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Die DDR-Vergangenheit soll endlich ernsthaft angegangen werden. So will es eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission, die dazu einen Geschichtsverbund „Aufarbeitung DDR-Diktatur“ anregt, um die „geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Defizite“, die „geschichtsrevisionistische Negierung“ der DDR-Diktatur und ihre „Trivialisierung“ in den Medien zu bekämpfen. Auch den Westdeutschen soll die DDR-Historie stärker als bisher bewußt gemacht werden, als Teil der gesamtdeutschen Geschichte. Dazu wird die „Professionalisierung und Perspektivenerweiterung“ der Forschung empfohlen, um die DDR in den „europäischen und globalen Kontext“ zu stellen. Die Analyse ist richtig, wenn man die stiefmütterliche Behandlung von SED-Opfern betrachtet. Sie bringen weder Wählerstimmen noch Einschaltquoten, noch verbürgt die Thematisierung ihres Schicksals in der Öffentlichkeit einen moralischen Mehrwert. Der Grund dafür, der im Kommissionspapier unerwähnt bleibt: Ihre Opfergeschichten passen nicht in die amtliche „Große Erzählung“ von der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Als Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) jüngst auch der Tausenden Toten gedachte, die im KZ Sachsenhausen unter den Sowjets umgekommen waren, löste er fast eine Koalitionskrise und wütendes Mediengeheule aus. Zwanzig bis achtzig Prozent der Insassen seien doch Nazi-Täter gewesen! Als ob Stalins Bataillone dazu geeignet waren, über Schuld und Unschuld zu befinden und Gerechtigkeit zu üben. Bemerkenswert auch die Gelassenheit, mit der die sechzigprozentige Schwankungsbreite zitiert und akzeptiert wurde. In Deutschland, wo es offiziell um die Würde „jedes einzelnen“ geht, kommt es auf ein paar tausend tote Landsleute nicht an. Das Beispiel Sachsenhausen bestätigt die von der Kommission behaupteten europäischen und globalen Zusammenhänge. Nur ist zweifelhaft, ob der Geschichtsverbund tatsächlich über ausreichend Forschungsfreiheit verfügt, um sie unzensiert darzustellen. Warum das so ist? Die Antwort darauf führt über eine weitere Frage: Wieviel Respekt verdient die DDR eigentlich? – Jeden nur denkbaren, wenn man sie als Zwangs- und Teilpopulation betrachtet, deren Mehrheit versuchte, ihr Leben in Würde und Anstand zu leben, ohne je die Möglichkeit gehabt zu haben, Einfluß auf die politischen, wirtschaftlichen, ideologischen Umstände zu nehmen. Mit all den Kompromissen, auch den faulen, die Menschen in einer Diktatur nun mal eingehen müssen. Der Perspektivenwechsel auf die Alltagsgeschichte, weg von der Stasi-Fixierung, ist daher richtig. Wer die DDR-Bürger mehrheitlich Mitläufer nennt, soll wissen, daß alle Gesellschaften überwiegend aus Mitläufern bestehen, jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils im Ernstfall. Keinen Respekt verdient die DDR hingegen als staatliches Gebilde, denn sie existierte nie aus sich selbst heraus, sie war eine gewaltsame Kunstschöpfung, ein sowjetisches Protektorat. Und hier setzen die Geschichtsverdreher ein, die keineswegs auf PDS-Parteigänger beschränkt sind. Ihnen erscheint die DDR in ihren Urgründen als potentielle, später leider verfehlte Möglichkeit eines besseren Deutschland, wo eine antifaschistische Avantgarde mit, zugegeben, ruppigen Methoden daranging, unheilvollen Traditionen und dem „Hitler in uns“ den Garaus zu machen, und zwar gründlich. Das ist die antifaschistische Version von der DDR. Zwar wird sie in Reinform kaum noch vertreten, doch selbst diejenigen, die die Opfer des Kommunismus als Gegenargument anführen, gehen niemals so weit, der Sowjetunion den Charakter einer „Befreiernation“ und die politische und moralische Berechtigung abzusprechen, sich ihre Besatzungszone als Beute einzuverleiben. Schließlich habe Deutschland die Ursache für Krieg, Niederlage und Teilung selber gesetzt. Auf diesem Umweg erhält die DDR doch noch eine geschichtliche und moralische Legitimität, die sich bis heute für die PDS zinsbringend auswirkt. Aus dieser Konstellation ergibt sich auch die Aufforderung an die SED-Opfer, ihre Klagen auf Zimmerlautstärke zu drosseln, weil sie sich mit den NS-Opfern nicht vergleichen dürften. Zu diesem monokausalen Geschichtskonstrukt paßt schlecht, daß der Ständige Vertreter und spätere Hohe Kommissar der Sowjetunion in Ost-Berlin, Wladimir S. Semjonow, der 1940 an der Gleichschaltung Litauens gearbeitet hatte, danach an der sowjetischen Botschaft in Berlin tätig war, wo er Pläne zur Sowjetisierung Deutschlands wälzte, lange vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. In seinen Memoiren heißt es über seinen späteren Einsatz in der SBZ/ DDR: „Nun schlug die Stunde, da ich meine Gedanken aus den fernen Vorkriegsjahren in praktische Schritte umsetzen mußte.“ Die DDR war eine faule Frucht der totalen Niederlage, die Deutschland im Zuge machtpolitischer Kalkulationen und Entwicklungen von globalem Ausmaß erlitt. Eine einseitig moralisierende Geschichtsschreibung hat zur Verbreitung der ungemein irrigen These geführt, Deutschand sei zwischen 1900 und 1945 der weltgeschichtliche Allesbeweger und -verursacher gewesen. Das Zitat des sowjetischen Statthalters zeigt, daß es in starkem Maße Zielobjekt war. Objekte waren bis zu einem bestimmten Grade sogar die Satrapen der SED-Führung, die von den Sowjets eingesetzt worden waren. Ihre Verantwortung für Unrecht schmälert das nicht. Erich Honecker, der sich, solange alles gut für ihn stand, mit seiner Kommandofunktion beim Mauerbau brüstete, hatte aber auf verquere Weise recht, als er 1992 in seiner Verteidigungsrede vor dem Berliner Landgericht sagte, man könne nicht die „weltgeschichtlichen Zusammenhänge“ der Mauer ignorieren. „Die Ursachen und Bedingungen werden unterschlagen, die Kette der historischen Ereignisse wird willkürlich zerrissen.“ Um die DDR in einen „europäischen und globalen Kontext“ zu stellen, muß diese Kette frei von politischen Rücksichtnahmen neu und mehrsträngig geknüpft werden. Nebenbei würde die Tätervolk-Ideologie damit ad absurdum geführt, die Deutsche, wenn überhaupt, nur als Opfer minderen Rechts duldet. Das aber würde bedeuten, auch am westlichen Mythenfundament zu kratzen, auf dem das Selbstverständnis des wiedervereinten Deutschland beruht. Denn die Trivialisierung und Verharmlosung der DDR sind darin unauslösbar eingelassen. Doch ehe das passiert, schließen sich zu seiner Verteidigung die CSU und die PDS zu einer „Volksfront wider die Verharmloser des Dritten Reiches“ zusammen. Was kann da ein Geschichtsverbund „Aufarbeitung DDR-Diktatur“ schon bewirken, falls er das überhaupt will?

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