Als kürzlich die neue Ostseeautobahn A20 eingeweiht wurde, über-schlugen sich die Komplimente für Planer und Erbauer sowie die Eigenschaften der am 19. Dezember 1992 per symbolischen ersten Spatenstich durch Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) begonnenen Trasse.
Krauses Politkarriere ist längst vorüber – dafür durfte seine damalige Partei- und Kabinettskollegin das Projekt eröffnen: Extra für die neue Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde das Bändchendurchschneiden vom 3. auf den 7. Dezember verschoben – der erste Termin mit US-Außenministerin Condoleezza Rice war wichtiger. Zusätzlich lieferten sich mitten auf der Trebelbrücke bei Tribsees die Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Peter Harry Carstensen (CDU) und Harald Ringstorff (SPD), ein verbales Schulterklopfen auf plattdeutsch. Einzigartig sei das, was man in "Rekordzeit" von nur 13 Jahren geschafft habe: der schnellste Autobahnneubau seit 1945.
Die Daten sind imposant: 323 Kilometer Autobahn mit vier Kreuzen, 35 Anschlußstellen und 105 Brücken – für 1,9 Milliarden Euro. In der Summe enthalten sind auch zehn Wildbrücken und zahlreiche Krötentunnel. Die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) tat stolz kund, daß sich die Aufwendungen für ökologische Ausgleichsmaßnahmen auf zehn Prozent der Gesamtkosten summierten.
Diese Zusatzausgaben waren nötig, da Umweltschutzverbände und direkt betroffene Anwohner von Anfang massiven Widerstand gegen das A20-Projekt organisierten. Greenpeace war grundsätzlich dagegen und forderte 1992 statt dessen den Ausbau des Bahnnetzes sowie der stark befahrenen Bundesstraßen 104 und 105. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert die A20-Trasse als "ökologische Katastrophe" und "fatalen Startschuß für insgesamt 8.000 Hektar Landschaftsverbrauch". Grüne und PDS unterstützten die – allerdings nicht sehr zahlreichen und häufig auch aus anderen Bundesländern angereisten – Autobahn-Gegner, die gegen "fortschreitende Naturzerstörung durch dieses ökologisch nicht vertretbare Großprojekt" mobil machten.
Doch selbst Klagen bei europäischen Institutionen nutzten nichts: 1995 gab die EU-Kommission bekannt, daß sie keine Bedenken gegen den Bau der A20 habe, obwohl das Vogelschutzgebiet Recknitz- und Trebetal dadurch beeinträchtigt werde. Um Rostock und Stralsund an die Autobahn anzubinden und die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zu beleben, gebe es keine Alternative zur A20.
In der Tat könnte man unter ökologischen Gesichtspunkten sehr viel an der Ostseeautobahn monieren. Allerdings widersprechen sich die Interessen von Arten- und Klimaschutz häufig. Schon bei der Planung 1992 wurden um Naturreservate und Flußniederungen große Bögen gemacht, und so ähnelt die Streckenführung teilweise einer kurvigen Gebirgsautobahn – zusätzlicher Landschaftsverbrauch und spritfressende Wegekilometer inklusive.
Im Falle der Wakenitz-Niederung südlich von Lübeck wurde sogar das Bundesverwaltungsgericht 2002 zu einem Urteil bemüht. Angesichts der aus Naturschutzgründen durchgesetzten weiträumigen Umfahrungen mutete es allerdings schon mehr als komisch an, daß mit Anett Beitz ausgerechnet die Vizevorsitzende des BUND kürzlich im Interview mit Radio Ostseewelle kritisierte, daß man mit der A20 so viele Umwege in Kauf nehmen müsse.
Auch andere Pleiten trübten das Großprojekt. Als im Dezember 2004 ein Teilstück zur A1 eingeweiht wurde, trauten die Anwohner in Schönberg bei Lübeck ihren Ohren nicht: Der "Brüllbeton" (eine zu grobe Nutzschicht), machte von sich hören, der im Sommer diesen Jahres für 1,6 Millionen Euro durch eine Bitumenschicht zum Schweigen gebracht werden mußte.
Aus rein regionalpolitischem Kalkül ist die Ostsee an einem Teilstück mehr als 120 Kilometer von der A20-Trassenführung entfernt – nur um Neubrandenburg einen Autobahnanschluß zu verpassen und Brandenburgs Uckermark mit einzubinden. Von Rostock bis Stettin macht dies gegenüber der alten B105 eine Strecke von fast 100 Kilometern aus, die an Weg mehr zurückzulegen ist. Das hat dazu geführt, daß der Schwerlastverkehr Richtung Polen zum Leidwesen der Anwohner ab Greifswald über Anklam und Pritzwalk den Grenzübergang Linken nutzt – und dabei gehörig an Autobahnmaut spart.
Ob die A20 jemals ganz fertig wird, ist übrigens unklar. Die Verlängerung (als Nordumfahrung von Hamburg) von Lübeck zur Elbequerung bei Glückstadt und weiter nach Cuxhaven stößt erneut auf Widerstand – doch diesmal haben die Umweltschützer mehr juristische Möglichkeiten: Das 1991 verabschiedete Gesetz zur Beschleunigung des Verkehrsausbaus gilt bislang nur in den neuen Bundesländern.