Und finden dereinst wir uns wieder über den Trümmern der Welt, so sind wir erneute Geschöpfe, umgebildet und frei und unabhängig vom Schicksal, denn was fesselte den, der solche Tage durchlebt hat.“ Mit diesem Zitat aus dem 9. Gesang der Erzählung Goethes „Hermann und Dorothea“ hat am 18. Mai 1945 der ehemalige Oberbürgermeister von Mannheim, Hermann Heimerich, anläßlich seiner Amtseinführung als Oberpräsident für das neu geschaffene Verwaltungsgebiet „Saar-Pfalz-Südhessen“ auf die ungewisse Zukunft für die Bevölkerung nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur hingewiesen. Über diese Rede und die Vorgänge in der Pfalz berichtete bereits einen Tag später die New York Times auf ihrer Titelseite: „Neustadt 19. Mai: Unter dem wachsamen Auge amerikanischer Besatzungsoffiziere begann die erste Provinzialregierung des Nachkriegsdeutschland, deren Mitglieder aus über zweihundert Anti-Nationalsozialisten sorgfältig ausgewählt wurden, ihre Verwaltungstätigkeit.(…) Ein besonderer Stab von Offizieren der 15. Armee wurde damit beauftragt, geeignete deutsche Verwaltungsbeamte für die Rheinprovinz zu suchen.“ Diese Zeitungsmeldung ist auch noch deshalb so interessant, weil auf der gleichen Titelseite der Times mitgeteilt wurde, daß im britisch besetzten Gebiet die Reichsregierung Dönitz gebildet wurde. Diese wurde aber von der Zeitung als „Phantom-Regierung“ abqualifiziert. Mit dem Aufbau einer deutschen Verwaltung hatten die Amerikaner ein Zeichen gesetzt, dem zerstörten Land wieder eine von Deutschen geführte überregionale Regierung zu geben, die Modellcharakter für den Aufbau des Reiches haben sollte. Bereits seit 1942 wurden US-Offiziere vorbereitet Nach dem Ende der Kampfhandlungen auf dem linken Rheinufer am 27. April 1945 hatte die 15. US-Armee unter dem Oberbefehl von General Leonard Gerow die kämpfenden Einheiten der 1., 3. und 7. US-Armee abgelöst. Die 15. Armee gehörte zur 12. Armeegruppe des legendären General Omar Bradley. Die US-Militärs des XXIII. Corps bezeichneten ihr besetztes Gebiet als „military district Westmark“. Am 25. April 1945 wurde das Hauptquartier des XXIII. Corps in der ehemaligen Klotzberg-Kaserne in Idar-Oberstein errichtet. Der kommandierende Major General Hugh J. Gaffey war der erste Militärgouverneur auf Reichsboden, wie die in den National Archives in Washington und zum Teil beim Institut für Zeitgeschichte in München liegenden Akten dieser US-Einheit vermerken: „Thus the Commanding General XXIII. Corps became the First Military Governor of German territory in World War II.“ Bereits im Jahr 1942 hatte die Regierung der Vereinigten Staaten Pläne entwickelt, wie man Ausbildung und Rekrutierung von Personal durchführen könnte, das eines Tages für einen Military-Government-Einsatz in Europa gebraucht werden würde. Mitte Mai 1942 war in einem Vortragssaal der Universität in Charlottesville mit der Ausbildung der ersten 49 zukünftigen Militärregierungsoffiziere begonnen worden. Dort erhielten sie Vorlesungen über deutsches Verwaltungsrecht, Polizeirecht, über deutsche und europäische Geschichte. Mehr als 120 Stunden Sprachunterricht standen 50 Stunden landeskundlichem Unterricht gegenüber. Die Ausbildung wurde mit einem Examen beendet, bei dem die Kandidaten auch verschiedene Fragen zu beantworten hatten. So lautete die Frage Nr. 25: „Der öffentliche Dienst in Deutschland war vor 1933 1. völlig korrupt, 2. der Tagespolitik ausgeliefert, 3. in der Regel kaum professionell, 4. im Großen und Ganzen politisch neutral“. Oder Frage 17: „Auf dem Wiener Kongreß repräsentierte Metternich 1. Österreich, 2. Deutschland, 3. Frankreich, 4. Preußen“. Bei der Klausur konnte gewählt werden zwischen so unterschiedlichen Themen wie „Beschreiben Sie kurz die Klassenstruktur im Elsaß“ oder „Geben Sie die Hauptbodenschätze am Oberrhein an“. Walter Dorn, im Zivilleben Professor für Geschichte, Ausbilder an Military-Government-Schulen und 1946/47 General Clays persönlicher Berater, stellt in seinen Erinnerungen fest, daß das Niveau der sorgfältig ausgewählten Militärregierungsoffiziere besonders hoch gewesen sei. Allerdings war dies keine Garantie für kompetente Pflichterfüllung. Harold Zink schreibt in seinem Buch über die amerikanische Militärregierung in Deutschland, daß es auch unter diesem Personal einige Gauner und Halunken geben hätte. Aus den Berichten der historical officers beim XXIII. Corps sind die Probleme erkennbar, die die erste Militärregierung auf deutschem Boden zu bewältigen hatte: Errichtung einer deutschen Zivilregierung, Aufstellung einer Militärpolizei, die Schaffung und Durchsetzung von Ordnung und Disziplin gegenüber etwa 110.000 Zwangsarbeitern, von denen viele, nun nicht mehr unter der Aufsicht der Deutschen, raubend, plündernd und mordend durch die Pfalz zogen, sowie die Verhaftung von Hoheitsträgern der NSDAP. Die Militärregierung nahm am 30. April in Neustadt als Detachment E1-A2 die Arbeit auf. Sie stand unter dem Befehl von Lieutenant Colonel James R. Newman (Jahrgang 1901, promovierter Erziehungswissenschaftler). Dieser hatte am 17. September 1944 in dem westlich von Paris gelegenen Ort Rochefort-en-Yvelines mit der Zusammenstellung seiner Mannschaft begonnen. Gelangweilt warteten sie mehrere Monate auf ihren Einsatz. Beim Einmarsch der alliierten Streitkräfte gab es im pfälzischen Gebiet keine funktionsfähige Verwaltung mehr. Aufgrund der vor Monaten schon ausgearbeiteten Pläne wußte Newman, daß in Heidelberg unbelastete Personen wohnten, die geeignet waren, beim Aufbau einer neuen deutschen Verwaltung zu helfen. Der knapp dreißigjährige Captain Harold Landin, der in den nächsten drei Monaten der maßgebliche Ansprechpartner der deutschen Verwaltungsbeamten werden sollte, fuhr zu dem in der Universitätsstadt lebenden Professor Karl Jaspers, um herauszufinden, ob er Personen für den Wiederaufbau benennen könnte. Jaspers war einer der vielen Personen, die auf der sogenannten Weißen Liste der US-Regierung standen. Darin hatte die amerikanische Administration biographische Daten von Deutschen zusammengetragen, die für den Neuaufbau im besetzten Deutschland vorgesehen waren. Alexander Mitscherlich erinnerte sich 1976 in einem Gespräch mit Heidelberger Schülerinnen: „Max Weber und der Bruder Alfred Weber und ich hatten amerikanische Freunde, und diese Freunde haben sich an den amerikanischen Geheimdienst gewendet (…) am Karfreitag klopfte ein amerikanischer Leutnant an die Tür und überbrachte uns Grüße von Freunden aus New York. dann kam irgendein Oberst, der mit uns gesprochen hat. Ich bin dann zu Alfred Weber gegangen und habe ihn gefragt, was machen wir jetzt (…). Dann haben wir uns überlegt, wer war denn kein Nazi. So kamen hinzu Herr Anschütz, Herr Sternberger, Herr Rausch, Herr Zutt, (… )Herr Henk und der gute Herr Heimerich.“ Über das Auftreten von Captain Landin berichtet in ihren Lebenserinnerungen die damals an der Universität Heidelberg immatrikulierte griechische Studentin Lola Athina Kozamanis-Schauenburg (geboren 1919): „Er kam aus Neustadt an der Weinstraße, wo unter amerikanischer Anleitung das Modell einer demokratischen Regierung entstehen sollte. Geplant war eine Musterregierung mit deutscher Besetzung, die als Vorbild gedacht war für spätere, nach und nach zu schaffende Länderregierungen. Die Aufgabe von Captain Landin, der im Zivilberuf Historiker war, bestand darin, aus den rechtsrheinischen Gebieten geeignete Leute aufzufinden und sie für das Projekt zu gewinnen. Das historische Seminar der Universität hatte ihn an mich verwiesen. Er bat mich, aus dem vielfach verstreuten, über Land bis nach Berlin verschickten und durch die kriegerischen Ereignisse in Unordnung geratenen Aktenmaterial ein Archiv aufzubauen, das dem werdenden Regierungsapparat vollständig zur Verfügung stehen könne. Es sollte die Grundlage bilden für ein Akteninstrumentarium, aus dem die ehemalige Struktur der sogenannten Westmark des Reiches ersichtlich würde (…) Man wollte die alte Struktur benutzen, aber neu formen. Außerdem war die Schaffung einer umfassenden Personalkartei beabsichtigt, auf die in Zukunft bei Anstellungen und Postenverteilung verwiesen werden konnte.(…) Mit mir wurde Dr. Roßmann (Jg. 1909) verpflichtet. Er war der langjährige Assistent von Karl Jaspers. Zunächst bestand meine Arbeit in einer abscheulichen, körperlich strapaziösen und schmutzigen Wühlarbeit.(…) Ein Mann von der CIC erschien auf der Bildfläche und begann, Listen von zu überprüfenden Personen vorzubereiten.“ Aufgrund der Vorarbeiten von Landin, Kozamanis-Schauenburg und Roßmann wurde bereits am 9. Mai 1945, wenige Stunden nach Ende des Zweiten Weltkriegs, der ehemalige Oberbürgermeister von Mannheim, Hermann Heimerich, nach Neustadt berufen und an die Spitze einer Provinzialregierung für Saarland, Pfalz und Südhessen gestellt. Die von französischen Truppen besetzten südpfälzischen Gebiete um Germersheim, Speyer, Landau und Bergzabern gehörten nicht dazu. Frankreich weigerte sich beharrlich, dieses Faustpfand deutschen Bodens zwecks gemeinsamen Aufbaus einer deutschen Verwaltung den amerikanischen Militärbehörden zu unterstellen. Die feierliche Amtseinführung Heimerichs wurde in Gegenwart der drei amerikanischen Generäle Gaffey, Cotta und Perry sowie der inzwischen von den Besatzungsbehörden berufenen Landräte und Oberbürgermeister aus dem Saarland, der Pfalz und Rheinhessen vorgenommen. Die Konferenz begann am Freitag, 18. Mai 1945, um 9 Uhr 30 im Gebäude der Handelskammer in Neustadt, Kaiserstraße, und endete gegen 16 Uhr. Das Anwesenheitsprotokoll verzeichnet namentlich 54 deutsche Personen sowie zwanzig Vertreter der amerikanischen Militärregierung. Zusammen mit Heimerich wurden auch der Mannheimer Rechtsanwalt Wilhelm Zutt, der ehemalige badische Finanzminister Wilhelm Mattes, Alexander Mitscherlich, Oberarzt und Dozent an der Universität Heidelberg, Hermann Hussong, vor 1933 Dezernent von Heidelberg, Hans Anschütz, früher Richter in Heidelberg, ernannt. Dolf Sternberger, der spätere Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg, wurde Pressereferent. Er erinnerte sich im Jahr 1976: „Ich war bei Kriegsausgang in Baden-Baden bei meiner Frau. Gerade am 8. Mai kam ein Jeep angefahren, dem entstiegen zwei Herrn. Der eine war Alexander Mitscherlich, ein Freund aus Heidelberg. Der Fahrer dieses Jeeps hieß Korporal Lehmann. Mitscherlich hat mit großer Wärme und großer Beredsamkeit gesagt, ich müßte mitkommen, es würde jetzt die erste Regierung gebildet, und ich müßte dabei sein.“ Die vorgesehene Berufung von Heinrich von Brentano, in den fünfziger Jahren Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, scheiterte allerdings. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, lehnte ebenfalls ab, da es ihm zu „mühselig war, nach Neustadt zu kommen“. Die Amtseinführung Heimerichs war eine gute Gelegenheit zu einem ersten Meinungsaustausch der versammelten leitenden Mitarbeiter der Provinzialregierung mit Vertretern der Landkreise und Städte der neu geschaffenen Provinz. Wie das in deutscher und teilweise in englischer Sprache überlieferte Protokoll ausweist, standen vor allem Fragen der Versorgung der Bevölkerung im Mittelpunkt der Diskussion. Wenige Tage nach der offiziellen Einsetzung der Regierung für Saar, Pfalz und Rheinhessen wurde Heimerich am 24. Mai 1945 von den Amerikanern unterrichtet, daß sein Verwaltungsgebiet um die Regierungsbezirke Trier und Koblenz erweitert werden sollte. Diese neue Verwaltungseinheit erhielt auf einer Präsidialdirektorenkonferenz die Bezeichnung „Mittelrhein-Saar“. Sie wurde in Anlehnung an das 1801 von Frankreich gebildete Generalgouvernement Mittelrhein gewählt, das etwa die gleiche territoriale Ausdehnung hatte. Der Name Saar war laut Protokoll absichtlich angefügt worden, um zu unterstreichen, daß das Saargebiet ein fester Bestandteil Deutschlands sei. Grundlage für die Arbeit der Regierung Heimerich war ein Grundsatzpapier, das die Militärregierung ihm vermutlich gleich bei der ersten Kontaktaufnahme am 9. oder 10. Mai 1945 vorgelegt hatte. Die Amerikaner hatten darin ihre Absicht festgelegt, sich auf die Überwachung der deutschen Behörden zu beschränken. Den Sachverstand der Universität Heidelberg beim Neuaufbau sollte ein Amt für wirtschaftliche Planung einbringen, dessen Aufbau von so bekannten und für den Aufbau der Bundesrepublik vier Jahre später richtungsweisenden Persönlichkeiten wie den Professoren Alfred Weber, Otto Dibelius, Gustav Radbruch, Friedrich Geiler, Theodor Heuss und dem Mainzer Bischof Albert Stohr unterstützt wurde. Der Wechsel der Besatzungsmacht im Juli ließ dann dieses Vorhaben scheitern. Vor Ankunft der Franzosen löste sich die Regierung auf Immer wieder wurde die Bevölkerung, natürlich auch die Regierung in Neustadt, durch Gerüchte verunsichert, die besagten, daß aus Teilen der amerikanischen Besatzungszone eine französische Besatzungszone gebildet werden sollte. Schließlich wurde Ende Juni 1945 bekannt, daß ein großer Teil des Rheingebietes unter französische Hoheit kommen würde. Darüber schreibt die Augenzeugin Kozamanis-Schauenburg: „Ich könnte nun meine Erzählung hier abbrechen. (…) Aber die Auflösung der ersten Zivilregierung nach dem Krieg ist vermutlich in keinem größeren Geschichtswerk festgehalten. (…) Das Rückzugsmanöver vollzog sich so kläglich, daß es einmal Erwähnung finden muß. (…) Am 5. Juli erließ Heimerich ein Rundschreiben, in dem er alle rechtsrheinisch Beheimateten auf eigenen Wunsch von ihrer Anstellung befreite, um in ihren Landkreis Baden zurückkehren zu können. Damit gab er zuerst sich selber frei. Am Freitag türmten binnen einer Stunde plötzlich alle Präsidialdirektoren. (…) Als ich in mein Büro kam, stand dort Landin umringt von zehn verstörten Dolmetscherinnen, die alle auf der rechten Rheinseite beheimatet waren. Ihre Chefs hatten ohne sie das Hasenpanier ergriffen. Jeder allein in seinem Wagen, die Chauffeure waren in Neustadt zurückgelassen worden. Nicht vergessen wurde, wie sich herausstellte, 300 Liter Benzin in Coupons pro Wagen und Einzelfahrt. Ein wohldurchdachter Rückzugsplan“. Alexander Mitscherlich erinnerte sich 1965: „Ich bin auf die Kasse gegangen und habe mir mein Gehalt ausbezahlen lassen und bin verschwunden.“ Am 10. Juli 1945 übergab der amerikanische General Gaffey in Idar-Ober-stein mit militärischem Zeremoniell die Provinz „Mittelrhein-Saar“ an den französischen General Montsabert. Die französische Besatzungsmacht übernahm aber in Wirklichkeit erst zwei Tage später dieses Gebiet, denn ihre Truppen konnten aufgrund des Mangels an Benzin und eigener Lastkraftwagen nicht so schnell ihre Besatzungszone „erobern“, wie die Amerikaner das linke Rheinufer verlassen hatten. In das Gebiet von „Mittelrhein-Saar“ wurden nun auch die südpfälzischen Kreise Speyer, Landau, Germersheim und Bergzabern eingegliedert. In der Zeit darauf konzentrierten sich die Anstrengungen der amerikanischen Besatzungsmacht ganz auf Hessen und Bayern, während die Bevölkerung auf dem linken Rheinufer sich in den nächsten Jahren mit der nicht immer freundlich agierenden französischen Besatzungsmacht herumschlagen mußte. Dr. Hans-Jürgen Wünschel ist Akademischer Direktor des Historischen Seminars der Universität Koblenz-Landau und Professor an der Katholischen Universität Tschenstochau. Foto: Vereidigung Hermann Heimerichs für seine zweite Amtszeit als Mannheimer Stadtoberhaupt, Juli 1949: Kläglicher Rückzug Foto: Liberale und Antinationalsozialisten: Der Philosoph Karl Jaspers, der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und der Publizist Dolf Sternberger waren bevorzugte Männer der US-Amerikaner für die erste Regierung