Eine Mehrheit der europäischen Konsumenten und Bauern lehnt den Verzehr und den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GMO) strikt ab. Daran konnten auch intensive Werbemaßnahmen der Industrie nichts ändern. 1998 stoppte die Europäische Union den Schritt in das GMO-Zeitalter, indem sie ein fünfjähriges Moratorium verhängte. Begründet wurde dieser Schritt mit einer unklaren Rechtslage in Sachen gentechnisch modifizierter Organismen. Am 31. Januar 2003 lief dieses Moratorium aus, und obwohl es nach wie vor sehr viele ungelöste Fragen gibt, wurde es nicht verlängert. Damit war klar, daß in kürzester Zeit „Genfood“ in die Regale kommen würde. Seit dem 19. Mai ist es soweit: Die EU-Kommission hat den gentechnisch veränderten Süßmais Bt11 für den Import zugelassen. Die gentechnisch veränderte Sorte der Schweizer Firma Syngenta ist gegen Schädlinge resistent. Die Pflanze wurde so manipuliert, daß sie ein Gift gegen den sogenannten Maiszünsler produziert, der in bestimmten Regionen auftritt. An eine Vermarktung von Bt11-Mais-Produkten in der EU ist nach Aussage des antragstellenden Unternehmens vorerst nicht gedacht. In Deutschland stieß die Entscheidung aus Brüssel auf ein geteiltes Echo. Während Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) kritisierte, die Sache sei „noch nicht entscheidungsreif“, begrüßte die FDP die Zulassung als Ja zu wichtigen Innovationen. Die Gentechnik-Expertin der FDP-Bundestagsfraktion, Christel Happach-Kasan, erinnerte daran, daß die Welternährungsorganisation (FAO) von gentechnisch veränderten Pflanzen erhebliche Ertragssteigerungen erwarte und damit auch einen Beitrag zur weltweiten Bekämpfung des Hungers. Damit wiederholte die „Expertin“ einmal mehr eines der perfidesten Märchen der Gentech-Lobby. Einer der prominentesten Kämpfer gegen diese Lieblingslüge der Industrie ist der ehemalige britische Umweltminister Michael Meacher, der während seiner Amtszeit umfangreiche Tests mit GMOs veranstalten ließ. Auf die Frage, ob sich mit genmanipulierten Pflanzen der Hunger in der Dritten Welt besiegen ließe, antwortete er in einem Spiegel-online-Interview: „Die wichtigsten Ursachen dafür, daß schätzungsweise 800 Millionen Menschen täglich hungrig zu Bett gehen, sind der ungerechte Welthandel, unfähige und korrupte Regierungen in der Dritten Welt sowie eine schlechte Verteilung des Landes. Wenn wir wirklich etwas dagegen unternehmen würden, gut! Aber zu glauben, daß sich mit GM-Pflanzen der Hunger besiegen ließe, ist lächerlich. Es ist empörend, daß Monsanto seine bösartige kommerzielle Gier jetzt hinter der Maske des Wohltäters verstecken will. Der Welthunger ist denen doch vollkommen egal, sie wollen nur ihre Produkte in der Dritten Welt verkaufen.“ Mit der drastischen Formulierung von „kommerzieller Gier“ hat Meacher schlicht die Tatsache benannt, daß Unternehmen Gewinne erwirtschaften wollen. Für einen Saatgutproduzenten wie Monsanto kann es nichts Lukrativeres geben, als daß in jeder Phase des Anbaus Geld verdient wird: zunächst durch den Verkauf des patentierten Saatguts, dann mit den diversen Pflanzenschutz- und Düngemitteln, die nur für diese Pflanze wirksam sind, und am Ende womöglich noch mit den Zusätzen für die Verarbeitung durch die Lebensmittelindustrie. Genau um diese lückenlose Vermarktungskette geht es in diesem Milliarden Euro schweren Gentech-Spiel. Weil zumindest die meisten Europäer die Endprodukte dieser Technologie nicht verzehren wollen, muß zunächst Sicherheit suggeriert werden, indem man „Wahlfreiheit“ und „Kennzeichnungspflicht“ vorgaukelt. Die Marketingexperten wissen ganz genau, daß hier ein Gewöhnungsprozeß stattfinden muß. Stehen die GMO-Produkte erst mal in den Regalen – und sind womöglich sehr billig -, gewöhnt sich der Konsument zunächst an deren Anblick und wird dann irgendwann auch zugreifen. Gentech schmeckt man nicht und riecht man nicht. Gerade bei der Weiterverarbeitung – etwa in Restaurants – kann man GMO auf den Teller schmuggeln. Und so wird in naher Zukunft Genfraß genauso selbstverständlich sein wie konventionelles „junk food“. Wurde das Stück Fleisch mit GMO-Futter gemästet, besteht keine Kennzeichnungspflicht, die Wahlfreiheit wird so zur Makulatur. Bei der Entscheidung über die Zulassung von Bt11 enthielt sich Deutschland der Stimme, „weil wissenschaftliche Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten“, begründete Künast. Es gebe offene Fragen, etwa ob der Mais Allergien auslöse. Zudem sei fraglich, ob die Ergebnisse der Tierversuche auf den Menschen übertragbar seien. Das klingt zwar gut, wird aber am Ende nichts bringen. Denn der Nachweis, daß genau ein GMO eine bestimmte Allergie ausgelöst hat, ist sehr schwer zu erbringen. Zumal Allergien inzwischen zu einer Volkskrankheit geworden sind, und alle nur erdenklichen Stoffe dafür verantwortlich sein können. Interessant ist auch, daß sich bislang kein Versicherer bereiterklärt hat, gentechnologische Schäden abzusichern. Jeder Versicherungsmathematiker kann die Prämien nur dann festlegen, wenn er sie berechnen kann. Offenbar ist das Risiko völlig unkalkulierbar. Deshalb gibt es keine Haftpflichtversicherungen für die Verunreinigung mit gentechnisch veränderten Organismen. Zwar soll daher ein Verursacherprinzip gelten, aber man kann sich gut vorstellen, wie ein eventueller Rechtsstreit eines Bio-Bauern gegen ein Milliarden-Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung ausgehen wird. Die Zulassung von Bt11 kommt daher einem Dammbruch gleich, dessen irreversible Folgen erst in Jahrzehnten erkennbar sein werden. Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer – die Macht der Verbraucher: Denn obwohl die EU-Kommission den Gen-Mais der Schweizer Firma Syngenta zugelassen hat, will das Unternehmen sein Laborprodukt vorerst nicht in der EU anbieten. Die Lebensmittelunternehmen hätten „klar gesagt, daß sie den gentechnisch veränderten Mais in der aktuellen Lage nicht vermarkten werde“, erklärte letzte Woche der Europachef von Syngenta Seeds, André Goig, in der Pariser Wirtschaftszeitung Les Echos. Doch Syngenta macht nur einen Teilrückzieher: Die Firma hofft nun auf die EU-Zulassung ihrer Maissorte zum Anbau als Futtergetreide. Foto: Genveränderter Mais: Werden Nutztiere mit GMO-Futter gemästet, besteht keine Kennzeichnungspflicht