Der Mann schäumt vor Wut. "Die Energiekosten – das ist es, was uns Probleme macht." Der Mann, der sich als "Mitarbeiter von Procter & Gamble" vorgestellt hat, hebt den Zeigefinger und trägt seine Sicht der Fakten in ein Mikrophon sprechend vor: "Die machen Gewinne ohne Ende. Erst jetzt hat Vattenfall uns die Strompreise wieder um fünf Prozent erhöht. Können Sie da nicht was machen?" Der Angesprochene ist Harald Wolf, Berlins Wirtschaftssenator. Und, nein. Der Genosse von der Linkspartei kann da nichts machen. Die Energiepreise steigen nun einmal. "Ich habe alle meine Rechte ausgeschöpft", betont der Senator und Spitzenkandidat seiner Partei.
Während beim Mittelstandsforum der Deutschen Bank in der Berliner Bankzentrale Unter den Linden letzte Woche die Emotionen von Handwerkern und Selbständigen hochkochen, tagt im Maritim in der Friedrichstraße eine exklusive Expertenrunde, um ein neues Buches über "Nachhaltige Energiepolitik" vorzustellen. Gerade mal dreihundert Meter Luftlinie liegen zwischen den beiden Veranstaltungen in Berlin-Mitte – und doch Welten.
Hohe Kraftstoffpreise ärgern nicht nur die Autofahrer
Während sich die Mittelständler als hilflose Opfer steigender Energiekosten sehen, sitzen in dem Hotel diejenigen, für die Energiepolitik das täglich Brot ist: Politiker, Umweltschützer und Stromversorger ebenso wie Anbieter von erneuerbaren Energien. Sechs Wochen nach dem groß angekündigten Energiegipfel im Kanzleramt sind die Probleme dieselben wie vorher und eine Lösung nicht in Sicht: Atom-energie(ausstieg), Treibhauseffekt, Verknappung und Abhängigkeit von ausländischen Energieressourcen sind die wichtigsten Stichpunkte.
"Hohe Kraftstoffpreise ärgern die Autofahrer, die Heizkosten werden immer mehr zur zweiten Miete, trotz hoher Gewinne der Energiekonzerne steigen die Stromkosten." Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) haut gerne in die populistische Kerbe. So wie sein Kabinettskollege, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der die – vor Feiertagen mal wieder – rapide ansteigenden Spritpreise kritisierte und auf die Gewinne der Konzerne verwies. Und das, obwohl jedes Kind weiß, daß zwei Drittel des Benzinpreises nicht von Aral, Shell oder Esso einkassiert werden, sondern in die Schatullen von ihrem Genossen Peer Steinbrück (ebenfalls SPD) wandern.
Den Spitzengenossen gelingt es immer wieder aufs neue, von ihren alten und neuen Abkassierorgien abzulenken. Während vor einigen Jahren Energiesteuererhöhungen noch als "Öko-Steuer" und "beschäftigungswirksam" (weil den Rentenversicherungsbeitrag senkend) verkauft wurden, verschleiern die Regierenden die immense Höhe der Steuern heutzutage durch den Verweis auf die "hohen Gewinne" der privatisierten Energiekonzerne.
Abgesehen von diesen Tatsachenverzerrungen gibt es natürlich handfeste Gründe für steigende Kraftstoffpreise. Politische Unsicherheiten in der Nahost-Region sind das eine. Der Hauptgrund ist aber der Durst Chinas und anderer aufstrebender Länder nach Rohstoffen, darunter eben auch nach Energieträgern.
Für Gabriel, der für eine Senkung von Mineralöl-, Öko- oder Mehrwertsteuer ebensowenig zu haben ist wie seine Genossen, steht daher fest, daß Deutschland seinen Energieverbrauch senken muß. "Bei heutigen Energie- und Strompreisen können 30 bis 40 Prozent des Energieverbrauc der Industrie mit heute verfügbarer Technik zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen eingespart werden", lautet eine der Kernthesen seiner "Energiepolitischen Strategie".
Gabriels Staatssekretär Michael Müller schlußfolgert: "Die Schlüsselfrage wird die sein, ob wir den heutigen Lebensstandard halten können bei gleichzeitiger Senkung des Energieverbrauchs." Nach einer dunklen Vergangenheit ("Ausbeutung, Raubbau an der Natur") lockt im Erfolgsfall ein goldenes sozialdemokratisches Zeitalter. "Wir brauchen ein Modell von Fortschritt, das alle Probleme löst, statt das 21. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt von heraufdämmernden Verteilungskämpfen zu sehen."
Gleichwohl ist sich der SPD-Linke Müller der Unerreichbarkeit dieser Ziele bewußt: "Unsere Erde verkraftet den Aufschwung Chinas, Indiens und Brasiliens nicht." Die Absenkung der deutschen CO 2-Emissionen um 250 Millionen Tonnen jährlich ist mit Euro-Milliarden aufwendig erkauft. Chinas aufstrebende Wirtschaft emittiert soviel CO2 in gerade mal zwei Wochen.
Bis Ende des Jahrhunderts wird mit einem Anstieg der Temperatur um 2,5 Grad gerechnet. "Wir können kaum vorhersagen, was das für den Nordatlantik bedeutet", seufzt Müller. Schließlich setze eine besonders heftige Erderwärmung am Nordpol ein. Nach diesen Horrorszenarien kann der Ausweg für Müller nur die Fortsetzung der rot-grünen Umweltpolitik sein: massive Förderung der erneuerbaren Energien.
Wieder schlagkräftig auf den internationalen Märkten
"Die Amerikaner sind heute stark, weil sie die Führerschaft bei den Kommunikationstechnologien übernommen haben, die die Welt rapide verändern. Wenn Deutschland respektive Europa jetzt die Führerschaft in der Effizienztechnologie übernimmt, dann werden wir wieder schlagkräftig auf den internationalen Märkten", so Müller. Doch diese Debatte wird nicht nur von rot-grünen Umweltpolitikern und den Befürwortern des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) geführt.
Dieter Ameling, Präsident der Wirtschaftsverbandes Stahl, widerspricht dem Umweltminister lautstark. "Kernkraft ist die einzige Energie, die uns CO2-Emissionen erspart", sagt er. Ameling, der auch Mitglied im Vorstand Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist, plädiert für ein sinnvolles Konzept bei den erneuerbaren Energien. Biomasse gehört für ihn dazu, Sonnenkollektoren nicht. Sie sind die am stärksten subventionierte Stromquelle in Deutschland. Wir brauchen wettbewerbsfähige Strompreise für unser Industrie, mahnt er. "Das ist wichtig für unseren Wohlstand."
Eine Mittelposition nimmt Peter Schrum, Chef der Alternativen Energiesysteme AG, ein. Schrum setzt auf Biokraftstoffe, plädiert für mehr Gelassenheit und behauptet, mit Alternativenergien bereits bei einem Rohölpreis von 100 Dollar pro Barrel wettbewerbsfähig sein zu können – angesichts von zuletzt 73 Dollar scheint dies mittelfristig gar nicht so abwegig.
Ganz neu ist die Technik, von der Schrum spricht, indes nicht. Schließlich berichtet Schrum selbst davon, wie er Anfang der achtziger Jahre als Student den Tank seines Wagens mit Pflanzenöl gefüllt hat. "Im Winter noch einen Liter Benzin dazu, damit er auch anspringt", so Schrum über seine ersten Versuche mit Alternativkraftstoff. Angesichts von Euro 4-Norm und Partikelfiltern geht das mit modernen Dieselmotoren aber nicht mehr so einfach.
Ernst Schwanhold, Beate Kummer: Nachhaltige Energiepolitik – Herausforderungen der Zukunft, Honnefer Verlagsgesellschaft, Bad Honnef, 2006, 431 Seiten, 34,80 Euro