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Entfesselte Hölle auf Erden

Entfesselte Hölle auf Erden

Entfesselte Hölle auf Erden

 

Entfesselte Hölle auf Erden

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Am 27. Mai 1943 gab der britische Luftmarschall Arthur Harris, Oberbefehlshaber des Bomber Command, seinen Gruppenkommandeuren den Operationsbefehl Nr. 173 zur Kenntnis. Er rief in Erinnerung, welche Bedeutung Hamburg mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern für das Deutsche Reich habe. Daher plane er die „völlige Zerstörung der Stadt“. Dadurch würde nicht nur die industrielle Kapazität Deutschlands reduziert, sondern auch die Moral der Deutschen gebrochen. Weiter: „Es ist geschätzt worden, daß wenigstens 10.000 Tonnen Bomben abgeworfen werden müssen, um den Prozeß der Auslöschung zu vollenden.“ Zwei Monate später war der Zeitpunkt dieses Auslöschens gekommen. Der Bestand an schweren viermotorigen Bombenflugzeugen, die in England seit 1936 für den strategischen Luftkrieg entwickelt worden waren, war erheblich gesteigert worden. Ausreichend viele Besatzungen standen bereit, um gegen Hamburg mit seinen Frauen, Kindern, alten Männern, ausländischen Arbeitern, Kriegsgefangenen einen Erstschlag zu führen, der so massiv wie möglich sein sollte. Als gute Christen, für die sie sich schon immer hielten, fanden die Briten es angebracht, ihre Vernichtungsaktion „Unternehmen Gomorrha“ zu nennen. Die Hansestadt hatte bis dahin 318 Fliegeralarme erlebt, davon 137 Luftangriffe. Dabei wurden 1.431 Hamburger getötet, 4.675 verwundet und 24.000 obdachlos gemacht. Die Stadt war mit Schutzmöglichkeiten für die Bevölkerung ausgerüstet. Es gab 1.442 öffentliche Luftschutzräume, 772 splittersichere Sonderbauten und 139 bombensichere Bunker. Die vorhandenen privaten Keller waren zu 76 Prozent abgestützt und gegen Splitter geschützt worden. Nahezu alle Zivilisten konnten vor Luftangriffen, wie man sie bisher erlebt hatte, Schutz finden. Am 24. Juli 1943 um 21.45 Uhr starteten dann auf dem Flugplatz Oakington die ersten Bombenflugzeuge. Sie waren ausgerüstet mit Millionen von Staniolstreifen, die die für die Nachtjagd und die Flak wichtigen Würzburg-Geräte ausschalten sollten. Am Sonntag, dem 25. Juli, um 0.33 Uhr wurde in Hamburg Fliegeralarm gegeben. Es war das Ende der ersten Woche der großen Schulferien, einer Woche, die sich durch strahlendes Sommerwetter ausgezeichnet hatte, das der Stadt und ihren Einwohnern nun zum Verderben werden sollte. Kurz vorher waren in Hamburg alle Wohnungen mit Drahtfunk ausgestattet worden, so daß man die über den Rundfunk ausgestrahlten Luftlagemeldungen verfolgen konnte, auch wenn der Reichssender Hamburg abgeschaltet werden mußte, um von den britischen Flugzeugen nicht zur Peilung benutzt zu werden. Durch den Drahtfunk kam wenige Minuten, ja, Sekunden nach dem Ertönen der Sirenen eine ungewöhnlich aufgeregte Stimme, die die Hamburger aufforderte, unverzüglich die Luftschutzräume aufzusuchen, da sich riesige Bomberverbände im Anflug befänden. Diese Meldung hat sicherlich Tausenden das Leben gerettet, so auch dem Berichterstatter, der als Junge mit seiner Familie im vierten Stock eines Mietshauses im Stadtteil Hoheluft lebte. Die 54 schweren und 26 leichten Flakbatterien, die Hamburg schützen sollten, waren durch den Abwurf der Staniolstreifen orientierungslos geworden. Zwar gaben sie Sperrfeuer aus allen Rohren, womit sie immerhin erreichten, daß manche britischen Bomberverbände zerstreut wurden und nicht die angestrebten Ziele erreichten, doch konnten sie nicht verhindern, daß die Briten in vier Großangriffen Tod und Verderben über die Hamburger brachten. Später hat die Hamburger Feuerschutzpolizei im amtlichen Bericht das Prinzip dargestellt, nach dem die Stadt vernichtet werden sollte: „Durch den Abwurf von Spreng- und Minenbomben waren in größtem Ausmaß Dächer abgedeckt, Fenster und Türen eingedrückt und zerbrochen, Schutzkräfte in die Keller getrieben worden. Die dann in größter Dichte abgeworfenen Brandbomben aller Art fanden durch die bereits angerichteten Zerstörungen reichlichste Nahrung. Erneute Abwürfe von Spreng- und Minenbomben trieben die Selbstschutzkräfte in die Schutzräume immer und immer wieder zurück. Dieser dauernd wechselnde Abwurf von Minen Spreng- und Brandbomben ermöglichte an vielen Stellen eine fast ungehinderte Ausdehnung der Brände.“ In den vier Nachtangriffen der Briten und den zwei schwächeren Tagesangriffen der 8. US-Luftflotte wurden insgesamt etwa 8.500 Tonnen Spreng- und Brandbomben abgeworfen. Nach Angaben des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau soll die Bombardierung Hamburgs 346 Millionen Dollar gekostet haben, das dürften nach damaliger Währung etwa 1,5 Milliarden Reichsmark gewesen sein. In der ersten Nacht wurden besonders schwer getroffen die Innenstadt, die Stadtteile Hoheluft und Eimsbüttel, Altona und die nordwestlichen Vororte. Es entstanden Brände in einem Ausmaß, wie Hamburg sie bislang noch nie erlebt hatte. Teilweise hielten sie sich noch wochenlang. Gas-, Wasser- und Elektrizitätsleitungen wurden schwer beschädigt. Fernsprechleitungen fielen frühzeitig aus. Die Selbstschutzkräfte, voran die Feuerwehr, die Polizei, die Gliederungen der Partei, die Hitlerjugend waren von Anfang an unermüdlich im Einsatz. Aus Lübeck, Kiel und Bremen, später sogar aus Berlin, Dresden und Leipzig wurden die Einheiten der Feuerschutz-Polizei nach Hamburg beordert ebenso wie die freiwilligen Feuerwehren aus der Umgebung Hamburgs. Morgens schien die Sonne nicht aufzugehen; gegen Mittag endlich sah man durch den über der ganzen Stadt liegenden schwarzen Rauch die Sonne als roten Punkt. Schon am Tag nach dem ersten Angriff liefen die Hilfsmaßnahmen an. Es wurden Meldestellen eingerichtet, in denen auch Berechtigungsausweise für die notwendigste Ausstattung an Ausgebombte ausgegeben wurden. In Kinos und anderen Räumlichkeiten gab es Verpflegung. Ohne Probleme nahmen Nicht-Ausgebombte jene auf, die wohnungslos durch die Straßen irrten. Es herrschte in den zerstörten Straßen eine fast gespenstische Ruhe. Die Menschen hasteten auf der Mitte der Fahrbahnen entlang, suchten Wasser, mit dem sie Kleidung und Haare einsprengten, um nicht angesengt zu werden von den überall umherfliegenden Funken. Am Sonntag und Montag griffen amerikanische Bomberverbände Teile des Hafens an. Der fünfte Angriff am Mittwoch, dem 28. Juli brachte dann die Hölle. Noch heute stockt der Atem, wenn man die Schilderungen liest. Innerhalb des Gebietes Hohenfelde – Hamm – Billbrook – Rothenburgsort -Hammerbrook (alles dicht bebaute Arbeiterviertel) fielen innerhalb von 90 Minuten etwa 2.439 Tonnen Bomben. Der damals junge Offizier der Feuerschutzpolizei Hans Brunswig, der später das gültige Werk über den Luftkrieg „Feuersturm über Hamburg“ geschrieben hat, war in der Hauptfeuerwache Berliner Tor vom Feuer eingeschlossen. Er filmte den in der Umgebung rasenden Feuersturm, hervorgerufen nicht nur durch die Masse der Bomben, sondern auch durch eine besondere Wetterlage, die aus Flächenbränden Stürme der Windstärke 13 entstehen ließ, durch die Bäume entwurzelt, Menschen in die Flammen gerissen, Häuserfronten umgestürzt und ganze Stadtteile in ein Flammenmeer verwandelt wurden, aus dem es kein Entkommen gab. Als man die Straßen betreten konnte, waren sie übersät mit Leichen, zusammengestürzten Mauern, ausgeglühten Fahrzeugen. Das Totalschadensgebiet hatte eine Fläche von über 13 Quadratkilometern. Wie viele Menschen durch den Feuersturm umgekommen waren, weiß niemand genau. In der Nacht zum 30. Juli wurde dann Barmbek in Schutt und Asche gelegt. Hier brannten Gebäudefronten von 164 Kilometer Länge. In der Nacht zum Dienstag, dem 3. August wurden die anfliegenden 740 britischen Maschinen durch schwere Gewitterstürme behindert. Sie warfen ihre 1.426 Tonnen Bomben weit verstreut ins Stadtgebiet. Die Bilanz des „Unternehmens Gomorrha“: die insgesamt 2.700 britischen und amerikanischen Kampfflugzeuge und Bomber haben zirka 40.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, getötet, vermutlich 100.000 verwundet, über 40.000 Wohnhäuser zerstört oder schwer beschädigt, 24 Krankenhäuser und Kliniken, 277 Schulen, 58 Kirchen und 77 Theater und Kinos vernichtet. Das militärische Ziel der Alliierten wurde jedoch nicht erreicht: Weder wurde die Moral und der Widerstandswille der Hamburger gebrochen noch die Rüstungsindustrie nachhaltig ausgeschaltet. Am 11. August kam der Postverkehr wieder in Gang und verkehrten die ersten Züge. Am 16. November 1943 wurde auf der Werft Blohm & Voss das erste Walter-Versuchs-Unterseeboot in Dienst gestellt. Im Oktober 1943 versammelten sich Tausende auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz (jetzt Rathausplatz), um der Toten zu gedenken. Plünderungen kamen selten vor. Das Hanseatische Sondergericht führte nicht mehr als 31 Verfahren gegen Plünderer durch. Von ihnen wurden 18 zum Tode verurteilt. Die fast nur noch aus Männern älterer Jahrgänge bestehende Polizei wurde durch tschechische Polizei aus dem Protektorat Böhmen und Mähren verstärkt und konnte die öffentliche Ordnung ohne Schwierigkeiten aufrechterhalten. Nach Berechnungen des späteren Hamburger Oberbranddirektors Hans Brunswig hat der Luftkrieg in Hamburg etwa 41.000 Menschen das Leben gekostet. Der spätere Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit und einflußreiche CDU-Politiker Gerd Bucerius schilderte nach dem Krieg, wie er das „Unternehmen Gomorrha“ erlebt hatte: „Ich stand auf dem Dach meines Häuschens in der Hamburger Vorstand. Oben flogen die englischen Bomber. Endlich! rief ich immer wieder, Endlich! Zu lange hatten die Alliierten gewartet, um den Weltfeind Hitler niederzukämpfen …. Endlich kamen sie! Und dann mußte ich nach Alarm-Ende durch die zerstörten Straßen mit halb verbrannten Toten – zu sehen, ob mein Anwaltsbüro erhalten war. Was habe ich damals gedacht? Grauen und Mitleid – natürlich. Aber auch – Ihr, die Toten, habt es so gewollt. … Um wen habe ich während des Angriffs gebangt? Um die … Bomberpiloten. Sie waren ja so tapfer und taten das, was ich von ihnen erhofft hatte …“ Nach dem Krieg wurde Gerd Bucerius Ehrenbürger von Hamburg. Foto: Luftaufnahme (um 1945) von den Ruinenfeldern in Hamburg: Der Name „Gomorrha“ sollte nicht nur die moralische Rechtfertigung behaupten, sondern auch die biblischen Ausmaße der Zerstörung vorwegnehmen „Sie sollen die alte Hansestadt Hamburg bis auf den Grund zerstören und zwar im vollsten Ausmaß aller Ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten.“ (Direktive, die im britischen Bomberkommando für die „Operation Gomorrha“, die Auslöschung Hamburgs, ausgegeben wurde) Hans-Joachim von Leesen , geboren 1930 in Hamburg, erlebte 1943 als Schüler die Bombenangriffe auf seine Vaterstadt.

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