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Die Entnationalisierung der Erinnerung freudig erwartet

Die Entnationalisierung der Erinnerung freudig erwartet

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Die Entnationalisierung der Erinnerung freudig erwartet

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Wer den Zeitgeist auf Flaschen ziehen will, dem sei die allmonatliche Lektüre der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft empfohlen. Das einstige Zentralorgan der volkseigenen DDR-Historiographie ist heute eine Speerspitze linksliberaler Geschichtspolitik. Dies belegen nicht zuletzt die seit Jahren mit Feuereifer behandelten Themen wie „Wehrmachtsverbrechen“, „Renazifizierung“ und natürlich die „Zwangsmigration“ genannte Vertreibung der Deutschen aus den preußischen Ostprovinzen. Das neue Oktoberheft steht ganz in dieser Tradition und behandelt in neun Aufsätzen ausschließlich die Vertreibung unter dem Rubrum „Geschichte und Gegenwart einer kontroversen Erinnerung“. Bemerkenswert ist dabei, daß gerade die verantwortlichen Herausgeber dieses Heftes, Jürgen Danyel (Potsdam) und Philipp Ther (Frankfurt/Oder), zwei in der Wolle gefärbte „politische Historiker“, in ihrem Vorwort die „kritische Distanz zur politischen Instrumentalisierung“ und die „Entpolitisierung des Themas Flucht und Vertreibung in Deutschland“ einfordern, in der freudigen Erwartung, nun sei die „Stunde der Wissenschaft“ gekommen. So weit geht ihr frisch entdecktes Verhältnis zu wissenschaftlicher „Objektivität“ – von der kein Historiker seit Ranke zu sagen weiß, was man sich unter diesem Phantasma denn vorstellen könne – denn aber doch nicht, daß sie auf das Tarnwort „Zwangsmigration“ oder auf kräftige Polemik gegen das Zentrum gegen Vertreibungen verzichten wollen. Hämisch merken Danyel und Ther an, Erika Steinbachs bislang vergebliche Suche nach einem festen Standort führe dazu, daß aus ihrem Unternehmen wohl eine „Wanderausstellung“ werden dürfte. Mit derselben Befriedigung stellen die Verfasser fest, wie wenig Aussichten Steinbach habe, bei der herrschenden schwarz-roten Koalition Gehör zu finden, denn gerade in dieser Konstellation stoße sie auf „entschiedene Gegner des Zentrums“. Womit beweisen sei, „daß eine Vergangenheitspolitik, die letztlich auf eine generelle Verschiebung des Geschichtsbildes der Deutschen von einer Täter- zu einer Opfernation hinausläuft, sich nicht in Wählerstimmen auszahlt“. Auszahlen tut sich nach Meinung von Danyel, Ther und ihren Beiträgern hingegen die konsequente „Gedächtnispflege“ im Rahmen des Interpretationsmusters „Zwangsmigration“. Die „Verzahnung der Forschungen zu Flucht und Vertreibung mit der allgemeinen Migrationsforschung“ werde parallel zum Aussterben der Zeitzeugen so etwas wie die Entnationalisierung der Erinnerung bewirken. Dieser Teil der deutschen Geschichte verschwindet dann in einer „Gesamtschau“ der Geschichte der „europäischen Nachkriegsgesellschaft“. Wo liegt noch der Unterschied zwischen der „Wanderschaft“ der Königsberger und Breslauer und dem ja mindestens ökonomisch „erzwungenen“ Aufbruch italienischer Gastarbeiter nach Norden? Aus der Sicht des Berliner Privatdozenten Constantin Goschler ist diese Europäisierung und Universalisierung von „Zwangsmigration“ gar nicht aufzuhalten. Nur sah es eine Zeitlang so aus, als könnten sich daraus erinnungspolitisch unerwünschte Kollateralschäden ergeben. Denn in den neunziger Jahren begann sich der „Opferdiskurs“ markant zu verändern. Der „Unvergleichlichkeit“ des „Holocaust“ wurde ein „schwerer Stoß“ versetzt durch die ethnischen Säuberungen und den Genozid in Ruanda. Die im Windschatten dieser neuen „Menschheitsverbrechen“ neu angefachte Debatte um deutsche Opfer – gleichzeitig mit der auflebenden internationalen Diskussion über den türkischen Genozid an den Armeniern – konnte von seiten der Vertriebenen nicht ungeschickt dazu benutzt werden, die Distanz „zwischen der Ermordung der europäischen Juden und der Vertreibung der Deutschen“ zu reduzieren. Die schwindende nationale Bedeutung der Vertreibung muß also diskursstrategisch zunächst einmal mit medialen Terraingewinnen der „unerwünschten Opfer“ bezahlt werden. Für Goschler steht freilich fest, daß die Vertriebenen in dieser „Opferkonkurrenz“ nicht gewinnen können. Darum sind vermutlich auch Beiträge wie die des Düsseldorfer Osteuropa-Historikers Detlef Brandes keine Widerhaken. Brandes darf nämlich noch einmal eine Kurzfassung seines Buches über „Pläne und Entscheidungen zum ‚Transfer‘ der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen“ (München 2001) referieren. Dieses Werk setzt zwar reduktionistisch erst mit dem Jahr 1938 ein, doch es enthält genug Material, um ein beliebtes „Migrations“-Ideologem zu zerstören. Die Annexion eines Viertels des deutschen Staatsgebietes und die Vertreibung von mehr als zwölf Millionen Menschen war nämlich keine Reaktion auf die (ohnehin nicht sonderlich erfolgreiche) deutsche Umsiedlungspolitik in Polen, die Ereignisse von 1945/46 also keine Folge von 1938/39. Denn Brandes dokumentiert, daß polnische und tschechische Politiker im Herbst 1939 im Exil nicht einmal ihre Koffer ausgepackt hatten, als sie schon Forderungen nach dem Anschluß Ostpreußens, Hinterpommerns, Danzigs und Schlesiens sowie nach der „Aussiedlung“ der Deutschen aus dem Territorium der Tschechoslowakei erhoben. Mit diesem Beitrag schlägt in diesem Heft der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft völlig überraschend tatsächlich einmal die „Stunde der Wissenschaft“.

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