Jeder soll essen, was er will. Aber wer weiß schon, was er ißt? Oftmals wird dem Verbraucher suggeriert, etwas Gesundes zu konsumieren — doch die Wahrheit sieht oft anders aus. Das findet beispielsweise der vom früheren Greenpeace-Chef Thilo Bode gegründete Verein Foodwatch. Auch andere Verbraucherschutzorganisationen fordern eine Ampelkennzeichnung für Lebensmittel. Rot, gelb und grün sollen jeweils den Zucker-, Fett- und Salzgehalt als hoch, mäßig oder niedrig kennzeichnen (JF 14/08). Der Verbraucher weiß dann sofort, worauf er sich einläßt. Und Wissen ist schließlich die Voraussetzung für eine selbständige Entscheidung. Laut einer Emnid-Umfrage fordern 84 Prozent der Deutschen eine entsprechende Pflicht zur farblichen Kennzeichnung der Nährwertangaben. Nach langem hin und her und diversen Interventionen der Lobbyisten der Nahrungsmittelkonzerne einigten sich vorige Woche auf der Verbraucherministerkonferenz die Minister von Bund und Ländern auf eine Ampelkennzeichnung. Auch der Forderung nach einem Uran-Grenzwert von zehn Mikrogramm pro Liter Leitungs- und Mineralwasser wurde nachgegeben. Daß dieser Sinneswandel mit der Bayern-Wahl und den weiteren Karriereplänen von CSU-Vize und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer zu tun hat, ist eine naheliegende Vermutung. Foodwatch bemängelt derweil das Kleingedruckte, weil hiernach erst noch eine europäische Lösung gefunden und nicht schon gleich auf eine nationale Regelung gesetzt werden soll. Foodwatch machte kürzlich die unübersichtliche Lage bezüglich der Nährwerte an Beispielen deutlich. Beim Test von 13 Grill- und Salatsaucen bekamen die meisten beim Zuckergehalt ein rotes Signal. Auch beim Fettgehalt war keineswegs alles im grünen Bereich. Und fast alle getesteten Produkte seien viel zu salzig. Mit jedem Schuß der „Asian Summer Sauce“ etwa würden Verbraucher ihr Essen mit einem Stück Würfelzucker versüßen. Der „Ketchupi“ speziell für Kinder werde mit der Aussage „30 Prozent weniger Zucker“ beworben. Doch er sei „sein Geld nicht wert, denn tatsächlich enthält er nicht weniger Zucker als der normale Ketchup von Knorr“. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Ketchupsorte, die 30 Prozent mehr Zucker aufbietet — doch im Endeffekt ist der Verbraucher erfolgreich in die Irre geführt und zahlt dafür auch noch extra. Die Nahrungsmittelindustrie hat sich weiter ablehnend zu einer verpflichtenden Ampelkennzeichnung geäußert — in Großbritannien ist sie längst Alltag. Seehofer wollte daher zunächst nur eine Selbstverpflichtung der Hersteller einfordern. Doch die haben bisher immer wenig gebracht, wenn sie sich nicht mit ureigenen Interessen verbinden. So wird kein Hersteller ein Interesse daran haben, seinen mit „30 Prozent weniger Zucker“ beworbenen Kinderketchup freiwillig mit einer roten Ampel zu kennzeichnen und es lieber bei den roten Tomaten auf dem Etikett belassen. Daß sich die Verbraucherminister nun für eine verpflichtende Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben, war keine Selbstverständlichkeit. Verbraucher haben schließlich keine starke Lobby, wie der Soziologe Helmut Schelsky schon in den 1970er Jahren beklagte. Doch das war gestern. Die Kampagne von Foodwatch & Co. konnte nicht mehr als eine Randerscheinung abgetan werden. Das ist die eigentliche Sensation. Auch wenn Seehofer „ohne Wenn und Aber“ für die nationale Ampel eintritt: CDU und FDP sind weiterhin gegen eine Pflicht-Ampel. Kanzlerin Angela Merkel hat Bedenken angemeldet. Die Verflechtung von Wirtschaft und Politik scheint das Wort zu führen, da die CDU-Chefin plötzlich Position gegen die Stimmung im Land bezieht, was sonst nicht ihre Art ist. Foodwatch ruft daher dazu auf, sich weiter an der Kampagne zu beteiligen und so den politischen Druck gegen den schwarz-gelben Widerstand zu erhöhen.
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