Nach Angaben des EU-Wirtschafts- und Finanzkommis-sars Pedro Solbes plant die EU-Kommission eine Klage vor dem EU-Gerichtshof gegen die von den EU-Finanzministern beschlossene Aussetzung der von der EU eingeleiteten Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich. Begründung der Klage: Damit wäre gegen „Buchstaben und Geist verbriefter Regeln verstoßen“ worden. Die von den EU-Finanzministern beschlossene „Einfrierung“ der Defizitverfahren habe keine Rechtsgrundlage. Stimmt nicht, hat sie doch! Das Recht des Stärkeren. Die Argumentation des ehrenwerten spanischen Kommissars mag stimmig und überzeugend sein. Was Recht und Unrecht in Europa ist, bestimmt jedoch noch nicht einmal der Europäische Gerichtshof. Letzte und oberste Instanz ist der Ministerrat – und der wird von den großen Staaten dominiert. Sie bestimmen das faktische Recht, dem das juristische kurzerhand unterworfen wird. Etwas einzuwenden hat in dieser Frage noch nicht einmal das EU-Parlament. Das zu vermuten hieße, naiv die Einhaltung von demokratischen Grundsätzen in der EU zu vermuten. Die faktische Rechtsdominanz des Ministerrats beruht nicht zuletzt auf seiner Macht, die personelle Besetzung der EU-Kommission zu bestimmen. Solbes‘ tapfere Aktion wird mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Karriere in Brüssel besiegeln. Eine Überlebenschance hätten er und das verbriefte EU-Recht, wenn die Stimmenverteilung im Ministerrat künftig zugunsten der kleineren – der Macht der großen ausgelieferten – Länder geändert würde. Die neue EU-Verfassung will gerade dies verhüten. Verständlich, daß die Kleinen auf dem geplatzten Gipfel die Beschlußfassung – zumindest vorläufig – verhindert haben.
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