dem dieser Begehrlichkeiten gegenüber Ostpreußen, Schlesien und Pommern äußerte. Daß diese Worte weder von Beck in den Wind gesprochen noch von Burckhardt aus der Luft gegriffen waren, ergibt sich aus dem Bericht zweier britischer Emissäre, Gladwyn Jebb und William Strang, die im Juni 1939 in Warschau Sondierungen unternahmen. Vom stellvertretenden Leiter der Ostabteilung im polnischen Außenministerium erfuhren sie, daß „der endgültige Plan“ die Annektierung Ostpreußens sei. „Er rechtfertigte ihn damit, daß die Bevölkerung von Ostpreußen im Abnehmen sei, daß viele dortige Gebiete ohnehin polnisch seien, daß auf jeden Fall ein Bevölkerungsaustausch arrangiert werden könne, und daß Polen, ein junger und rasch wachsender Staat, eine Küste haben müsse, die seiner nationalen Wichtigkeit entsprechen müsse“. Das war längst nicht alles. Es gab ferner Pläne eines „riesigen Agglomerats (…), dessen westliche Grenzen bis fast an die Oder ausgreifen würden und dessen südliche Grenzen an Ungarn reichen könnten“. Holocaust als „Zentralwert“ in der Debatte ungeeignet Dem Bericht ist auch zu entnehmen, wie wenig der Antisemitismus der Nationalsozialisten als Argument für die Vertreibung der Deutschen durch Polen taugt: „Drei jüdische Studenten sind seit dem Semesterbeginn von polnischen Studenten ermordet worden, was man als einen Höhepunkt ansieht. Es ist natürlich ganz klar, daß durch den Anstieg der polnischen Mittelschicht die jüdische Frage in Polen immer akuter wird. (…) Immerhin gibt es für viele gebildete Polen keine Anstellung, wenn nicht erst ein Jude, der seinen Job wahrscheinlich besser versteht, hinausgeworfen wird. Wenn die Industrialisierung des Landes nicht schnell durchgesetzt wird oder die Juden ausgewiesen werden, wird das Problem ohne Druck nicht zu lösen sein.“ In seiner „Geschichte des Dritten Reiches“ prangert Benz völlig zu Recht die Ende Oktober 1938 erfolgte „brutale Abschiebung von 17.000 Juden polnischer Nationalität aus Deutschland“ an, aber er verschweigt, daß dem die Anordnung der polnischen Regierung vom 6. Oktober 1938 vorausgegangen war, wonach die insgesamt 70.000 polnischen Juden in Deutschland bis zum 30. Oktober ihre Pässe zu erneuern hätten: eine unerfüllbare Forderung, die auf eine Aberkennung ihrer polnischen Staatsbürgerschaft hinauslief. Das war eine politische und diplomatische Provokation gegenüber Deutschland, vor allem aber ein Frevel an den eigenen jüdischen Staatsbürgern, die einem rabiaten antisemitischen Regime vor die Füße geworfen wurden. Solche Sachverhalte haben in der Weltsicht von Benz & Co. keinen Platz. In Polen nimmt man diese Gedanken gerne auf. Statt eines Zentrums gegen Vertreibungen soll in Berlin laut Vorschlag des Vizepräsidenten des polnischen Parlamentes Marek Kotlinowski, ein „Zentrum des polnischen Martyriums“ entstehen. Statt diese groteske Idee zu ignorieren, geht Bundestagspräsident Norbert Lammert brav darauf ein und stellt „als Kompromißvorschlag“ eine Ergänzung des „Zentrums gegen Vertreibungen“ mit diesem Schwerpunkt in Aussicht. Doch vorerst gibt sich die in Warschau regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) damit nicht zufrieden. „Es ist undenkbar, den totalen Krieg gegen eine Nation mit sechs Millionen Toten mit der Vertreibung von Deutschen zu vergleichen“, sagte der Leiter des EU-Ausschusses des polnischen Parlaments, Karol Karski. „Der polnischen Opfer muß in Berlin separat gedacht werden.“ Foto: Wolfgang Benz, Vorarbeiter im Weinberg der Zivilreligion: „Intellektuell anspruchslos“ und „altmodisch“

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.