Mit Recht haben letzten Freitag die unionsgeführten Länder im Bundesrat das Gesetzespaket der rot-grünen Koalition abgelehnt und den Vermittlungsausschuß angerufen. Die jetzt vorgesehenen – ebenso wie die bereits beschlossenen – Reformen sind nicht Teil eines erkennbaren Gesamtkonzepts, sondern zusammenhangloses Flickwerk. Sie verringern nur kurzfristig die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Probleme, gehen aber an den Ursachen der Misere vorbei und lassen die schweren Strukturmängel bestehen. Die gemeinsame Ursache für das hohe Defizit im Bundeshaushalt sowie in der Gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ist die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, zu deren Abbau diese rot-grünen Reformen kaum etwas leisten. Im Oktober waren über 4,15 Millionen Erwerbslose gemeldet – 222.000 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Umgestaltung der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in eine „Bundesagentur für Arbeit“ wird zwar mittelfristig dazu führen, daß sie ihre Aufgabe der Vermittlung von Arbeitslosen besser und schneller erfüllen kann, aber das nützt nichts, wenn es nicht genug zu vermittelnde Arbeitsplätze gibt. Mit der Verlagerung der Zuständigkeit für die schätzungsweise eine Million arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger wird die Bundesanstalt für Arbeit überfordert, sie wird zu einem „Mammut-Sozialamt“. Die Bestimmung, daß Langzeitarbeitslosen nur eine Arbeit zum ortsüblichen Lohn zumutbar ist, macht diesen Lohn – oft den jeweiligen Tariflohn – zum verbindlichen Mindestlohn. Dadurch wird der Zugang der Langzeitarbeitslosen zum ersten Arbeitsmarkt blockiert, das Entstehen von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor verhindert und die weitere Verlagerung solcher Arbeitsplätze ins Ausland fördert. Geboten ist statt dessen, soweit erforderlich, die Zahlung von Lohnzuschüssen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit. Statt Ersatz der Gewerbesteuer durch einen von der jeweiligen Gemeinde festzusetzenden Zuschlag zur Einkommensteuer wird die Gewerbesteuerpflicht systemwidrig auf Selbständige ausgeweitet und der Mittelstand zusätzlich belastet. Die Eigenheimzulage führte zu weit höheren Investitionen privater Bauherren zugunsten der notleidenden Bauwirtschaft mit hohem Multiplikatoreffekt und in der Folge zu entsprechenden Steuereinnahmen. Der Nutzen ihrer Einschränkung ist daher zweifelhaft. Ein Abbau der zahlreichen anderen Subventionen ist nicht vorgesehen. Die einheitlich starke Verringerung der Pendler-Pauschale widerspricht der mit Recht geforderten Mobilität der Arbeitnehmer, für Bezieher kleiner Einkommen übersteigt die Belastung den Vorteil aus der vorgesehenen Steuersenkung und verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerrecht, falls eine entsprechende Anpassung der abzugsfähigen Betriebsausgaben der Unternehmen und Selbständigen unterbleibt. Eine Steueramnestie bei Rückführung unversteuerten Auslandsvermögens wird so lange wirkungslos bleiben, wie es keine Abgeltungssteuer von höchsten 25 Prozent auf Kapitalerträge gibt und mit einer erhöhten Erbschaftsteuer für große Vermögen zu rechnen ist. Eine überwiegend durch zusätzliche Schulden finanzierte Steuersenkung ist nur als erster Schritt zu einer verbindlich zugesagten großen Steuerreform in naher Zukunft hinzunehmen. Eine Steuersenkung wird wirkungslos verpuffen, wenn nicht zugleich für Unternehmen und Bürger klar erkennbar Reformen zur Beseitigung der schweren Strukturmängel und der dadurch verursachten Arbeitslosigkeit beschlossen werden oder in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten sind. Wenn die Menschen kein Vertrauen in die Politik mehr haben und in Sorge um ihren Arbeitsplatz sind, werden die Verbraucher das Geld aus der Steuersenkung sparen, soweit es ihnen nicht bereits durch andere Reformen wieder genommen worden ist, die Unternehmen werden nicht investieren und Leute einstellen. Um die Bereitschaft der Wähler zu den notwendigen grundsätzlichen Reformen und zu den damit verbundenen Opfern zu erreichen und das Vertrauen von Unternehmen und Bürgern in Politik und Zukunft wiederherzustellen, ist als erstes notwendig, den Menschen die Wahrheit zu sagen und ihnen ein schlüssiges Gesamtkonzept zu bieten. Deutschland lebt seit Jahren weit über seine Verhältnisse. Eine Umkehr ist zwingend geboten, insbesondere eine längere Wochenarbeitszeit und Lebensarbeitszeit, größere Flexibilität im verkrusteten Arbeitsmarkt, ein Niedriglohnsektor soweit erforderlich ergänzt durch staatliche Hilfen, wirkliche Strukturreformen in der bislang umlagefinanzierten Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, Abbau der Überregulierung durch Rechtsvorschriften und der übergroßen öffentlichen Verwaltung, alles unterstützt durch eine große Steuerreform. Es besteht gute Aussicht, daß die Mehrheit der Wähler der Politik auf diesem Wege folgen wird, wenn er ihnen verständlich vermittelt wird und sie den Eindruck gewinnen, daß die Politik ihn wirklich gehen will. Prof. Dr. Folkmar Koenigs lehrt Handels- und Wirtschaftsrecht an der TU Berlin.