Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in einem vielbeachteten Beschluß zu den Bewertungsgrundlagen der neuen Grundsteuer kritische Fragen zu dem in elf Bundesländern angewendeten Berechnungsmodell des Bundes aufgeworfen (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23). Der Eilbeschluß vom 23. November hat die Vollziehung zweier Grundsteuerwertbescheide ausgesetzt. Das Gericht zweifelt sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen wurde die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Der Beschluß betrifft allerdings zwei extreme Fälle. Im ersten Fall handelt es sich um ein 1880 errichtetes kleines Einfamilienhaus, das seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert wurde und noch einfach verglaste Fenster aufweist. Anders als die alte Fassung des Bewertungsgesetzes sieht die neue Fassung hier eine Ermäßigung des Grundstückswertes wegen „behebbarer Mängel und Bauschäden“ aus Vereinfachungsgründen nicht mehr vor. Der zweite Fall betrifft ein Einfamilienhaus auf einem gut 1.000 Quadratmeter großen Grundstück mit eingeschränkter Nutzbarkeit aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe, einer Erschließung nur durch einen Privatweg und einer besonderen Hanglage. Der Kläger hatte moniert, daß diese wertmindernden Merkmale in den pauschalierenden Bodenrichtwerten nicht berücksichtigt seien.
Die explizite Berücksichtigung des abgezinsten Bodenrichtwertes nach Ablauf der Restnutzungsdauer des Gebäudes bei der Ermittlung der Ertragswerte wurde neu in das Bewertungsgesetz eingefügt. Das ist methodisch zwar richtig, aber damit wurde auch ein neuer juristischer Angriffspunkt geschaffen. Der Bodenrichtwert in Sinne von Paragraph 196 Baugesetzbuch ist ein durchschnittlicher, aus amtlichen Kaufpreisen ermittelter einheitlicher Lagewert innerhalb einer Richtwertzone. Das ist ein zusammenhängendes, nach Art und Maß der baulichen Nutzung relativ homogenes Gebiet. Der Bodenrichtwert berücksichtigt keine Unterschiede, auch nicht, wenn sie wesentlich sind wie die Ecklage eines Grundstücks. Lediglich „abweichende Grundstücksgrößen“ bei Ein- und Zweifamilienhäusern werden durch Umrechnungskoeffizienten erfaßt.
Es droht ein Maximum an Bürokratie
Den Finanzrichtern erscheinen die Bodenrichtwerte als Bewertungsmaßstab zu pauschal, und sie haben Zweifel an der Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse sowie an der Datenbasis der Bodenrichtwerte (Datenlücken und Verzerrungen). Diese Zweifel sind nicht unberechtigt, aber es gibt keine besseren Zahlen. Generell ist das Gericht der Ansicht, daß die Typisierungen und Pauschalierungen bei der Grundstückswertermittlung zu weit gehen und daß sich daraus im Einzelfall erhebliche Härten ergeben können. Es befürchtet sogar Wertverzerrungen im Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung. Die nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke bewirke eine „gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung“.
Diese Kritik ist übertrieben, denn es handelt sich um ein pauschaliertes Ertragswertverfahren der Grundstücksbewertung, das für die Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung praktikabel sein soll. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 10. April 2018 nicht verlangt, die Ermittlungsgenauigkeit auf die Spitze zu treiben, sondern einen weiten gesetzgeberischen Spielraum eingeräumt. Praktikabilitätserwägungen können Unschärfen bei der Ermittlungsgenauigkeit rechtfertigen.
Die Grundsteuerwerte weisen ein vernünftiges Maß an Differenzierung auf. Zwar sind die Bewirtschaftungskosten und die Liegenschaftszinssätze stark pauschaliert, aber die anzusetzenden Mieten bilden immerhin die interkommunal unterschiedlichen Mietniveaus ab. Darüber hinaus wird nach der individuellen Restnutzungsdauer differenziert – das ist ein sehr wesentlicher Faktor – und es wird erfaßt, ob eine Kernsanierung erfolgte oder auf dem Grundstück eine Abbruchverpflichtung liegt. Das kann man nicht ernsthaft als Nivellierung bezeichnen. Im Einzelfall gibt es Ungerechtigkeiten, aber die sind beim Bundesmodell viel weniger gravierend als bei den reinen Flächenmodellen.
Mainz und Nürnberg: Grundsteuer-Urteile widersprechen sich
Das sehr grobe bayerische Flächenmodell, bei dem weder der Bodenrichtwert noch der Ertrag des Grundstücks eine Rolle spielt, wurde dennoch vom Finanzgericht Nürnberg im August nicht beanstandet (8 V 300/23). Die Richter hatten keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen, obwohl diese bei gleicher Grundstücks- und Wohnfläche immer zu demselben Grundsteuermeßbetrag führen, ganz egal ob das Grundstück in einem abgelegenen Dorf in Niederbayern oder in München-Bogenhausen liegt. Das Finanzgericht hat dem Kläger, der das moniert hatte, keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährt, aber die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Damit ist die Verwirrung komplett, denn die beiden Urteile widersprechen sich total: Die nivellierende bayerische Regelung wird von dem einen Gericht für verfassungsgemäß gehalten – die viel weniger pauschalierende Regelung des Bundes dagegen von dem anderen Gericht für verfassungswidrig, weil sie nicht genügend differenziert. Diesen Widerspruch kann nur der Bundesfinanzhof auflösen. Im schlimmsten Fall müssen die Bewertungsregeln angepaßt und die Grundsteuerwerte neu ermittelt werden. Damit drohen den betroffenen Kommunen herbe Einnahmeverluste, denn die Grundsteuer kann ab dem 1. Januar 2025 nicht mehr nach der alten Berechnungsgrundlage erhoben werden. Der Bundesfinanzhof wird hoffentlich bedenken, daß Steuergerechtigkeit und Ermittlungsgenauigkeit auf die Spitze getrieben auch ein Maximum an Bürokratie bedeuten.