Im Januar 2006 waren in Österreich offiziell fast 3,2 Millionen Menschen beschäftigt – 368.027 (11,6 Prozent) davon waren Ausländer. Und darunter waren erstmals mehr Bundesdeutsche (52.692) als Türken (50.736). Im Jahr des EU-Beitritts 1995 lautete das Verhältnis noch 13.438 Deutsche zu 54.733 Türken. 2003 waren es immerhin schon 31.276 Deutsche zu 55.726 Türken. Das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sieht diese Entwicklung vor allem als Folge der sogenannten Hartz IV-Reformen. Reinhold Lopatka, Generalsekretär der regierenden ÖVP ortet hinter dem sprunghaften Anstieg deutscher Arbeitskräfte auch mediale Verheißungen: „Mich wundert nicht, daß Deutsche nach Österreich drängen. Es gibt ja keine Woche, wo nicht deutsche Zeitungen sehr positiv über Österreich schreiben.“ Für deutsche Unternehmen ist Österreich attraktiv Was aber sind die Hintergründe der Schlagzeile „Österreich, das bessere Deutschland“? Für viele Arbeitssuchende, vor allem aus Mitteldeutschland, ist das Gehaltsniveau verlockend. Ein Zimmermädchen verdient in einem österreichischen Hotel etwa 1.100 Euro. Das entspricht der untersten Tarifstufe nach österreichischen Maßstäben, ist aber erheblich mehr, als ein Hotel in Dresden bezahlt. Aber nicht nur arbeitslose „Ossis“ zieht es vermehrt zu den „Ösis“. Auch für deutsche Unternehmen ist der Standort Österreich höchst attraktiv. So gibt es in Österreich keine Gewerbesteuer. Die Körperschaftssteuer beträgt nur 25 Prozent. Kredite sind vergleichsweise günstig. Kostet die Arbeitsstunde in Österreich 21,30 Euro, sind es in Deutschland etwa 27 Euro. Die fachliche Qualifikation österreichischer Arbeitskräfte ist ein weiterer, entscheidender Standort-Faktor – vor allem gegenüber den neuen EU-Ländern. Die dem österreichischen Wirtschaftsministerium unterstellte „Austrian Business Agency“ wirbt gezielt deutsche Investoren an – mit „teils aggressiven Methoden“, wie speziell Bayern beklagt. So gelang es der Agentur 2004 fast 50 Projekte mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 172 Millionen Euro nach Österreich zu bringen. Die Ursache hierfür bestätigt eine Studie des Weltwirtschaftsforums, die Österreich in punkto Standortattraktivität auf Platz vier, Deutschland nur noch auf Platz 16 sieht. Bei der Arbeitsmotivation rangiert Österreich demnach an zweiter Stelle, Deutschland auf Platz 28. Trotz der für Österreichs Wirtschaft positiven Auswirkungen, stößt die aktuelle Entwicklung nicht auf ungeteilte Begeisterung. So kritisiert der Österreichische Gewerbeverein (ÖGV) die „Hurra-Offensive“ des AMS (Arbeitsmarktservice/“Arbeitsmt“), das unter dem Slogan „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ vor allem in Mitteldeutschland um Arbeitskräfte wirbt. Man solle sich lieber darum bemühen, die 30.000 österreichischen Tourismus-Arbeitslosen zu vermitteln, statt mit deutschen Agenturen zusammenzuarbeiten, verlautet aus dem ÖGV. Fritz Dinkhauser, Präsident der Tiroler Arbeiterkammer, legt nach: „Ich sehe die Deutschen lieber vor der Theke, als dahinter.“ Der Einwand des Gewerkschafters bezieht sich auf die zahlreichen deutschen Saisonarbeiter in der Tiroler Fremdenverkehrswirtschaft. Deren Zahl hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Da die deutschen Arbeitssuchenden „unabhängig von ihrer Berufserfahrung, den jeweils niedrigsten Tariflohn akzeptieren“, wie die Gewerkschaft Hotellerie, Gastgewerbe, Persönliche Dienste (HGPD) bestätigt, ortet die Arbeiterkammer ein auf legale Weise provoziertes Lohndumping. Ähnliches Tarifrecht und keine Integrationsprobleme AMS-Leiter Herbert Buchinger sieht die Gefahr deutscher Lohndrücker auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht: „Ich halte die Befürchtungen der Gewerkschaft in diesem Fall für übertrieben. Die Leute sind gut ausgebildet, sprechen unsere Sprache, haben ein annähernd gleiches Tarifrecht und es gibt keinerlei Integrationsprobleme. Was wollen wir mehr?“ Ganz ähnlich denkt das Gros der österreichischen Bevölkerung, der eine „Germanisierung“ des Arbeitsmarktes in jedem Falle willkommener ist, als eine weitere „Türkisierung“. Schließlich blieb die Türkei 2005 absoluter Spitzenreiter der Einbürgerungsstatistik (9.562) – Deutsche und andere EU-Bürger beantragen hingegen sehr selten den österreichischen Paß. Zudem steht der von über 80 Prozent der Österreicher abgelehnte EU-Beitritt der Türkei im Raum. Bei aller in sportlichen Wettkämpfen entfalteten Haßliebe steht der österreichischen Seele das „Brudervolk im Norden“ doch sehr viel näher als die wachsende Masse kulturfremder Zuwanderer. Auch gibt die Zahl der türkischen Beschäftigten nur einen Teil der Wahrheit wieder. Das wachsende Heer türkischer Eingebürgerter und Gastarbeitsloser wird von keiner offiziellen Statistik erhoben. Wogegen der deutsche Arbeitssuchende nahezu ausnahmslos finden will und findet, wonach er sucht: Arbeit. Die Art und Weise, in der er dieser nachkommt, erzeugt ein durchweg positives Echo. Ob als Liftwarten in Kitzbühel, als Skilehrern in Alpbach, als Masseuren in Salzburg oder Graphikern in St. Pölten – der Chor ihrer Brötchengeber streut den deutschen Arbeitern einhellig Rosen: „Tüchtig sind sie, gut ausgebildet und willig“. Und selbst den vielgepriesenen „österreichischen Charme“, attestieren Tiroler Tourismus-Experten, „versprühen die Deutschen ebenso gut wie die Einheimischen“. So hält der Zulauf deutscher Arbeitskräfte in den schon jetzt bevorzugten Branchen, Tourismus, Baugewerbe und Dienstleistungsbereich, unvermindert an. Und der Wiener „Margittunnel“, durch den in Kürze die U-Bahn-Linie U2 fahren soll, wird nicht das letzte deutsch-österreichische Gemeinschaftsprojekt sein, bei dem 50 Prozent der Arbeiter aus Mecklenburg-Vorpommern, dem Ruhrgebiet und Bayern stammen. Ein in Wien lebender Maschinenschlosser aus Nürnberg meinte kürzlich: „Die Entwicklung in Deutschland stimmt mich nicht zuversichtlich.“
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