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Rückkehr eines gestohlenen Nationalsymbols

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Im Februar 1945 war die Kesselschlacht um Budapest entschieden. In verlustreichen Kämpfen hatten zuvor wenige Tausend Soldaten, vor allem Truppen der Waffen-SS, monatelang große Kontingente der Roten Armee gebunden und sie so am schnellen Weitermarsch in die ungedeckte Südostflanke des Reiches gehindert. Die ungarische „Pfeilkreuzler“-Regierung unter Ferenc Szálasi (1897-1946) war schon nach Szombathely (Steinamanger) gezogen, mußte aber bald auch dort die Stellung abbrechen und mit den verbündeten deutschen Truppen weiter in das Reichsgebiet fliehen. Mit im Gepäck hatte man die Krönungsinsignien des ungarischen Königreiches mit der sogenannten „Heiligen Stephanskrone“, benannt nach dem ersten christlichen König Ungarns. Die Krone war nicht deshalb so wichtig, weil sie einen kostbaren, musealen Schatz darstellte, sondern weil sie nach dem königlich-ungarischen Staatsverständnis eine juristische Person war. Die Krone „besaß“ das ungarische Reich, die herrschende Dynastie war nur menschlicher Träger der königlichen Würde. Daß Ungarn nach dem Friedensdiktat von Versailles und Trianon – im Gegensatz zu Österreich und Deutschland – weiterhin eine Monarchie bleiben konnte, ohne einen König zu haben, erklärt sich durch die besondere Stellung der Stephanskrone. Der rechtmäßige König Karl IV. aus dem Hause Habsburg-Lothringen wurde 1916 in Budapest gekrönt und befand sich nach 1918 auf Druck der Siegermächte im Exil. Für ihn „verweste“ Admiral Ritter Miklós von Horthy das aufgrund „völkischer“ Grenzziehung zerstückelte Königreich. Jeder Minister mußte seinen Amtseid auf die physisch „anwesende“ Krone ablegen. Angesichts der besonderen juristischen Stellung der ungarischen Krone ist es staatsrechtlich zumindest fraglich, ob die 1946 unter sowjetischer Besatzung von Zoltán Tildy erfolgte Ausrufung der Republik gültig ist; um ganze Arbeit zu leisten, hätten die Kommunisten auch die in den amerikanischen Sektor verschleppte Krone zerstören müssen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die von den Sowjets installierte ungarische Führung in den Jahren 1946 – 47 erhebliche diplomatische Anstrengungen unternahm, um das Kleinod zu besitzen. Allerdings ohne Erfolg. Erst am 27. Juli 1951 erklärte das US-amerikanische Außenministerium in einer offiziellen Verlautbarung, daß es sich im Besitz der Hl. Stephanskrone befinde, sie aber wegen der angespannten politischen Lage nicht an Ungarn zurückgeben könne. Das von den Sowjets besetzte Land war inzwischen von einer Monarchie zur „Volksrepublik“ mutiert. Bis 1976 änderte sich nichts an der amerikanischen Haltung, die ungarischen Krönungsinsignien blieben streng bewacht in Fort Knox. Aber dann kam plötzlich Bewegung ins Spiel. Während der Präsidentschaft von Jimmy Carter planten die Amerikaner zu den Staaten des sogenannten Ostblocks unmittelbare Beziehungen aufzubauen; es sollte nicht mehr nur über Moskauer Kanäle verhandelt werden. Ob der Westen dadurch den Status quo anerkannte, oder ob man glaubte den Ostblock dadurch destabilisieren zu können, bleibt bis heute eine unlösbare Frage. Daß Carter am 12. Oktober 2002 für seine jahrzehntelangen Bemühungen um „Frieden und Menschenrechte“ mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, könnte ein nachträglicher Beweis für seine ernstgemeinte Haltung vor 25 Jahren gewesen sein. Die USA wollten Fortsetzung des Freiheitskampfes anregen Fest steht, daß man am 4. November 1977 auf der ersten Seite der New York Times lesen konnte, Amerika plane die Rückgabe der Hl. Krone an Ungarn. Das Datum war nicht zufällig gewählt, denn 21 Jahre vorher, am 4. November 1956, wurde der ungarische Volksaufstand endgültig von sowjetischen Truppen niedergeschlagen. Die Amerikaner wollten offenbar eine symbolische Fortsetzung des Freiheitskampfes anregen. Natürlich hatte die Carter-Administration vorher prüfen lassen, ob die Rückgabe des politisch so symbolträchtigen Kleinods sinnvoll sei. Auf Einladung des Vorsitzender des „Bundes der ungarischen Freikirchen“, Sándor Palotay, reiste Billy Graham in die Volksrepublik. In Budapest, Pécs (Fünfkirchen) und dem „Rom der Calvinisten“, Debrecen, wurde er davon überzeugt, daß sich der Kommunismus liberalisiert habe und praktisch Religionsfreiheit herrsche. Mit Sicherheit war auch der Vatikan in die Vorbereitungen involviert. Am 9. Juni 1977 besuchte KP-Chef János Kádár (Csermanek) den Vatikan, um über kirchenrechtliche Probleme zu verhandeln. Daß auch über die Rückgabe der Hl. Krone gesprochen wurde, ist sehr wahrscheinlich, denn wenig später, im September 1977, reiste Kardinal Bernardin aus den USA nach Ungarn und besuchte zahlreiche katholische Einrichtungen. Aber obwohl er nach seiner Weiterreise nach Rom das ungarische Regime scharf kritisierte, betonte er den Unterschied zwischen dem Volk und der politischen Führung. Offenbar bestand die Taktik des Westens darin, die Krone nicht dem Regime, sondern „dem Volk“ zu schenken – wie Carter später immer wieder erklärte, habe das „amerikanische Volk“ dem „ungarischen Volk“ die Stephanskrone zurückgegeben. Trotz aller offiziellen und geheimen Diplomatie hatten die Amerikaner nicht mit dem scharfen Protest der ungarischen Emigration und einigen bekannten US-Politikern gerechnet. In dem Kongreß verurteilte bereits am 4. November Edward Derwinski die Rückgabe der Krone, und der Abgeordnete Robert Lagomarsino erklärte, die USA verrieten ihre wichtigsten Prinzipien, würden sie die Krone dem kommunistischen Ungarn übergeben. Die Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Mary Rose Oakar, stellte sich an die Spitze der Protestierer und erreichte, daß 40 Kongreßmitglieder ihren Brief gegen die Rückgabe unterzeichneten. Die erste ungarische Demonstration mit 200 Emigranten fand am 9. November 1977 vor dem Weißen Haus in Washington statt. Mit dabei war auch der nach 1945 erste bürgerliche Ministerpräsident, Ferenc Nagy, der sich überraschend auf die Seite Carters schlug und sagte, daß er 1947 die Krone auch nicht herausgegeben hätte, „sich jetzt aber – verglichen mit 1956 – viel geändert hat in der Heimat“. Die US-Regierung wollte oder konnte keinen Rückzieher mehr machen, Carter war aber zu einer Geste des Vertrauens bereit und lud daher 15 Vertreter der ungarischen Emigration zu Gesprächen ein. Er erklärte ihnen seine These von dem „Geschenk an das ungarische Volk“ und versicherte den Anwesenden, daß auch hochrangige katholische Würdenträger mit der Rückgabe einverstanden seien. Diese tatsächliche Empfehlung des Vatikans ist nur zu verstehen durch die neue Kirchenpolitik, die man auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) beschlossen hatte. Die Ungarischen Emigranten halten die Rückgabe für Verrat Zum Beispiel hatte Rom, bzw. Papst Paul VI., darauf verzichtet, den Kommunismus namentlich zu verurteilen. Diese „Nachsicht“ wiegt angesichts der Tatsache besonders schwer, daß János Kádár 1948 als Innenminister für die Gefangennahme und Folterung Kardinal Mindszentys verantwortlich war. Man hatte dem Geistlichen unter anderem vorgeworfen, die Rückkehr der Hl. Krone verhindert zu haben, mit dem Ziel, den Sohn des letzten ungarischen Königs, Otto v. Habsburg, bei Gelegenheit krönen zu wollen. Ein absurder Vorwurf. Die ungarische Emigration war trotzdem nicht bereit, ihren Kampf gegen die Rückgabe so schnell aufzugeben und gründete daher den „Rat zum Schutz der heiligen ungarischen Stephanskrone“, der für den 29. November 1977 vor dem Weißen Haus eine Demonstration veranstaltete, diesmal mit rund 4.000 Teilnehmern. Auf Transparenten trugen die Protestierer ein schwarzes Kreuz mit der Aufschrift „Jalta 1945, Budapest 1956, Washington 1977“. Der spätere US-Präsident Ronald Reagan schaltete sich ebenfalls publizistisch in die Diskussion ein und warf der amtierenden US-Regierung außenpolitische Konzeptionslosigkeit vor. Trotz des unerwarteten innenpolitischen Ärgers erklärte das US-Außenministerium am 15. Dezember 1977, daß die Hl. Krone am 6. Januar – am Hochfest der Heiligen drei Könige – nach Ungarn geliefert werde, obwohl inzwischen sogar rechtliche Verfahren gegen die Auslieferung bei amerikanischen Gerichten anhängig waren. Bei einem Gericht in Kansas erwirkte zum Beispiel der republikanische Senator Robert (Bob) Dole ein Verfahren, das prüfen sollte, ob der Kongreß nicht der Auslieferung zustimmen müsse – vergeblich. Wie bei anderen Gerichten auch sahen die Richter keine rechtlichen Möglichkeiten gegen die Außenpolitik von Jimmy Carter und auch weitere Demonstrationen brachten nicht die entscheidende Wende. Am Morgen des 5. Januar 1978 startete die amerikanische Delegation mit der kostbaren Fracht von der Andrews Air Force Base und landete abends um 10 Uhr in Budapest – eine 33jährige Emigration fand damit ihren Abschluß. Jahrzehnte später geriet die Hl. Stephanskrone wieder ins Visier der öffentlichen ungarischen Meinung, als nämlich die 1998 bei den Wahlen siegreiche nationalliberale Koalition unter Ministerpräsident Viktor Orbán beschloß, die Reichsinsignien „umzubetten“: Sie wurden aus dem Nationalmuseum in Budapest herausgeholt und in den Kuppelsaal des Parlamentes gebracht. Der mediale Aufschrei ob dieses Vorgangs war unerhört; sogar die Zeit spottete daraufhin über „König Viktor“ und der Spiegel erklärte den Ministerpräsidenten kurzerhand zum „Possenreißer aus der Provinz“. Dabei hatte der Jurist Orbán mit der Verlegung der Krone nur angedeutet, was für das Karpatenbecken eine jahrtausendealte Tradition war. Fest steht: Solange die Hl. Krone noch physisch existiert, wird die linke „Horrorvision“ einer royalistischen Restauration weiterspuken. Foto: US-Außenminister Cyrus Vance (l.) in Budapest im Januar 1978: Symbol des ungarischen Reiches

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