Im Kanzleramt wird am heutigen Montag mal wieder über den Fachkräftemangel diskutiert. Für die deutsche Wirtschaft gebe es kein größeres Geschäftsrisiko als der Mangel an geschulten Mitarbeitern. Deswegen brauche es gezielte Einwanderung und eine entsprechende Anwerbestrategie. Deutschland, so ein seit vierzig Jahren von Links immer vehementer vorgetragenes Credo, müsse endlich akzeptieren, ein Einwanderungsland zu sein, mit entsprechenden politischen Forderungen. Doch in Wirklichkeit verhält es sich umgekehrt, wie eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) erneut aufgezeigt hat – Deutschland ist ein Auswanderungsland! 3,8 Millionen Deutsche leben demnach dauerhaft in einem OECD-Land, alleine in den letzten zehn Jahren zogen über 1,8 Millionen Deutsche weg.
Unter den Industriestaaten ist das ein Spitzenwert, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung (5,1 Prozent). Lediglich Rekordhalter Polen und Großbritannien mit seinem Commonwealth liegen mit etwa 4,1 Millionen beziehungsweise 3,9 Millionen Staatsbürgern im Ausland vorne. Die für Deutschland gerne als „Schmelztiegel“ idealisierten Vereinigten Staaten liegen weit dahinter. Unter zwei Millionen US-Bürger leben fern ihrer Heimat, was einen Anteil von gerade einmal 0,7 Prozent ausmacht.
Zwar war Deutschland historisch immer ein bedeutendes Auswanderungsland, jedoch vor dem Hintergrund einer wachsenden Bevölkerung. Selbst die Auswanderungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch die Flüchtlinge aus den Ostgebieten mehr als kompensiert. Mittlerweile sind die Deutschen jedoch eine überalternde, schrumpfende Gesellschaft, was als Argumentation für ein neues Selbstverständnis als Einwanderungsland herhalten muß. Bitter ist hierbei, daß es besonders junge Deutsche nach der Schweiz, Österreich oder den USA zieht. Rund zwei Drittel der Auswanderer sind zwischen 25 und 39 Jahre alt.
Beruf als Motiv für Auswanderung
Der Anteil dieser Altersgruppe entspricht damit mehr als dem Doppelten in der Heimat (27 Prozent). Das Verhältnis der Geschlechter ist dabei in etwa ausgeglichen, was dafür spricht, daß viele den Sprung ins Ausland gemeinsam mit einem Partner wagen. Überdies sind sie häufig hochqualifiziert; drei von vier haben einen Hochschulabschluß, in der Heimat besitzt ihn nur jeder vierte.
Wer hierzulande also einen Fachkräftemangel beklagt, sollte sich besser überlegen, warum so viele Deutsche dem „besten Deutschland, das wir jemals hatten“ (Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Abschiedsrede) den Rücken kehren. Selbst die weiter als Auswanderungsland wahrgenommene Türkei hat mit zweieinhalb Millionen Staatsbürgern im Ausland heute nur noch einen etwa halb so großen Auswandereranteil.
Die Statistik legt nahe: Es hat wohl etwas mit dem Realeinkommen zu tun. Die überwiegende Mehrheit gab den eigenen oder den Beruf des Partners als Motiv an. Eine Entscheidung, die sich offenkundig lohnt. Innerhalb eines Jahres stiegen die Nettolöhne der Ausgewanderten monatlich im Durchschnitt um 1.186 Euro an, verglichen mit dem, was sie in ihrer Heimat verdienten. Auch Nichtakademiker profitieren dabei von einem deutlichen Plus in der Lohntüte, wenn sie dem deutschen Aufstocker- und Niedriglohnparadies ade sagen. Darüber hinaus gaben 18 Prozent eine „Unzufriedenheit“ über die Situation in Deutschland als Auswanderungsmotiv an.
Japan: Restriktive Einwanderungspolitik und große Exportnation
Angela Merkel, die mit dem CDU-Slogan von einem „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ in den Bundestagswahlkampf 2017 zog, sollte die Situation als ehemalige DDR-Bürgerin bekannt vorkommen. Bis zum Mauerbau 1961 und ab 1989 stimmten auch die überwiegend jungen und hochqualifizierten Ost-Bürger mit den Füßen ab, was sie von dem sozialistischen Experiment und seinen Früchten hielten.
Probleme durch Einwanderung lösen zu können, erweist sich erneut als Propaganda. Zwar versichern die Studienautoren, daß kein „Brain Drain“ (Abwanderung Hochqualifizierter) stattfinde – doch 180.000 Aus- und nur 130.000 deutsche Rückwanderer jährlich sprechen für sich selbst. Allein 2018 haben 1.101 deutsche und 840 ausländische Ärzte tschüß gesagt – meist Richtung Schweiz. Übrigens: Die größten OECD-Stubenhocker der Studie sind Japaner.
Nur 0,6 Prozent von ihnen leben im Ausland. Und trotz restriktiver Einwanderungspolitik ist Japan die viertgrößte Exportnation der Welt – aber auch ein Land, in dem das Volk nicht nur gut und gerne, sondern auch am sichersten lebt.
JF 51/19