Anzeige
Marc Jongen, ESN Fraktion
Anzeige
Marc Jongen, ESN Fraktion

„Hier wird keine Metzgerei verkauft“

„Hier wird keine Metzgerei verkauft“

„Hier wird keine Metzgerei verkauft“

 

„Hier wird keine Metzgerei verkauft“

Anzeige

Unwort, Umfrage, Alternativ

Die Redaktion des Berliner Kuriers mag es gern derb, vor allem, wenn es gegen „Wessis“ geht. Am zweiten Oktoberwochenende war auf der Titelseite eine stark blutende Frau zu sehen. Die Überschrift lautete: „Verprügelt, weil sie Ossi ist. Ein unfaßbares Drama – 15 Jahre nach der Einheit“. Sehr viel geschmeidiger wirkt dagegen die Berliner Zeitung. Sie erscheint ebenfalls im Berliner Verlag und wendet sich mehr an den Bildungsbürger. Spezielle Ost-Befindlichkeiten finden sich in ihr nur noch selten. Mit aller Gewalt versucht sich das Blatt auch im Westen zu positionieren. Die Berliner Zeitung, bereits im Mai 1945 von Sowjets und Exil-Deutschen gegründet, war Ost-Berlins große Tageszeitung und zehrt heute noch von einstigen Verkaufszahlen (bis zu 345.000). Sie ist mit gut 180.000 verkauften Exemplaren die größte Abo-Zeitung in Berlin und Brandenburg. Das liegt vor allem daran, daß sich den Markt im Westen zwei etwa gleichgroße Tageszeitungen ähnlichen Zuschnitts teilen: die Berliner Morgenpost (150.000) und der Tagesspiegel (140.000). Jetzt soll der Berliner Verlag verkauft werden. Die Nachricht, daß (und an wen!) der Holtzbrinck-Verlag seine Tochter abstoßen möchte, schlug in der Berliner Verlagswelt ein wie eine Bombe. Und nicht nur da: auch beim Bundesgerichtshof (BGH), der von Amts wegen mit dem Verlag befaßt ist. Vor drei Jahren erwarb Holtzbrinck (Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Die Zeit) den ehemaligen Ost-Verlag. Als flankierende Maßnahme sozusagen, denn Holtzbrinck besitzt bereits den Tagesspiegel. Ausgerechnet der Axel Springer Verlag (Boulevardblatt B.Z., Berliner Morgenpost, Die Welt, Bild) warnte deswegen vor einer marktbeherrschenden Stellung des Verlags auf dem Pressemarkt der Hauptstadt. Diesen Bedenken schloß sich das Kartellamt an, und der von Holtzbrinck bemühte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) widersprach dem nicht. Seit einem Jahr wird vor dem BGH verhandelt. Spekulationen lauteten eigentlich so: Holtzbrinck wird die Übernahme erlaubt, wenn es den nicht gerade gewinnträchtigen Tagesspiegel verkauft. Zur großen Überraschung plant der Verlagsriese nun aber die Veräußerung des Berliner Verlags. Es sei eine „Heuschrecke im Anflug“, titelte der Spiegel und meinte damit einen der von SPD-Chef Franz Müntefering so getauften Finanzinvestoren. Das überrascht auch deswegen, weil der Verlag – der vom Alteigentümer Gruner + Jahr vorläufig weiter verwaltet wird – neuerdings Gewinne abwirft. Neun Millionen Euro kamen 2004 zusammen, der Löwenanteil geht auf die Berliner Zeitung zurück. Diesen gewinnträchtigen Verlag will nun eine Gruppe ausländischer Finanzinvestoren übernehmen, bestehend aus der britischen „Private Equity“-Firma 3i, dem amerikanischen Unternehmen Veronis Suhler Stevenson (VSS) und der britischen Beteiligungsgesellschaft Mecom unter Führung des Iren David Montgomery, die bereits versuchte hatte, sich bei der Frankfurter Rundschau einzukaufen. 2004 – zum Beispiel – kaufte 3i einen irischen Verlag, den es in diesem Herbst bereits wieder veräußert hat. Das Engagement der Briten beim Berliner Verlag könnte also wie ehedem der Erwerb der Kirchgruppe durch Haim Saban enden: mit einem weiteren Verkauf – nach erfolgter Sanierung. Für diese Transaktion spricht die Tatsache, daß die 3i-Geschäfte von einem Ex-Bertelsmann-Topmanager geführt werden. Bertelsmann ist Inhaber von Gruner + Jahr, dem provisorischen Verwalter der Verlags. Andererseits gibt es noch andere Interessenten: DuMont (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau), die WAZ-Gruppe in Essen und den norwegischen Mischkonzern Orkla Media, der im Juli dieses Jahres die im Internet erscheinende „Netzeitung“ des früheren Chefredakteurs der Berliner Zeitung, Michael Maier, gekauft hat. Maier koordiniert heute zusätzlich die Deutschland-Aktivitäten von Orkla. Kaum waren die Verkaufsgerüchte publik geworden, da meldete sich Alfred Neven DuMont von seinem Urlaubsdomizil auf Mallorca. „Wir sind erstens verwundert und zweitens weiterhin sehr interessiert“, sagte der Verleger. DuMont sehe den Berliner Verlag als Ergänzung zu seinem Produktportofolio an, heißt es. Der Kölner Medienunternehmer ist nach der Wiedervereinigung bereits bei der Mitteldeutschen Zeitung eingestiegen. Seine Verwunderung über die exklusiven Verkaufsgespräche zwischen der Finanzguppe und Holtzbrinck liege auch daran, daß er den diskutierten Kaufpreis selbst zu entrichten bereit gewesen sei, so DuMont weiter. Brancheninformationen zufolge soll der zwischen 150 und 180 Millionen Euro liegen. DuMont dazu: „Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber hier wird keine Metzgerei verkauft.“ Eine „achtsame Stimme“ wie der Berliner Verlag verdiene es, „mit Würde behandelt“ zu werden. Zu Beginn dieser Woche schaltete sich die Redaktion der Berliner Zeitung selbst in den Streit ein. In einem bemerkenswert deutlichen Artikel warnte Chefredakteur Uwe Vorkötter öffentlich vor einem Verkauf des Berliner Verlages an die Finanzinvestoren. „Zum ersten Mal würde eine große deutsche Tageszeitung an Investoren verkauft, die nicht von publizistischen Interessen geleitet werden, sondern die ausschließlich den Anlegern des Investmentfonds und den Banken, die sie finanzieren, verpflichtet sind“, verkündete er in der Berliner Zeitung. Die „Maximierung der Rendite ist nicht das Ziel unserer Arbeit. Wir haben publizistische Ambitionen, die gleichwertig neben dem wirtschaftlichen Erfolg stehen.“ Das klingt etwas zu pathetisch, vor allem vor dem Hintergrund der Kirch-Sanierung durch die Saban-Investoren. Dadurch wird klar, was die Beschäftigten beim Berliner Verlag – allen voran der Chef der wichtigsten Zeitung – fürchten: eine Filettierung und Zerschlagung, gewinnbringende Veräußerung hinterher inklusive. Der Finanzinvestor David Montgomery wollte solche Bedenken besänftigen, als er versicherte, die „redaktionelle Integrität“ werde beibehalten, sollte er den Verlag übernehmen. Mit Vorkötter habe er ein dreistündiges, klärendes Gespräch geführt, hieß es. Chefredakteur Vorkötter schrieb dazu in seinem Warnruf: „Wenn er Pläne, Konzepte und Ideen hätte, müßte ich sie jetzt kennen. Das ist nicht der Fall.“ Offene Schadenfreude herrscht deswegen bei den beiden westlichen Mitbewerbern. So riet die Morgenpost den Kollegen vom Berliner Verlag, sich „warm anzuziehen, nicht nur wegen des herannahenden Winters“. Wenn es gegen Konkurrenten geht, dann mögen es viele Journalisten derb auf dem hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt. Foto: Eingang zum Berliner Verlag: Angst vor „Heuschrecken“

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.