Eine Verhandlung vor der 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Dresden: ein Vermögensfall aus dem staatlichen Wiedervereinigungsunrecht steht an. Die Vorsitzende Richterin Andrea Franke führt allein das Wort, ihre vier Beisitzer (zwei männliche, zwei weibliche) schweigen. Sie ist auch die Vizepräsidentin des Gerichts. Sie spricht mit bemühter Sachlichkeit und ruhigem wie geschäftsmäßig-nüchternem Tonfall, braust im Verlauf aber zweimal unvermittelt und unnötig auf, für die wenigen Zuhörer unverständlich und befremdlich. Da fühlen sie sich plötzlich an DDR-Atmosphäre erinnert. Aber sonst vermittelt Franke den Eindruck, das Gericht wolle den beiden Rechtsvertretern des Klägers, dem Anwalt Stefan von Raumer und der Anwältin Barbara Wilke, genug Zeit lassen, den Kern ihrer schriftlichen Klagebegründung noch einmal mündlich zu erläutern und zu bekräftigen. Es geht um einen Rückgabeanspruch aus der Zeit 1945 bis 1949, ähnlich vielen anderen, und um ein Beispiel für bis heute anhaltende staatliche Rechtsverstöße: Die aus Sachsen stammende Familie Madaus, zusammen neun Kläger, verlangt Grundstücke in Sachsen zurück. Es sind die Betriebsgrundstücke des einstigen pharmazeutischen Unternehmens Dr. Madaus & Co mit der Produktionsstätte in Radebeul. Nach dem Krieg hatte die sowjetische Besatzungsmacht das Unternehmen für Reparationszwecke wie auch andere Unternehmen zunächst demontiert. Aber nur bis September 1945. Dann wurde ihr klar, daß sie den Pharmabetrieb dringend brauchte, um die Versorgung ihrer Truppe mit Penicillin sicherzustellen. Daher durfte an den Eigentumsverhältnissen nicht gerührt werden. Ohnehin hatte sie dem Inhaber die Geschäftsführung schon während der Demontage weiter belassen. Unter den „Volksentscheid“ vom 30. Juni 1946 zur allgemeinen Enteignung von „Kriegsverbrechern und Nazi-Aktivisten“ war das Madaus-Unternehmen nicht gefallen. Doch wurden nach dem Entscheid Behauptungen erhoben, es seien hierzu falsche Angaben gemacht worden und die Inhaber seien Nazis und Kriegsverbrecher gewesen, was aber – wie heute nachgewiesen – nicht stimmte. Wie damals üblich machten die neuen Herrscher nicht viel Federlesens. Mitte Mai 1947 beschloß die sächsische Landesregierung, besetzt mit kommunistischen Deutschen, auch den Madaus-Betrieb für enteignet zu erklären. Anfang Juli 1948 teilte sie den Inhabern mit, die Sowjetische Militär-Administration in Deutschland (SMAD) habe die Enteignung des Betriebsvermögens bestätigt und diese sei damit rechtskräftig geworden. Sie berief sich dabei, allerdings nachweislich fälschlich, auf die SMAD-Befehle Nr. 124 und 64. Mitte Juli wurde die Enteignung ins Handelsregister eingetragen. Als Begründung nannte sie den „Volksentscheid“ von 1946. Damit war das Unternehmen mit allen seinen Grundstücken „Volkseigener Betrieb“ (VEB) geworden, zuletzt als VEB Arzneimittelwerk Dresden. Mit Antrag vom 22. April 1949 wurde das Grundbuch im Mai 1949 entsprechend geändert. Nach der deutschen Vereinigung von 1990 fiel das Werk an die staatliche Treuhandanstalt und wurde nach mehreren Zwischenschritten Teil der Arzneimittelwerk Dresden GmbH. Die Treuhandanstalt verkaufte dieses Unternehmen an die ASTA Media AG. Die nicht verkauften, kleineren Madaus-Grundstücke stehen im Eigentum der staatlichen BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH in Berlin. Sie liegen in Radebeul, Kötzschenbroda, Nauendorf, Zitzschewig und Coswig. Die Klage der Familie Madaus richtet sich gegen den Freistaat Sachsen. Der verweigert die Herausgabe. Beantragt hatte die Familie die Rückgabe 1990. Neun Jahre später lehnte das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensamt) die Rückgabe ab. Kurz darauf klagte die Familie. Weitere acht Jahre dauerte es bis zur Verhandlung, über die hier berichtet wird. Im wesentlichen drei Argumente fahren die Anwälte auf. Erstens waren die Firmeninhaber Madaus nachweislich keine NS-Mitglieder und Rüstungsproduzenten, also nach dem kommunistischen Polit-Jargon weder „Nazi-Aktivisten“ noch „Kriegsverbrecher“, gewesen, womit ein rechtmäßiger Enteignungsgrund entfiel. Im Gegenteil, sie galten im Dritten Reich als politisch unzuverlässig. Zweitens hatte die Firma Madaus gar nicht auf der einschlägigen Enteignungsliste gestanden. Das war die gesiegelte Liste vom „Volksentscheid“ von 1946. Eine solche Liste, die auch die Firma Madaus aufführt, kann der beklagte Freistaat Sachsen nicht vorlegen. Drittens belegen die Anwälte anhand schriftlicher Auskunft des russischen Staatsarchivs und eines Schreibens der russischen Generalstaatsanwaltschaft in Moskau aus dem Jahr 2001, daß die Firma Madaus sogar auf der Freigabeliste („Liste B“) gestanden hat. Auf dieser B-Liste wurden damals jene Unternehmen aufgeführt, die nach ihrer Überprüfung wieder freigegeben werden sollten. Eine solche sowjetisch bestätigte Liste bedeutete regelmäßig ein konkretes sowjetisches Enteignungsverbot. So hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Doch Richterin Franke mit den Kollegen ihrer Kammer will diese und weitere Belege als Beweise dafür nicht gelten lassen. 2007 ließ sie über die deutsche Botschaft in Moskau noch einmal nachfragen. Die Antworten von dort stellen die von den Anwälten im Klageverfahren vorgelegten Nachweise nun plötzlich in Frage: Es gebe im Archiv keine Rückgabelisten. Schon 2002 hatte auch die anfänglich beigeladene Arzneimittelwerk Dresden GmbH eine Auskunft aus dem Moskauer Staatsarchiv vorgelegt. Darin heißt es, eine Liste B werde bei ihm nicht aufbewahrt. Zwar legen die Anwälte nachvollziehbar dar, warum beide Auskünfte nicht stimmen können. Doch folgen mag ihnen das Gericht nicht. Im späteren Urteil schreibt es, die Kammer sei nicht zu der Überzeugung gelangt, daß die Firma auf einer solchen Liste gestanden habe. Zehn ergänzende Beweiserhebungsanträge lehnt das Gericht ab: Damit sei die Überzeugung des Gerichts ohnehin nicht zu erschüttern. Oder: Was immer dabei herauskomme, es sei irrelevant. Das Vermögensamt hatte seine Nichtrückgabe-Entscheidung damit begründet, die Firma Madaus habe auf der sowjetisch bestätigten A-Liste vom 30. März 1948 gestanden und eine Enteignungsurkunde liege vor. Das Gericht kann jedoch nicht beweisen, daß die Firma auf dieser bestätigten A-Liste stand und förmlich enteignet worden ist, sondern vermutet das bloß. Anhand zweier Schreiben von 1947 leitet es nur ab, sie habe seit 15. Januar 1947 unter Sequester gestanden, sei also schon vor dem 18. April 1948 beschlagnahmt worden. Dieser 18. April ist insofern von Bedeutung, weil von diesem Tag an die SMAD mit ihrem Befehl 64 weitere Beschlagnahmungen und Enteignungen noch nicht beschlagnahmter Vermögen untersagt hatte. Doch ist es vorgekommen, daß sich die deutsch besetzte Landesregierung Sachsen über den sowjetischen Befehl einfach hinweggesetzt hat. Wohl räumt das Gericht ein, die Firma sei am 25. November 1947 in der C-Liste registriert gewesen, habe folglich nicht oder nicht mehr auf der A-Liste gestanden. Aber ob sie auf dieser Liste stand oder nicht, nennt es merkwürdigerweise „rechtlich irrerelevant“. Auf die C-Liste gesetzt wurden Betriebe, über die sich die SMAD die Entscheidung noch vorbehielt. Das müßte das Gericht zugunsten der klagenden Familie werten, tut es aber nicht. Später in der Urteilsbegründung meint das Gericht: Selbst dann, wenn die SMAD die Enteignung niemals bestätigt habe, lasse das nicht den Schluß zu, die Firma sei gegen den ausdrücklichen SMAD-Willen enteignet worden. Den ebenso möglichen gegenteiligen Schluß zu ziehen (wenn niemals bestätigt, dann auch nicht enteignet), ist das Gericht dagegen nicht bereit. Daß eine förmliche Enteignung stattgefunden habe, stützt es also nur auf seine Vermutung. Damit mißt es zu Lasten der Familie Madaus mit zweierlei Maß. Von den Anwälten verlangt es handfeste Beweise, aber wenn ihm der eigene Beweis fehlt, begnügt es sich mit Vermutungen. Daher halten ihm die Anwälte vor, es dürfe seine Beweisanforderungen ihnen gegenüber nicht überspitzen. Wenn sie als schlüssig darlegen, die Firma habe auf der B-Liste gestanden, läßt das Gericht diese Schlüssigkeiten, weil nur vermutet, nicht gelten und verwirft die beiden 2001 in Moskau eingeholten Auskünfte als „unecht und unwahr“. Nur die selbst eingeholten Auskünfte von 2007 erklärt es für (gegen)beweiskräftig. An ihrer Echtheit und Wahrheit zu zweifeln, sieht das Gericht „keinen Anlaß“, obwohl ihnen die Anwälte begründete Zweifel vorhalten. Aus ihrer um ruhige Sachlichkeit bemühten Rolle fällt die Vorsitzende Franke, als der Vertreter der Familie, der 82jährige Udo Madaus, sie fragt, ob das Gericht denn nun eine neue und bestätigte A-Liste habe. Sie antwortet unwirsch, pampig und bürstet ihn gleichsam ab. Als er das Gericht auffordert, die vollständige und von der Bundesregierung nicht gekürzte TASS-Erklärung vom 27. März 1990 zu lesen, denn da stehe drin, was die Sowjetunion 1990 wirklich gewollt habe, und das Gericht sei doch verpflichtet, die Wahrheit zu ergründen, erhält er keine Antwort. Als er später gegen Ende der Verhandlung noch einmal das Wort bekommt und gerade spricht, herrscht Franke den alten Herrn barsch und geradezu ausfallend an: „Moment mal, jetzt rede ich.“ Und reißt ungehörig das Wort an sich. Dabei hat nicht er sie, sondern sie ihn unterbrochen. Ein Zuhörer murmelt vor sich hin: „Fast wie einst bei Hilde Benjamin.“ Der promovierte Jurist Udo Madaus, distinguiert, weißhaarig, ein wirklicher Herr, einst auch ehrenamtlicher Handelsrichter, ist in Deutschland derjenige bei Politikern, Parteien, Rechtswissenschaftlern und Medien wohl bekannteste Bürger, der seit 1990 für das Eigentumsrecht kämpft – nicht nur für sein eigenes. Keiner hat wie er dermaßen unermüdlich und öffentlich die Hand gegen das staatliche Unrecht gerührt. Er ist in seinem Rechtsgefühl tief verletzt und darüber verstört, wie es in einem Staat zugeht, der sich brüstet, ein Rechtsstaat zu sein. Ein anderes Madaus-Verfahren liegt dem Landgericht Dresden vor. In ihm will er die Rehabilitierung seiner Vorfahren erreichen. Die Vorsitzende Franke ist in dem modern-nüchtern Verhandlungsraum eingerahmt von den Berufsrichtern May und John sowie den zwei ehrenamtlichen Richterinnen Lein und Meister, zwei älteren Frauen. Die Körpersprache dieser vier spricht Bände. Die Ehrenamtlichen schauen unbewegten Gesichts wie unbeteiligt drein und gucken Löcher in die Luft. May und der promovierte John folgen der Verhandlung mit gleichgültigem Blick, wirken desinteressiert und abweisend. Nur einmal sieht sich May zu einer erregten Äußerung gegen die Klagevertreter veranlaßt. Diese Kammer des Gerichts wirkt alles andere als wohlwollend, strahlt im Gegenteil Kälte und Abneigung aus. Wohl müssen Richter nicht gerade geliebt werden, aber diese Besetzung zu mögen und ihr die gebührende Achtung entgegenzubringen, fällt schwer. So verbreiten die vier eine unfreundliche, nahezu feindselige Atmosphäre und vermitteln den Eindruck, als müßten sie den Darlegungen der Anwälte gedanklich gar nicht mehr folgen, weil ihr Urteil längst fertig, nur noch nicht verkündet sei. So stellt es sich später als zutreffend auch heraus (Aktenzeichen 12 K 1329/99). Die mündliche Verhandlung war eine reine Formsache, um die gesetzlichen Vorgaben nicht zu verletzen. Die beiden Anwälte haben von vornherein gegen Wände gesprochen und sich vergeblich abgemüht. Eine Revision hat das Gericht nicht zugelassen. Dagegen hat der Madaus-Anwalt Stefan von Raumer Beschwerde eingelegt. Über die ist noch immer nicht entschieden. Stichwort: Vermögensraub Viele deutsche Bürger ringen noch immer um die Rückgabe familiärer Immobilien, die in den heutigen fünf östlichen Bundesländern liegen. Als diese Länder von 1945 bis 1949 Sowjetische Besatzungszone (SBZ) waren, sind ihre Familien von den damals herrschenden Kommunisten politisch verfolgt und enteignet worden. Offiziell waren diese Maßnahmen nur auf erwiesene „Kriegsverbrecher und Nazi-Aktivisten“ beschränkt. Tatsächlich jedoch trafen sie mittels Pauschalvorwurf, also ohne Einzelnachweis einer Schuld, das ganze Besitzbürgertum, weil es als „Klassenfeind“ vernichtet werden sollte. Mit der deutschen Einheit von 1990 eignete sich der nunmehr gesamtdeutsche Staat diese Vermögenswerte an und verweigerte die rechtlich gebotene Rückgabe. Die Klagen der Familien gegen diesen zweiten rechtsstaatswidrigen Vermögensraub beschäftigen die Gerichte noch immer. Foto: Kläger Udo Madaus vor der ehemaligen Produktionsstätte in Radebeul: Im Rechtsgefühl tief verletzt Dr. Klaus Peter Krause war langjähriger leitender Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.