Der unbedarfte Beobachter dürfte sich gewundert haben, wie unbekümmert, ja eigenmächtig, die polnische Regierung sich im Irak-Krieg positionierte. Während andere mitteleuropäische Staaten – wie etwa das sozialistisch-linksliberal regierte Ungarn – ziemlich unterwürfig nach Washingtons Pfeife tanzten, solidarisierte sich das ebenfalls linksregierte Warschau mit den USA auf gleicher Augenhöhe. Natürlich kann von einem Gleichgewicht der Kräfte keine Rede sein, aber die polnische Diplomatie verstand es meisterhaft, den Anschein einer gleichrangigen Bruderschaft zwischen den Präsidenten George W. Bush und Alexander Kwasniewski zu inszenieren. Washington spielte wohlwollend mit, denn so konnte es sein bisheriges Baby zwischen Rhein und Oder nicht nur demütigen, sondern den Deutschen – und damit auch dem „alten Europa“ – zeigen, daß es auf ihre Gunst nicht angewiesen ist. Polnischer Chemiekonzern mit großer Zukunft Zum Status eines Vasallen gehört, daß er von Zeit zu Zeit eine ordentliche Entlohnung für seine Treue bekommt. Und so war es nicht überraschend, als Anfang Juni in Warschau bekannt wurde, daß die polnische Ölgesellschaft PKN Orlen beim Wiederaufbau des Irak eine wichtige Rolle spielen könnte. Angeblich wird PKN den Kern eines polnischen Konsortiums bilden, mit dem Warschau im Irak möglichst große Aufträge ergattern will. Dazu gehört auch, daß PKN selbst direkten Zugang zu fossilen Rohstoffen erhält, was für die Firma von großer Bedeutung ist. Denn bisher war ihre Schwäche der Mangel an eigenen Förderstätten, so daß sie trotz ihrer beachtlichen Verarbeitungskapazität von zwölf Millionen Tonnen pro Jahr – die größte in Mittelosteuropa – stark von den Zuliefereren abhängig war. Mit den eigenen Förderlizenzen in der Tasche dürfte sich der Expansionskurs des polnischen Ölriesen auch in Richtung Westen fortsetzen. Die Gesellschaft entstand 1999, als sich die größte Ölraffinerie, die Petrochemia Plock, mit der größten polnischen Tankstellenkette CPN zusammenschloß. Der polnische Staat ist mit 28 Prozent an der Firma beteiligt. Als neues Logo wählte die so entstandene PKN Orlen das Profil eines Adlers – und verfolgte von Anfang an eine aggressive Geschäftspolitik. Infolge dieser Anstrengungen kontrolliert PKN inzwischen zwei Drittel des polnischen Treibstoffhandels mit fast 2.000 Tankstellen und 70 Prozent der Raffinerien. Einzig die Rafineria Gdanska (RG) mit Firmensitz in Danzig verfügt noch über einen größeren Marktanteil in Höhe von 20 Prozent, und auch deshalb will PKN diese lästige Konkurrenz ebenfalls schlucken. Ihr einziges Problem ist der mächtige Appetit der russischen Luk-oil, die auch gerne die RG übernehmen würde. Bisher konnte dieser Alleingang von PKN verhindert werden. Aber noch sind die Polen zu schwach, um gegen die richtig Großen wie Lukoil antreten zu können. Deswegen einigte man sich letztlich darauf, mit der in Großbritannien registrierten Rotch Energy Ltd. – eine „Russenfirma“ – gemeinsam das Schicksal der RG zu besiegeln. Allerdings bräuchte PKN eigentlich die RG nicht. Daher vermuten ausländische Analysten, daß mit der Übernahme von RG der Einmarsch ausländischen Kapitals verhindert werden soll. In diesem Zusammenhang ist die Kooperation mit Rotch auch nur ein notwendiges Übel, dem man sich so schnell wie möglich entledigen möchte. Zudem vereinigte sich RG erst kürzlich mit einer kleineren Raffinerie und nahm den Namen Lotos an. Warschau möchte damit sicherstellen, daß Polen nicht nur mit der PKN im Irak Geschäfte machen kann. Nicht auszuschließen, daß PKN später Lotos übernimmt und damit auch Rotch beziehungsweise das russische Kapital in die Defensive drängt. Schon 495 Tankstellen in Norddeutschland Daß man bei PKN etwas von Taktik versteht, bewies man im vergangenen Februar. Damals kauften die Polen von British Petroleum (BP) für 140 Millionen Euro 495 Tankstellen in Norddeutschland. Letzten Monat wurde die erste Orlen-Station in Berlin eröffnet. Man wolle der führende Energieversorger in Mitteleuropa werden, verkündete PKN-Chef Zbigniew Wróbel in der Warschauer Wirtschaftszeitung Puls Biznesu die polnischen Ambitionen. Daher wolle man auch die 23,64 Prozent an der ungarischen Öl- und Gasfirma MOL kaufen, die noch vom ungarischen Staat gehalten werden. Um dieses Paket rangelt nicht nur PKN, sondern auch Lukoil und die österreichische OMV. Just am 19. Juni verkündete der ungarische Finanzminister Csaba László, man wolle sich noch in diesem Jahr von den MOL-Anteilen trennen. Aber nicht auf einen Schlag, sondern in Form von einem 10- und einem 13-Prozent-Paket. Für wen diese Aufteilung maßgeschneidert ist, wird man wohl erst erfahren können, wenn die Kaufverträge unterschrieben sind. Gerade der OMV dürfte die Expansion von PKN mehr als nur ein Dorn im Auge sein, denn die Österreicher haben ihren Zielkorridor selbst als „vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer“ definiert und dafür in jüngster Zeit mächtige Investitionen getätigt (siehe JF 16/03). Klar ist aber allen Beteiligten, daß es in Mitteleuropa nur einen Platzhirsch geben kann – nur wer wen „einbindet“, steht noch nicht fest. Wróbel selbst geht davon aus, daß seine 2,5 Milliarden US-Dollar schwere Firma PKN das Rennen machen wird. In der Tat könnte dieser Optimismus gerechtfertigt sein, denn die Polen werden von den Amerikanern alle Hilfe erhalten, um sich gegen die größte Konkurrenz, die „deutsche“ OMV, durchzusetzen. Daher ist es wohl auch kein Zufall, daß der Vorsitzende des Internationalen Koordinationausschusses für den Wiederaufbau im Irak Marek Belka heißt und in früheren Zeiten polnischer Finanzminister war.