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Ein Mega-Spekulant als Meisterdenker

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Die Krise kam langsam, doch man hätte sie schon seit mehreren Jahren kommen sehen können. Sie hatte ihren Ursprung im Platzen der Internetblase gegen Ende 2000. Die US-Notenbank hatte daraufhin den Leitzins innerhalb weniger Monate von 6,5 auf 3,5 Prozent gesenkt. Dann kam der Terroranschlag vom 11. September 2001. Um dessen Einfluß auf die Wirtschaft zu beschränken, senkte die US-Notenbank die Zinsen weiter – bis auf ein Prozent im Juli 2003, den niedrigsten Satz seit einem halben Jahrhundert; und dort blieb er ein ganzes Jahr lang. Um die Basisinflation bereinigt, war der Zinssatz für kurzfristige Anleihen 31 Monate in Folge negativ“. So schildert einer, der in diesem Metier zum Milliardär wurde, den Weg in die US-Finanzkrise, die sich inzwischen zu einer veritablen Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hat. George Soros benennt, was weder Lehman-Brothers-Profis noch naive deutsche Landesbanker erkennen wollten: „Das billige Geld führte zu einer Immobilienblase, zu einer Explosion fremdfinanzierter Übernahmen und zu anderen Exzessen.“ Die US-Investmentbanken an der Wall Street „entwickelten eine Vielzahl neuer Techniken, Kreditrisiken auf andere Anleger abzuwälzen, unter anderem Pensionsfonds und Anlagefonds, von denen hohe Renditen erwartet wurden. Darüber hinaus schufen sie Structured Investment Vehicles (außerbilanzielle Kreditarbitrage-Zweckgesellschaften), um ihre eigenen Positionen nicht einsetzen zu müssen.“ Kreditderivate im Nennwert von 42,6 Billionen Dollar Die prekärste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erzwang den G20-Gipfel in Washington. Eine Folgekonferenz in diesem Jahr soll den Streit zwischen den angelsächsischen Staaten und dem Rest der Welt betreffs einer zentralen, internationalen Regulierungsbehörde – etwa in Gestalt des IWF – ausräumen. Bis dahin sollen Einzelmaßnahmen wie die Einführung neuer Bilanzierungsansätze für komplexe Finanzprodukte, effektivere Eigenkapitalvorschriften für Banken oder die Überwachung von Rating-Agenturen umgesetzt werden. Ebenso sind die bereits lange eingeforderten stärkeren Reglementierungen von Hedgefonds („Heuschrecken“) sowie Zulassungsverfahren für „innovative Finanzprodukte“ vorgesehen. Denn bislang verkauften Banken „ihre risikoreichsten Hypotheken weiter, indem sie sie in Wertpapiere mit dem Namen Collateralized Debt Obligations (CDO) einbanden. CDO leiteten die Cashflows aus Tausenden von Hypotheken in eine Serie diverser Anleihen mit unterschiedlichen Risiken und Renditen, die auf die verschiedenen Vorlieben der Anleger zugeschnitten waren“, schreibt Soros. „Den weitaus größten Markt unter den synthetischen Papieren haben Credit Default Swaps (CDS/ Kreditderivate zum Handeln von Ausfallrisiken).“ Der Nennwert der ausstehenden CDS-Verbindlichkeiten wurde vergangenes Jahr auf 42,6 Billionen Dollar geschätzt. „Dies entspricht fast dem gesamten Vermögen der US-Privathaushalte. Die Kapitalisierung des US-Aktienmarkts beträgt hingegen 18,5 Billionen Dollar, die des Marktes für US-Schatzpapiere nur 4,5 Billionen Dollar“, rechnet Soros vor, dem der Umgang mit Milliarden geläufig ist. Sein Name verbindet sich mit einem der ersten Hedgefonds (Quantum-Fund) wie auch mit kreditfinanzierten Großspekulationen von einem Ausmaß, das etwa die Bank von England 1992 in die Knie gezwungen hat. Als Konsequenz mußte das Pfund aufgrund fundamentaler Schwächen aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden und abgewertet werden. Doch die damaligen Auswirkungen sind keinesfalls mit denen gleichzusetzen, die seit 2007 die Finanzwelt in Atem halten. Auch seine milliardenschweren Gewinne setzt Soros – der 1930 als György Schwartz in Budapest geboren wurde, die NS-Zeit nur dank glücklicher Umstände überlebte und dann 1946 vor den Sowjets in den Westen flüchtete – anders als viele US-Investmentbanker ein. Mittels der von ihm finanzierten Stiftungen wie der Soros Foundation oder des Open Society Institute fördert er vor allem politische Bewegungen und linksliberale Medien in den ehemaligen Ostblock- und GUS-Staaten – angefangen von der Solidarność in Polen und der Bewegung Charta 77 in der Tschechoslowakei bis hin zu den teilweise fragwürdigen, nach Blumen benannten „Revolutionen“ in Georgien, Serbien, der Ukraine oder Weißrußland. Dennoch ist Soros ein erklärter Gegner von US-Präsident George W. Bush und dessen missionarischen Neokonservativen. Finanzmärkte neigen zu Unter- oder Übertreibungen Soros versucht sich in dem Buch sogar als Philosoph – die dort vorgestellte „Reflexionstheorie“ bezeichnet er als sein Lebenswerk. Dieser als theoretisch-philosophische Überbau gedachte Denkansatz ist praktisch das Kondensat seiner Spekulationspraxis: Er besagt im Kern nichts anderes, als daß die bislang im wirtschaftspolitischen Diskurs dominierende „Gleichgewichtstheorie des Marktes“ (Adam Smith’ „unsichtbare Hand“) ersetzt werden soll durch sein neues Axiom, welches eine zunehmend unsicher und instabil werdende Welt postuliert. Im Klartext: Märkte tendieren nicht automatisch zum Gleichgewicht, sondern bedürfen vielmehr der Kategorie zentraler Regulierung. Primär die Finanzmärkte neigen im Kontext zunehmender Ungewißheiten und Intransparenz zu Unter- oder Übertreibungen, welche zwar auf vielerlei Fehlannahmen beruhen, gleichwohl aber die Realitäten grundlegend verändern. Der beste Beleg hierfür sei die US-Immobilienkrise. Diesen Theorieschwenk vollzieht er in Anlehnung an seinen geistigen Vater, den Philosophen Karl Popper, dem zufolge eine Hypothese so lange Gültigkeit beanspruchen kann, bis es gelingt, diese zu falsifizieren. Folgt man Soros, ist genau dies bei der gegenwärtigen Finanzkrise geschehen. Der bis dato propagierte „Marktfundamentalismus“ als Motor des Globalisierungsprozesses sei als ebenso extremistische Ideologie einzuschätzen wie sein Gegenmodell in Gestalt des Kommunismus, wie der „linke Kapitalist“ Soros betont. Lakonisch stellt das Finanzgenie fest, daß nunmehr die Krisenhaftigkeit der Globalisierung von der bisher schon darunter leidenden Peripherie – nämlich vielen Entwicklungsländern – nunmehr im Zentrum der westlich-kapitalistischen Welt angekommen sei. Infolgedessen neige sich auch die Ära globaler Hegemonie der USA ihrem Ende zu. Früher bereits von Soros erschienene Titel wie „ Die Alchemie der Finanzen“ (1988), „Die Vorherrschaft der USA – eine Seifenblase“ (2003) oder „Die Ära der Fehlentscheidungen“ (2006) künden von diesem fundamentalen Paradigmenwechsel. Lichtblicke für die Weltwirtschaft vermag der Finanzmagier aber durchaus zu erkennen. Desaströse Folgen wie nach 1929 könnten vermieden werden. Hoffnungsbegründende Gegengewichte sieht er in den aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien, Rußland oder Brasilien ebenso wie in den arabischen Ölstaaten, welche verstärkt die Lokomotiven-Funktion in einer neuen Weltfinanzarchitektur einnehmen, als deren Spiritus rector sich Soros begreift. George Soros: Das Ende der Finanzmärkte – und deren Zukunft: Die heutige Finanzkrise und was sie bedeutet. Finanzbuch Verlag, München 2008, gebunden, 174 Seiten, 24,90 Euro Foto: George Soros: Billiges Geld führte zur Explosion fremdfinanzierter Übernahmen und anderer Exzesse

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