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Helfen, wo staatliche Strukturen versagen

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Helfen, wo staatliche Strukturen versagen

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Kurz vor Pfingsten erhielt die Berliner Charité einen Scheck über eine Million Euro. Aussteller war die Karl-und-Veronica-Carstens-Stiftung. Das Geld ist für den Aufbau einer Abteilung für Naturheilverfahren. Mit der Summe sollen eine Professur sowie eine Ambulanz für Homöopathie und Akupunktur finanziert werden. Die Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung spendierte gar stolze 55 Millionen Euro für den Neubau des Museums Folkwang, damit Essen bei der Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 darin die hohen Gäste empfangen kann. Die Deutschen sind in Spendierlaune: Rund 18.000 Stiftungen bürgerlichen Rechts verwalten Milliarden Kapital. Fast die Hälfte dieser Stiftungen entstand erst in den letzten zehn Jahren. Höchste Zeit also, sich einmal genauer mit dem Stiftungsboom zu befassen. Dazu legte der Bundesverband deutscher Stiftungen aktuell in Berlin den ersten deutschen Stiftungsreport vor. Das Zahlenwerk enthält neben Überraschendem auch die Anregung zum Selberstiften. Hochkonjunktur in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche Der Stiftungsgedanke stammt aus dem Mittelalter. Etliche deutsche Stiftungen bestehen schon seit über 500 Jahren! Zum Beispiel das Würzburger Bürgerspital, gegründet 1316. Die Stifte hatten meist karitative Zwecke oder fungierten als rechtliche Eigentümerin von Kirchengebäuden. Über die Finanzierung von Grunderwerb und Kirchenbau hinaus schützte die Stiftung das Objekt vor Verkauf oder Zweckentfremdung. Hochkonjunktur hatten Stiftungen stets in Phasen gesellschaftlicher Umbrüche, so nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach dem Zerfall des Alten Reiches zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder nach Einsetzen der Industrialisierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Stiftungen in Westdeutschland erst langsam wieder in Fahrt – in der DDR wurden sie staatlich unterdrückt. Seit 1990 erlebt die Neugründung von Stiftungen einen steilen Höhenflug. Das hat drei Gründe: Erstens hat die Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts und des Stiftungszivilrechts die Formalitäten erleichtert. Zweitens haben sich die privaten Vermögenswerte stark konzentriert. Drittens verabschiedet sich der Staat aus immer mehr sozialen Bereichen und läßt die Bürger selbst fürs Gemeinwohl sorgen. Daher sind soziale Projekte mit Abstand der häufigste Stiftungszweck. Erst dann folgen kulturelle und wissenschaftliche Belange. Eine dritte große Gruppe bilden Stiftungen für Umwelt- und Naturschutz. Gemeinsam haben alle, daß sie durch eine ideelle Absicht motiviert sind. In der Form unterscheidet man vier Stiftungstypen: die Eigentumsträger, die operativen Stiftungen (die meist soziale Anstalten unterhalten), die Förderstiftungen (die Organisationen und Projekte unterstützen) und die mildtätigen Stiftungen. Hinzu kommen öffentlich-rechtliche Stiftungen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Stiften kann im Grunde jeder: „Stiftungen können zu jedem legalen Zweck errichtet werden, der das Gemeinwohl nicht gefährdet“, sagt das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Satzung ist frei wählbar; es gibt keine verbindlichen Muster-Satzungen. Es gibt auch kein festgelegtes Mindestvermögen. Wichtig ist, daß das Vermögen Erträge in Form von Zinsen oder Mieten abwirft, denn die Erträge müssen laut Gesetz eine „dauerhafte und nachhaltige Zweckverwirklichung“ gewährleisten. Attestiert das Finanzamt auch noch die Gemeinnützigkeit, ist die Stiftung von Steuern befreit und Spender können Zuwendungen absetzen. Aus diesem Grunde ist die Rechtsform der Stiftung auch zunehmend für Unternehmen attraktiv. Damit kommt noch ein relativ neuer Stiftungstyp ins Spiel. Bisher war die Stiftung als Rendite erwirtschaftender Kapitalfonds eine rein amerikanische Praxis. Doch auch immer mehr deutsche Unternehmensstiftungen verfolgen wirtschaftliche Zwecke – die Vermehrung des Stiftungsvermögens, um Ausschüttungen zu ermöglichen. Das geschieht in unterschiedlicher Form: als Unternehmensträgerstiftung (die Stiftung ist selbst als Unternehmen am Markt aktiv; Beispiel Lidl), als Unternehmensbeteiligungs-Stiftung (Stiftung und Unternehmen sind getrennte juristische Personen; Beispiel Bertelsmann Stiftung GmbH) oder als Unternehmensstiftung (Unternehmen stellt das Stiftungsvermögen; Beispiel Allianz Umweltstiftung). Bei diesem Typ ist die Stiftung in die Unternehmens-PR eingebunden. Man tut Gutes und redet darüber: Im Marketingjargon heißt das „Corporate Social Responsibility“ oder „Corporate Giving“. Das klingt dann so: „Investitionen in das Sozialkapital der Gesellschaft sind im Interesse aller Marktakteure.“ Ziel der Mildtätigkeit ist der Imagegewinn und letztlich der Profit. Für die stiftenden Unternehmen ist das eine böswillige Unterstellung. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen bedauert: „Unternehmensnahe Stiftungen sehen sich immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, sie seien ausschließlich eigennützig motiviert, das Interesse am Gemeinwohl sei nur vordergründig.“ Vielleicht liegt der Grund für den Verdacht in der Intransparenz der Unternehmensstiftungen: Obwohl die unternehmensnahen Stiftungen viele der größten deutschen Stiftungen stellen und eine enorme Finanzkraft aufbringen – und somit für das allgemeine deutsche Stiftungswesen eine bedeutende Rolle spielen -, sind sie in ihrer Gesamtheit „erstaunlich unerforscht“, wie der Bundesverband Deutscher Stiftungen in seinem aktuellen Report fast pikiert feststellt. Förderung von Studenten mit Migrationshintergrund Selbst die genaue Zahl der unternehmensnahen Stiftungen ist „angesichts des grundsätzlichen Problems der in Teilen fehlenden Mitteilungsbereitschaft einzelner Stiftungen“ (Zitat aus der Studie) nicht bekannt. Vermutlich sind es um die 1.500. Überwiegend haben sie ihren Sitz an den Schwerpunktstandorten Nord­rhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern. Um mehr Licht in die Unternehmensstiftungen zu bringen (und damit deren Image zu polieren), hat der Bundesverband in Zusammenarbeit mit der Vodafone-Stiftung das Forum Unternehmensverbundene Stiftungen gegründet. So finanzierte der Mobilfunkanbieter Vodafone eine Studie, die „einen Beitrag zur Einschätzung der Bedeutung dieses wichtigen Teils des Stiftungssektors leisten“ soll. Welchen Beitrag der Konzern Vodafone selbst zum Gemeinwohl leistet, erklärt die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit in Düsseldorf: „Im vergangenen Jahr stellte die Vodafone-Stiftung fünf Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung, den Großteil für Bildungsprojekte. Mit dem neuen Stipendienprogramm ‚Vodafone Chancen‘ fördern wir als erstes Begabtenförderwerk in Deutschland ausschließlich Studierende mit Migrationshintergrund. Ziel ist die Bildung einer neuen multikulturellen Verantwortungselite in Deutschland.“ Das dürfte besonders Beiratsmitglied Cem Özdemir, türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter der Grünen, gefreut haben. Warum man am Standort Deutschland vor allem Einwanderer fördern möchte, erklärt der Konzern so: „Vor dem Hintergrund, daß der Fortbestand des Wohlstands in den Industrienationen von internationaler Migration abhängig ist, stellen die Auswirkungen der Globalisierung wie der Umbau des Sozialstaates immense Herausforderungen dar. Um diesen gesellschaftlichen Wandel zu meistern, ist ein zeitgemäßes Elitekonzept notwendig. Eliten sind nicht mehr nur Inhaber von gesellschaftlichen und politisch relevanten Entscheidungspositionen – vielmehr umfaßt der Begriff der Elite zunehmend eine Bewertung von Personen und ihren Wertvorstellungen und ihrer sozialen Orientierung.“ Wer mildtätige Konzerne ohnehin schon ständig verdächtigt, „sie seien ausschließlich eigennützig motiviert“, wird sich darob sicher auch einbilden, dies bedeute in Wirklichkeit, daß eine „Elite“ mobilen Mitarbeitermaterials ohne traditionelle Wertvorstellungen zum Abbau des Sozialstaates notwendig ist, weil vor allem der Wohlstand der globalen Konzerne von internationaler Migration abhängt. Wer statt multinationaler Interessen regionales Gemeinwohl im Blick hat, für den hat das Stiftungsrecht eine neue Alternative: die Bürgerstiftung. Die Bürgerstiftung ist eine lokale Gemeinschaftsstiftung mit demokratischer Organisation und transparenten Finanzen. Das Startkapital wächst durch weitere Zustiftungen. Nach dem Vorbild der Community Foundations in den USA entstand 1996 die erste deutsche Bürgerstiftung in Gütersloh. Seitdem wird das Modell immer populärer: Im letzten Jahr erreichte die Zahl der Neugründungen mit 44 Rekordniveau. Das Gesamtkapital wuchs um mehr als 40 Prozent. Damit lösen die Bürgerstiftungen zunehmend Organisationsformen wie Vereine und Verbände ab. Dabei spielt eine Rolle, daß in Bürgerstiftungen auch Normalverdiener soziale Projekte fördern können. Stifter sind eben nette Menschen: Drei Viertel haben Kinder und sind überdurchschnittlich gebildet. Über die Hälfte der Neustiftungen wird von Frauen oder Paaren ins Leben gerufen – Trend steigend. Vertreter der Bürgerstiftungs-Pioniere entwickelten im Jahr 2000 die „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“ (u.a. Unabhängigkeit, Mitbestimmung, Transparenz). Mit der Meßlatte dieser Definition vergibt die Initiative der Bürgerstiftungen im Bundesverband Deutscher Stiftungen jährlich das „Gütesiegel für Bürgerstiftungen“. Die Träger dieses Gütesiegels haben alle wesentlichen Tips beachtet: Trotz noch so idealistischer Stiftungszwecke sollten Vermögensbewirtschaftung, Personalplanung und Öffentlichkeitsarbeit möglichst strategisch und professionell sein. Wertvolle Tips erteilen der Bundesverband oder Banken mit langjähriger Stiftungserfahrung. Für das nächste Jahrzehnt rechnen die Experten vom Bundesverband mit einer Vervierfachung der Stiftungen in Deutschland! Wie war das nochmal: „Hochkonjunktur hatten Stiftungen stets in Phasen gesellschaftlicher Umbrüche“? Ist die Bürgerstiftung Vorbote einer Gesellschaft, in der wegen fehlender staatlicher Strukturen und Finanzierung die Bürger lokale Anliegen kurzerhand selbst in die Hand nehmen (müssen)? Foto: START – Schülerstipendien für begabte Zuwanderer: Das Projekt der Hertie-Stiftung soll Ansporn zur Integration sein und als „positives Signal in unsere Gesellschaft“ hineinwirken

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