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Mutmaßungen über den schlafenden Riesen

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Mutmaßungen über den schlafenden Riesen

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Einem Paukenschlag gleich läutet die Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft (PROKLA, 2/2005) das „asiatische Jahrhundert“ ein. Der Autor, der dies prophezeit, wird den neuen fernöstlichen Welthegemon allerdings nicht mehr erleben. Denn der Wirtschaftswissenschaftler André Gunder Frank, linker „Weltsystem“-Theoretiker und Vordenker der heute aktiven Globalisierungskritiker, starb Ende April 2005 in Luxemburg. Seine Skizze einer neuen Weltordnung ist jedoch weder sonderlich originell, weil bekanntlich seit Reagans Zeiten vom „pazifischen“ Äon und von China als „Weltmacht im Wartestand“ die Rede ist, noch ist sie sonderlich gut begründet. Als bloße Deklamation erfüllt Gunder Franks These aber immerhin die Aufgabe, den Leser in das jüngste PROKLA-Heft „hineinzuziehen“ und ihn mit den wesentlich besser unterfütterten Szenarien über die künftige Machtverteilung auf diesem Planeten vertraut zu machen. US-Angst vor der Ersetzung des Dollars als „Weltgeld“ Zumindest eine Option scheint beim Nachdenken über Ordnungsmodelle für die Welt von morgen keine Rolle mehr zu spielen: nämlich die weiterhin führende Rolle der USA, die sich die bislang einzig verbliebene Supermacht in ihren eigenen optimistischen Entwürfen von der globalen Landkarte der Zukunft immer noch zuschreibt. Während George W. Bush Mitte Juli den indischen Ministerpräsidenten also in der von seinen Denkfabriken gefestigten Gewißheit empfing, dem neben China wichtigsten Partner bei der Sicherung der US-Dominanz zu begegnen, sagen die Konstrukteure linker Weltprojekte voraus, daß nach dem Aufstieg Chinas und Indiens für die USA kein Stuhl mehr im Führungsgremium frei bleibe, geschweige denn der Stuhl des Vorsitzenden. Zu den ersten Prognostikern, die von Washingtons unaufhaltsamem Niedergang sprachen, zählte der New Yorker Soziologe Immanuel Wallerstein. Seine Weltsystemtheorie kettet das Schicksal eines Hegemons an den vorgeblich gesetzmäßigen Ablauf ökonomischer Zyklen und diagnostiziert seit den frühen siebziger Jahren eine Abschwungphase der kapitalistischen, von den USA dominierten Wirtschaft. Da, wie auch Gunder Frank eingangs behauptet, die US-Wirtschaft weder mit Chinas Wachstumsraten mithalten könne noch inzwischen „besonders wettbewerbsfähig“ sei, Angst vor der Ersetzung des Dollars als „Weltgeld“ haben müsse (was das Eingreifen im Irak erkläre, da Bagdad damit begonnen habe, seine Ölexporte in Euro abzurechnen) und überdies als größter Schuldner der Welt seinen Wohlstand mit ausländischen Krediten finanziere, sei das Schicksal der USA als Weltmacht besiegelt. Denn der Hegemoniezyklus folge mit naturgesetzlicher Notwendigkeit dem für das herrschende „Dollar-Wall-Street-Regime“ nach unten weisenden ökonomischen Zyklus. Es gibt jedoch gute Gründe, an einer solchen womöglich gar „finalen Krise des Kapitalismus“ zu zweifeln, wie Miriam Heigl in ihrer Übersicht über neuere Varianten der Weltsystemtheorie aufzeigt, deren theoretische Prämissen allesamt auf „wackligen Beinen“ stünden. Globalisierung mit schlimmen Rückwirkungen Weniger „wacklig“ präsentieren sich die mit geringerem prognostischen Ehrgeiz aufgeladenen Analysen von Robert Hunter Wade, der nachweisen möchte, wie die Universalisierung der nationalen Wirtschafts- und Sicherheitsstrategie der USA unter der Fahne der „Globalisierung“ Armut und Ungleichheit steigere. Je globalisierter die Welt werde, je lückenloser sie sich am „Kern des angloamerikanischen Modells“ ausrichte, das nach Überzeugung der US-Eliten der „menschlichen Natur“ am meisten entspreche, desto unangenehmere Rückwirkungen seien zu erwarten. Wie Beispiele aus Städten überall in den USA zeigen, hänge größere Ungleichheit mit höheren Kriminalitätsraten zusammen. Übertragen auf die Weltökonomie müßten auch ihre neoliberalen Urheber und Profiteure sehen, daß „eine sehr unsichere und ungemütliche Gesellschaft“ auf sie warte. Ginge es nach Hans-Jürgen Bieling, dann wäre eine welthistorische und -ökonomische Alternative schon in Sicht. Die biete ausgerechnet das „alte Europa“, das US-Denkfabriken allein schon wegen seiner demographischen Malaise nicht mehr zu den globalen Spielern des 21. Jahrhundert zählen. Wie Bieling anhand aktueller innereuropäischer Prozesse extrapoliert, habe die Europäische Union durchaus das Potential zu einem „Machtzentrum mit spezifisch weltpolitischem Gestaltungsanspruch“. Insofern sei es nicht falsch, die EU als „schlafenden Riesen“ zu bezeichnen. „Keimformen einer transnationalen Zivilgesellschaft“ und „transnationale Kommunikationsnetzwerke“ hätten sich seit den achtziger Jahren entwickelt. Angesichts jüngster außenpolitischer Divergenzen sei es jedoch eine offene Frage, ob damit wirklich die externe Handlungsfähigkeit gesteigert worden sei. Ökonomisch habe sich durch erhöhte Kapitalmarktintegration und Währungseinheit auch die EU-Position im Rahmen der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen verbessert. Das Übergewicht von US-Vertretern in den internationalen Finanzinstitutionen sei damit zwar nicht geringer geworden. Doch sei die EU heute in der Lage, die „Machtkonfiguration des Dollar-Wall-Street-Regimes herauszufordern“. Aber auch auf diesem Sektor gilt: Ohne einheitlichen politischen Willen ist das nicht machbar. Prozeß einer imperialen Transformation der EU Daß es primär an diesem Willen fehlt, zeigt auch der Blick auf die EU in der internationalen Sicherheitsstruktur. Denn unbestreitbar sei seit Mitte der neunziger Jahre ein „Konsolidierungsprozeß der europäischen Rüstungsindustrie“ zu beobachten. Mit EADS und British Aerospatiale verfüge man heute sogar über das Gerüst eines eigenen „militärisch-industriellen Komplexes“. Allein der politische Wille entscheide, ob dieses Potential den Anspruch lediglich einer „regionalen Ordnungsmacht“ oder einer Weltmacht fundiere. Eine „Zivilmacht“ als friedensstiftende „Vermittlungsmacht“, wie sie durch kosmopolitische Träume von der „Einbeziehung des Anderen“ flimmert, dürfte daraus nach Bielings realistischer Einschätzung keinesfalls entstehen. Denn ohne die heutige, bei zunehmenden transatlantischen Spannungen vielleicht bald obsolete Arbeitsteilung mit der „Militärmacht“ USA sei dieses übersteigerte Selbstbild schwerlich aufrechtzuhalten – zumal EU-Staaten im Irak, Afghanistan und auf dem Balkan mit militärischen Potentialen präsent sind. Es bedürfe im näheren politischen Umfeld nur noch einiger ernster politischer Krisen und Konflikte, dann werde der „Prozeß einer imperialen (Selbst-) Transformation der EU“ sich beschleunigen und der „schlafende Riese“ erwachen. Jacques Chirac vor Airbus A380: Machtkonfiguration des Dollar-Wall-Street-Regimes herausfordern

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