Die Verbreitung des Virus schreitet voran, aber immer mehr bevölkerungsreiche Länder sehen eine Stabilisierung der Zunahme der Zahl der Neuerkrankten wie Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland; die Quarantänemaßnahmen wirken also. Nach Österreich will mit Dänemark ein weiteres Nachbarland Deutschlands seine Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie langsam wieder lockern.
In Schweden allerdings steigen die Zahlen nach wie vor und in der Regierung werden Maßnahmen diskutiert, die im Vergleich weniger restriktiven Beschränkungen zu verschärfen. In Stockholm, Malmö oder Göteborg ist es für das Arbeitsleben unerläßlich, daß die Kinder betreut werden und beide Elternteile Vollzeit arbeiten können.
Das war einer der Gründe für die eher moderaten Beschränkungen in Schweden, die jetzt überdacht werden müssen, da die Pandemie sich auch über Kinder- und Schulgruppen ausbreiten kann. Die Schweden allerdings als digitale Vorreiter haben die nötige Infrastruktur für Homeoffice, Online-Handel und entsprechende Bank- und Bezahlsysteme – das Leben von zu Hause ist keine große Umstellung und so werden die Beschränkungen diszipliniert befolgt.
Warnungen aus China hätten ernster genommen werden müssen
In Sachsen vertraut man weniger der Selbstdisziplin. Wer in Quarantäne muß und sich nicht daran hält, muß nun mit harten Strafen rechnen. Das Bundesland hat knapp zwei Dutzend Zimmer in psychiatrischen Kliniken freigeräumt, in denen Unbelehrbare von der Polizei bewacht werden sollen. Man wäre sich bewußt, daß die zwangsweise Festsetzung eine „sehr stark grundrechtseinschneidende Maßnahme“ wäre.
Auch Singapur verzeichnet wieder einen Anstieg der Infiziertenzahl; das Land, das am besten gegen die Pandemie vorbereitet war, muß jetzt das Wiederaufflackern der Infektion klug verhindern. Die Pandemie ist auch hier nicht ausgestanden wie in Südkorea, Taiwan oder auch Japan, wo es immer noch zu lokalen Ausbrüchen der Erkrankung kommt, aber die Situation insgesamt unter Kontrolle scheint. Das „Korean Centers for Disease Control and Prevention“ berichtet über 51 Patienten in Südkorea, die als geheilt galten und erneut positiv getestet wurden. Diese Patienten wären nicht erneut infiziert sondern das Virus reaktiviert, ähnlich wie bei Herpes-Infektionen.
Der leitende Pneumologe der Lungenfachklinik Moers berichtete über seine frühen Erfahrungen mit COVID-19-Patienten. Als Lehre aus der ersten SARS-Pandemie 2004 wurde in der Klinik medizinisches Verbrauchsmaterial eingelagert; Ende Januar 2020 mit systematischen Vorbereitungen begonnen. Man wußte, daß es beim rheinischen Karneval „virologisch knallen“ würde, da immer wieder Grippewellen während des Karnevals aus dem Rheinland wenig später in andere Bundesländer schwappten. In diesem Jahr hätte man nach den Warnungen aus China das bunte Treiben besser absagen sollen. Die Sterblichkeit der COVID-19-Patienten in seiner Klinik wäre glücklicherweise gering und statt einer Intubation würde für eine Intensivbehandlung häufig eine Sauerstoffmaske ausreichen.
Präventionsstrategie zielgerichteter einsetzen
Erst vor wenigen Tagen hat der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Ferdinand Gerlach, die unzureichende Datenqualität kritisiert, aufgrund derer in und von der Politik weitreichende Entscheidungen getroffen werden müßten. Nun provoziert ein Expertenpapier mit konstruktiver Corona-Kritik: „Die tatsächliche Ausbreitung des Virus in der Gesellschaft sei nicht bekannt, die Statistik beziehe sich auf einen zurückliegenden Zeitraum und blende die hohe Dunkelziffer an symptomfreien Infizierten aus.
Die offiziellen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) würden „in hohem Maße“ dadurch beeinflußt, wie viel auf das Virus getestet werde. Daher sei es nicht sinnvoll, von diesen Kennziffern „politische Entscheidungen abhängig zu machen. Zudem sei nicht geklärt, inwieweit Todesfälle tatsächlich auf die Infektion mit Sars-CoV-2 zurückzuführen und nicht durch andere schwere Gesundheitsprobleme zu erklären sind. Wenn die Zahl aller Infizierten nicht bekannt sei, seien auch die Aussagen zur Sterblichkeit überschätzt.
Die Experten empfehlen, daß sich die Präventionsstrategie stärker auf Pflegeheime und Krankenhäuser richten sollte, die mittlerweile die zentralen Verbreitungswege für das Virus seien. Außerdem sei die Corona-Epidemie durch „lokale Herde“ wie im nordrhein-westfälischen Heinsberg gekennzeichnet, in denen konsequent gegen eine Ausbreitung der Infektionen vorgegangen werden müsse.
Riesige wirtschaftliche Folgen
Die Feldstudie im Kreis Heinsberg vom Bonner Virologen Hendrik Streeck stützt obige Annahmen. Die Vielzahl der Infektionen ereignete sich schlagartig während einer Karnevalssitzung, einem Superspreading-Ereignis ähnlich wie die Masseninfektionen am österreichischen Skiort Ischgl und bei Fußballspielen in Norditalien. Die Sterberate in der hauptsächlich vom Coronavirus SARS-CoV-2 betroffenen Gemeinde Gangelt in Nordrhein-Westfalen (NRW) lag bei 0,37 Prozent, allerdings wurde bei 15 Prozent der Bürger eine Infektion nachgewiesen. In Österreich ergab kürzlich eine repräsentative Stichprobenuntersuchung, daß zwischen drei bis sechs mal mehr Bürger vom Virus infiziert wären, als die offizielle Statistik hergeben würde.
Der Sachverständigenrat führte weiter aus: „Die allgemeinen Präventionsmaßnahmen, zum Beispiel das social distancing, sind theoretisch schlecht abgesichert, ihre Wirksamkeit ist beschränkt und zudem paradox (je wirksamer, desto größer ist die Gefahr einer „zweiten Welle“) und sie sind hinsichtlich ihrer Kollateralschäden nicht effizient“. Statt der Schrotschuß-Taktik, die Johns Hopkins University in den USA nennt das Sledgehammer Strategie, sollte bei einem geregelt Exit gezielt gerade auf Risikogruppen wie hohes Alter, Multimorbidität, Ärzte und Pflegekräfte sowie lokale Epidemie-Herde fokussiert werden.
Riskiert man eine dauerhafte Rezession, kann der wirtschaftliche und persönliche Schaden oder Ruin für Millionen Menschen ebenfalls schwere gesundheitliche Folgen haben zusammen mit häuslicher Gewalt und Vereinsamung.