Bildung ist ein teures Gut. 138 Milliarden Euro ist sie den deutschen Steuerzahlern jährlich wert. Das bedeutet für 2005 pro Schüler in der Grundschule 4.000 Euro, in der Hauptschule 5.500 Euro, im Gymnasium und der Gesamtschule 6.000 Euro und pro Studierenden an den Hochschulen über 8.000 Euro. Trotzdem fällt das deutsche Bildungssystem nach dem OECD-Bildungsbericht 2007 immer weiter in der Rangskala der beurteilten Länder zurück. Seit der Änderung des Hochschulrahmengesetzes von 1998 hätte eigentlich alles besser werden müssen. Ein neues Graduierungssystem wurde auf den Weg gebracht, das das traditionelle System bis zum Jahr 2010 im Rahmen des Bologna-Prozesses vollständig ersetzen soll. Die mit Druck eingeführten Bachelor- und Master-Studiengänge erreichten im Sommersemester 2005 einen Anteil von 26,3 Prozent aller Studienangebote an den deutschen Hochschulen. Während Studiengänge mit dem Abschluß Diplom auf ein Studienfach konzentriert sind, fördert die Modularisierung bei den Abschlüssen Bachelor und Master eine Kombination mehrerer Fächer. Konrad Adam hat deshalb bereits hämisch auf den „Siegeszug der Häppchenkultur“ hingewiesen. Studienfreiheit wird ersetzt durch Module und Credit Points, die endgültig Tür und Tor für die Verschulung des Studiums weit aufstoßen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan spricht in diesem Zusammenhang zwar gern von Fortschritten, die allerdings noch nicht ausreichten, die zahlenmäßigen Lücken zwischen pensionierten Akademikern und Nachwuchskräften zu schließen. Das gilt, so Schavan, insbesondere für die Ingenieure. 40 Prozent eines Jahrgangs müßten für ein Studium gewonnen werden. Daß es heute schon eine zu große Zahl studierunfähiger Studierender gibt, die zu lange Verweildauern an den Universitäten produzieren, interessiert dabei nicht: Wie 40 Prozent eines Jahrgangs Studierfähigkeit im sekundären Bildungsbereich erlangen sollen, steht in keinem der vielen Programme. Über die Finanzierung der politisch gewollten „Akademisierungswelle“ wird ebenfalls nicht gesprochen. Nur eines steht fest: Da Bildung ein teures Gut ist, soll sie unmittelbar erwerbsbezogen sein, um dem ökonomischen System zu dienen. Bildungsangebote orientieren sich zukünftig an der Nachfrage des Arbeitsmarktes. Dazu müssen Professoren zu Wissensmanagern mutieren und die Universitäten zu Erkenntniseinrichtungen reduziert werden, die unmittelbaren Nutzwert haben. Der Nutzen wird um so größer, je mehr Studenten produziert werden. Da die Haushalte aller entwickelten Länder defizitär sind, fordert die OECD die Senkung der Produktionskosten auch im Bildungsbereich. Gleichzeitig mahnt sie eine Verbesserung der Qualität der Leistungen an. Bereits 1996 hatte die OECD in ihrem Policy Brief einen Beitrag ihres Abteilungsleiters Christian Morrisson veröffentlicht, in dem dieser darlegt, wie die Quadratur des Kreises bewerkstelligt werden könnte. So will Morrisson die Haushaltsdefizite ohne großes Risiko reduzieren. Dazu schlägt er vor, die öffentlichen Investitionen substantiell zu kürzen. Das dürfe jedoch nicht über die Quantität der Leistungen geschehen, sondern über eine Verringerung der Qualität: „Beispielsweise könnten Haushaltsmittel für Schulen und Universitäten gekürzt werden. Es wäre jedoch gefährlich, die Zahl der Studierenden zu reduzieren. Familien würden gewaltsam reagieren, wenn ihren Kindern der Zugang verweigert wird, nicht jedoch, wenn die Qualität der angebotenen Bildung schrittweise reduziert wird. Die Schule kann dann fortschreitend für bestimmte Zwecke von den Familien Beiträge verlangen oder bisherige Aktivitäten einstellen.“ Die OECD steuert damit offenkundig auf eine Transformation des öffentlichen Bildungssektors in einen privatisierten Dienstleistungsbereich, der Bildung verkauft. Die Qualität des Bildungsangebots soll durch interne Rationalisierung in Schulen und Hochschulen bei gleichzeitiger Senkung der Produktionskosten verbessert werden. Die Abnehmer des „Bildungsangebots“, Schüler und Studierende, müssen dann über Gebühren die Produktionskosten abdecken. Auch das OECD-Projekt „Pisa“ erweist sich als eine ideologische Darstellung von Fehlentwicklungen in den Bildungssystemen der untersuchten Länder. Pisa ist das gemeinsame Produkt der OECD und privater transnationaler Bildungsdienstleister, profitorientierter sogenannter educational assessment-Firmen. Nicht ohne Grund hat der Generalsekretär der OECD, Angel Gurria, deshalb darauf hingewiesen, daß Deutschland weniger als die Hälfte des US-amerikanischen Betrags für Studierende aufwendet. Dieser Vergleich war wegen der völlig unterschiedlichen Finanzierungsquellen für den Bildungssektor in den USA und Deutschland entlarvend. Die „Bildung nach Bedarf“ zerstört die relative Autonomie der Institutionen des Bildungssystems, erstickt die Kreativität der Handelnden und macht mittelfristig den Krämer zum Leitbild. Die „Bildung nach Bedarf“ ist ein neues Phänomen. Alt ist jedoch der Wunsch jedes autoritären Regimes, Staat und Bildungssystem gleichzuschalten. Helmut Köhler hat zusammen mit Manfred Stock ein lesenswertes Buch zum Thema „Bildung nach Plan? Bildungs- und Beschäftigungssystem in der DDR 1949-1989“ herausgebracht. Die Verfasser stellen darin fest, daß der Westen eine Entkoppelung von Bildungs- und Beschäftigungssystem wählte, während die DDR von Anfang an auf eine „immer engere Koppelung von Bildungs- und Beschäftigungssystem“ setzte mit dem Ziel, dem einzelnen einen sicheren Weg in das Beschäftigungssystem zu garantieren. Diese Bildungsplanung scheiterte jedoch gerade an den planwirtschaftlichen Mechanismen. Lehren aus der jüngsten Vergangenheit haben die Bildungspolitiker also ganz offensichtlich nicht gezogen. Die Mitte der neunziger Jahre durch die Leitlinien der OECD vorbereitete und kurz darauf durch den europäischen Bologna-Prozeß und seine willfährigen deutschen Vollstrecker dekretierte Absenkung des akademischen Niveaus auf angelsächsische „Standards“ bei gleichzeitiger Öffnung der Universitätstore auch für Studierunfähige zeigt überdeutlich, daß Deutschland aufgehört hat, eine eigenständige, der Zukunft des Staates und seiner Bürger verpflichtete Bildungspolitik zu betreiben. Was sie offenbart, ist ein weltpolitisches Kuriosum: „DDR light“ im Zeitalter der Globalisierung. Damit aber ist kein Staat zu machen.
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