Seit zehn Jahren gibt es das Internet – das heißt, seit Erfindung des www-Browsers ist es für jeden Dummkopf zugänglich. Hat das „World Wide Web“ die Welt verändert? Bald traten Philosophen wie Norbert Bolz oder Nicolo Negroponte auf und behaupteten, daß das Internet die Revolution sei, die der Marxismus vergeblich versprochen hatte. Soziale Aufstände habe man vom vernetzten Menschen ebensowenig zu befürchten wie nationale Aufwallungen. Das waren die Hoffnungen. Inzwischen hat sich das neue Medium tatsächlich fest etablieren können als Informationsquelle für Studenten, die nicht zur Bibliothek gehen wollen, Journalisten, die ungern zum Telefon greifen, und Pornofreunde, die sich bei Beate Uhse nicht reintrauen. Im Dienste von Faulheit und Feigheit ist das Netz in den letzten zehn Jahren unentbehrlich geworden. Trotzdem bleiben ein paar Probleme, die sich elektronisch nicht lösen lassen. Da wäre etwa die Ernährungsfrage. Was herauskommt, wenn man sie vernachlässigt, das sieht man an den aufgedunsenen Leibern vieler Computerfreaks, die nur noch am Rechner sitzen und Junkfood in sich hineinschaufeln. Direkt im Zusammenhang damit steht das ungestillte Bedürfnis nach Anerkennung beim anderen Geschlecht, für das der Bildschirm, auch wenn er Pornographisches zeigt, keinen echten Ersatz bietet. Auch Touchscreens und die versprochenen Homepages mit Geruchsfaktor können niemals den Genuß eines eigenen oder fremden Körpers ersetzen, soweit dieser jung, straff und durchtrainiert ist. Und was nützt einem der Spaziergang durch ästhetisch geformte virtuelle Welten, wenn der Zahn schmerzt oder die Verdauung nicht funktioniert? Ein ärgerlicher Rest bleibt bei aller elektronischen Abgehobenheit bestehen: das Ich, das da vor dem Bildschirm sitzt und die Maus in der Hand hält, im Sommer in Shorts, kalkweiß und die mächtigen Schenkel entblößend. Wie bekommen wir dieses unappetitliche Detail in den Griff?, fragten sich die Informatiker. Und da sie sich nicht zu helfen wußten, riefen sie die Biotechniker auf den Plan. „Wir wünschen uns ein Gen,“ sagten die Computerleute, „das dem Menschen schon bei der Zeugung eingepflanzt wird, und das ihn nie dick und häßlich werden läßt, egal wie viele Stunden er am Bildschirm sitzt und was er dabei zu sich nimmt.“ Die Biotechniker versprachen dies, betonten aber, daß sie noch ein paar Jahre brauchen würden. Das war den Computerfirmen zu lange. Daher wandten sie sich an die Hirnforscher. „Wir wünschen uns“, sagten sie, „eine Elektrode, die sich im Kopf des Surfers anbringen läßt, damit er glaubt, die schönen knutschenden Körper auf dem Bildschirm wären sein eigener und der seiner Freundin.“ „Fast sind wir schon so weit“, sagten die Hirnforscher, „aber wäre es nicht viel einfacher, wir würden Endorphine ausschütten lassen, damit der Mensch sich immer wie im Paradies fühlt, und ihr könntet euch die Programmierung virtueller Welten ganz ersparen?“ Aus irgendeinem Grund wollte keiner diesem vernünftigen Vorschlag zustimmen.
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