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Plünderungen

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Der 8. Mai 1945 war für uns ein Tag wie fast alle vorangegangenen Kriegstage. Seit Hitlers Tod herrschte in Chemnitz das Chaos. Fast täglich wurden Depots entdeckt und geplündert. So auch an diesem Tag. Am frühen Nachmittag fuhr ich mit einem uns befreundeten Tschechen per Rad zur nahegelegenen Kaserne. Dort wurde schon seit Stunden geplündert. Wir kamen aber gerade in dem Augenblick an, als ein völlig entnervter Feldwebel mit rauchender Pistole die letzten Plünderer schreiend vom Gelände verjagte. Während wir alle noch unentschlossen am großen Tore lauerten, ging es von Mund zu Mund, daß drüben im nahen Zeisigwald Soldaten die eisernen Rationen verteilten. Da stürmte die Menge, einem jüngst erworbenen Beuteinstinkt folgend, über den riesigen Jahrmarktsplatz zum Waldrand. Wir beide auf unseren Rädern natürlich mit in vorderster Reihe. Bereits von weitem erblickten wir einen großen Lastwagen, von dessen Ladekasten aus Konservendosen wahllos in eine dort schon wogende Menschentraube geworfen wurden. Als einige raubgierige Männer sich sogar anschickten, den kompletten Laster zu stürmen, schrie einer der Landser von der Ladefläche: „Von der ‚Waldschenke‘ her kommen die Russen!“ Entsetzt stoben alle davon. Wir hatten unsere Räder in der Nähe abgestellt und sie im Getümmel nicht weiter beachtet. Doch – oh Schreck – mein Rad war weg! Gestohlen, für gerade eine Dose Fleisch, die ich im „Kampf“ mit den anderen Passanten in der Menge ergattern konnte. Niedergeschlagen kehrten wir heim – mich schmerzte der Verlust meines Fahrrades. Am späten Abend hörten wir dann im Radio die Meldung von der bedingungslosen Kapitulation aller deutschen Streitkräfte. Wir atmeten auf: Ab jetzt waren wir befreit von den furchtbaren Bombardierungen der Städte, dem Feuer der Artillerie und den heimtückischen Überfällen durch alliierter Tiefflieger. Als einen Tag später die Rote Armee in Chemnitz einrückte, erwarteten wir nichts anderes als die „bolschewistische Schreckensherrschaft“, die uns seit Jahren fast täglich von der deutschen Propaganda beschrieben worden war. Die Straßen waren leergefegt, und unter den Dächern lauerte bei den Verbliebenen die Angst vor der Brutalität der sowjetischen Soldaten, die vorauseilenden Berichten aus bereits besetzten Gebieten zufolge meist volltrunken Jagd auf deutsche Frauen machten. Wirklich befreit fühlten sich eigentlich nur die Menschen, die sich, in welcher Form auch immer, dem Nationalsozialismus widersetzt hatten. Zu diesen gehörte damals unser tschechischer Freund. Die nationalsozialistischen „Täter“ und deren gutgläubige Mitläufer dagegen wurden besiegt, und das war die große Mehrheit unseres Volkes. Erst aus heutiger Sicht wissen wir, daß mit diesem Tag die Menschheit von einem politischen System befreit wurde, das sich durch seine Untaten selbst in Frage gestellt hatte. Die Politiker und Geschichtsschreiber von heute, die Spätgeborenen, werten das damalige Geschehen bar eigener historischer Erfahrungen ganz selbstverständlich als Befreiung, einige zählen sich sogar, die Tatsachen nach eigenen Wünschen deutend, ganz stolz zu den Siegern. Eberhard Preuß, Chemnitz

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