Im März hat der Fiskus 55 Milliarden Euro eingenommen. Soviel wie nie zuvor. Insgesamt wird allein der Bund in diesem Jahr etwa 630 Milliarden Euro kassieren. Es vergeht kaum ein Quartal, in dem nicht wieder neue traurige Rekordstände bei den Steuereinnahmen verkündet werden. Traurig deshalb, weil das Geld, das der Staat einsackt, nicht aus dünner Luft fabriziert wird, sondern den Bürgern abgezwackt wird. Jeder Euro mehr in Wolfgang Schäubles Kasse ist ein Euro weniger in der Tasche von Otto Normalverbraucher.
Woher kommt der Reibach? Zum einen spült die gute Konjunktur viel Geld in die Staatskasse. Bei jeder Lohnerhöhung profitiert das Finanzamt dank „kalter Progression“ überdurchschnittlich. Ein Zustand, der unbedingt beseitigt werden muß. Zusätzlich wird der Staat aber auch immer findiger, wenn es darum geht, abzukassieren. Kommunen schicken von Jahr zu Jahr mehr Politessen aus und Finanzämter Drohbriefe an Inhaber von Schweizer Konten.
Das Finanzamt auf der Jagd nach kleinen und kleinsten Fischen
Dem Publikum werden öffentlichkeitswirksam die großen Fische gezeigt: Leute wie Klaus Zumwinkel oder Uli Hoeneß. Doch in Wahrheit ist das Finanzamt auf der Jagd nach kleinen und kleinsten Fischen. Hundert Bürger mit einem vierstelligen Betrag auf einem Girokonto in Wien oder Zürich bringen mehr als eine Alice Schwarzer.
Die absurde Fast-Enteignung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt durch das Land Bayern mit der erklärten Zustimmung der damaligen Bundesjustizministerin zeigt, wie wenig Respekt der Staat noch vor dem Eigentum seiner Bürger hat. Noch nie wurden so viele Kontoabfragen staatlicher Stellen registriert wie 2013. Binnen eines Jahres hat sich die Zahl verdoppelt. Im Inland aufgrund von Gesetzen, die mit einem Rechtsstaat nur noch wenig zu tun haben. Bei ausländischen Konten kurzerhand mit gestohlenen Steuer-CDs. Bankgeheimnis ade.
Nach Belgien die höchsten Abgabenlast in der Europäischen Union
Nun ist aber plötzlich soviel Geld in der Kasse, daß eine Debatte über die Staatsfinanzen losgetreten wurde. Jetzt wäre schließlich die Stunde, das Finanzregime zu lockern. Den Bürgern etwas mehr von dem Lohn zu lassen, von dem dank Lohnsteuer und Sozialabgaben im Schnitt sowieso nur 60 Prozent ausgezahlt werden. Und dann kommen die Konsumsteuern wie die Umsatzsteuer dazu, so daß der durchschnittliche Steuerzahler am Ende nur über ein Drittel seines Einkommens selbst verfügen darf.
Mit Ausnahme Belgiens leiden die Deutschen unter der höchsten Abgabenlast in der EU. Und es ist kein Zufall, daß sie in der EU die größte Last für die schlecht wirtschaftenden Südeuropäer übernehmen müssen, deren Lohnentwicklung in den letzten Jahren trotz der Krise um Längen besser war als bei uns.
Politiker und Lobbyvertreter melden Ansprüche an
Doch der Streit um die notwendige Entlastung läuft nach dem üblichen Schema ab: Politiker und Lobbyvertreter melden allerlei Ansprüche an. Es ist das gleiche Gesellschaftsspiel wie in Behörden und Unternehmen, wo am Jahresende der Etat noch schnell ausgeschöpft werden muß, damit er im nächsten Jahr nicht gekürzt wird: Also werden neue Laptops für den Außendienst und Verbrauchsmaterialien auf Vorrat angeschafft, und die Weihnachtsfeier fällt auch noch üppiger aus als sonst. In Deutschland geschieht dies in groß. Mit dem Geld der Steuerzahler.
Und so fordern die einen, den Schuldenabbau in Angriff zu nehmen, während andere plötzlich entdeckt haben, daß viele Brücken und Straßen marode sind und ausgebessert werden müssen. Ein Ablenkungsmanöver der besonderen Art war der Vorschlag von Torsten Albig. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident forderte trotz der Rekordeinnahmen sogar eine weitere neue Sondersteuer, wurde aber von seiner Partei zurückgepfiffen. Wenigstens das. Denn auch für einen „Verkehrssoli“ gilt, was der deutschamerikanische Schriftsteller Henry Louis Mencken festgestellt hat: „Wenn eine neue Besteuerung eingeführt wird, bedeutet das nicht, daß dafür eine alte Steuer wegfällt. Es bedeutet vielmehr, daß die Politiker künftig zwei Möglichkeiten haben, die Steuerzahler zu melken statt nur einer.“
Deutschland braucht keine neuen Steuern, sondern einen klaren Schnitt
Deutschland braucht keine neuen Steuern, sondern einen klaren Schnitt. Der Staat muß sein kompliziertes Steuerrecht endlich vereinfachen, am besten mit einer Flattax, also einem einheitlichen Steuersatz für alle. Zum einen kennt kein Mensch seinen eigenen Steuersatz, weil der Tarif so kompliziert ist. Zum anderen ist es nicht einzusehen, daß jemand, der mehr verdient, einen höheren Prozentsatz seines Einkommens abzuliefern hat. Auch bei einem einheitlichen Steuersatz würde er schließlich mehr bezahlen als derjenige, der weniger verdient. Ein bloßes Herumschrauben an der „kalten Progression“, wie es einigen Koalitionspolitikern jetzt vorschwebt, reicht nicht.
Gleichzeitig muß der Staat dringend sein Ausgabenproblem lösen. Die Ära Merkel droht nach Elterngeld (2007), Abwrackprämie (2009) und der vollen Sozialhilfe für Asylanten (2012) jetzt mit diversen Rentengeschenken auf Kosten der jungen Generation zu einer reinen Sozialorgie zu werden. Dazu kommen die Mehrkosten für die Energiewende und die verfehlte Euro-Rettung. Komischerweise haben die Finanzpolitiker aller beteiligten Parteien nie nach einer Gegenfinanzierung verlangt, als sie diese Milliardenprogramme beschlossen haben. Dafür war immer Geld da. Geld, das jetzt bei den Brücken und Straßen fehlt.
Mit ihrer großen Mehrheit könnte die schwarz-rote Regierung das Projekt „Große Steuerreform“ bewerkstelligen. Es ist ja oft so, daß genau die Koalitionen das umsetzen, was ihnen am wenigsten zuzutrauen wäre: So hat Rot-Grün die ersten Kriege seit 1945 geführt und den Sozialstaat reformiert, während Schwarz-Gelb den Atomstrom abgestellt und die Wehrpflicht abgeschafft hat. Vielleicht schafft Schwarz-Rot jetzt wider Erwarten die Reform des kompliziertesten Steuerrechts der Welt mit den höchsten Sätzen in der ganzen EU. Es wäre an der Zeit.
JF 19/14