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Unbeliebter Frontstaat

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Unsere gemeinsame Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der freien Welt bildet auch den Hintergrund für eine fruchtbare Entwicklung unserer zweiseitigen Beziehungen.“ Diese Worte Bundeskanzler Konrad Adenauers aus dem Jahr 1954 brachten die deutsch-türkischen Beziehungen für die Nachkriegszeit auf den Punkt. Die beiden Nato-„Frontstaaten“ saßen im selben Boot und ergänzten einander prächtig. Getragen von der auf beiden Seiten gepflegten „Preisung“ der alten „Waffenbrüderschaft“ hatte sich über die Jahrzehnte eine spezielle deutsch-türkische Erbfreundschaft entwickelt, die für die deutsche Außenpolitik eine Ausnahme bildet. Zwar haben sich die Zeiten gewandelt, und die Bezugnahme auf die „Waffenbrüderschaft“ endete deutscherseits in den achtziger Jahren. Doch die enge bilaterale Bande hielt vielen Stürmen stand und feierte gerade in den letzten Jahren fröhliche Urständ. Vor allem in der Rolle Deutschlands als Anwalt oder Fürsprecher türkischer EU-Interessen kam sie zum Tragen. Was mit der zunehmenden militärischen Kooperation (Militärmissionen, Waffenlieferungen) in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann, gipfelte in der Zusammenarbeit im Ersten Weltkrieg. Parallel dazu verstärkte sich im gleichen Zeitraum die wirtschaftliche Zusammenarbeit (Bagdadbahn) und damit einhergehend der kulturelle Austausch, so daß das oft gesprochene Wort von der deutsch-türkischen Freundschaft mehr als nur eine diplomatische Floskel war. Ein Bericht des Auswärtigen Amtes feierte 1954 den Umstand, daß die traditionelle deutsch-türkische Freundschaft auch den Zweiten Weltkrieg „ohne sichtlichen Stoß“ überdauert hatte. Auch pries man die „herzlichen Beziehungen“, die die bilaterale Schicksals- und Interessengemeinschaft kennzeichneten. Eine logische Konsequenz der Nato-Mitgliedschaft Und so nahm es nicht wunder, daß die damalige Bundesregierung den türkischen Freunden zusicherte: „Ihr moralischer Anspruch auf Förderung im Rahmen der westlichen Zusammenarbeit wird deutscherseits immer Zustimmung finden. Wer wüßte nicht, daß jede politische Erschütterung am Bosporus augenblicklich an der Elbe spürbar wird – und umgekehrt.“ Seit Mitte der fünfziger Jahre wurde Westdeutschland mehr und mehr zum „Unterstützer“, „Sachwalter“ und „Anwalt“ türkischer Interessen, so daß die deutsche Fürsprache hinsichtlich einer engeren Einbindung der Türkei an die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nur folgerichtig war. Die deutsche Botschaft in Ankara ließ in einem Schreiben an das Auswärtige Amt verlauten, daß die Türkei, auch wenn sie geographisch zum größten Teil in Asien liege, in „politischer, wirtschaftlicher und völkerrechtlicher Hinsicht ein europäisches Land“ sei. Vier Jahre nach Einreichung des türkischen Antrags auf die EWG-Assoziation (31. Juli 1959) wurde dann am 12. September 1963 – als logische Konsequenz der Nato-Mitgliedschaft der Türkei – der Assoziationsvertrag zwischen EWG und Türkei in Ankara unterzeichnet. Die Regierung Adenauer zeigte sich zufrieden, und Außenminister Gerhard Schröder (CDU) erklärte: „Wir haben die Überzeugung, daß nach der Vorbereitungs- und Übergangszeit der Lebensstandard in der Türkei sich beträchtlich gehoben haben wird, daß ihre Wirtschaft weiter Fortschritte macht, so daß es ihr in der vorgesehenen Zeit möglich sein wird, zu einem vollen Mitglied der EWG heranzuwachsen.“ In Anbetracht des Wirtschaftswunders schienen die Zeiten rosig, und so begrüßte man in Bonn ebenso die im sogenannten Ankara-Abkommen in Aussicht gestellte Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer. Den ersten Schritt hatte Bonn bereits am 31. Oktober 1961 mit dem Abschluß des Abkommens zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte getan. Artikel 12 des Assoziationsabkommens stellte nun klar, daß sich die Partner in Übereinstimmung mit den Artikeln 48ff. des EG-Gründungsvertrages „leiten lassen“ wollten, um „untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen“. Am 23. November 1970 wurde daraufhin ein Zusatzprotokoll unterzeichnet, welches ab Januar 1973 in Kraft trat. Demnach sollte die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit zwischen 1976 und 1988 vollzogen werden. Doch die Zeiten hatten sich bis Januar 1973 schon geändert. „Euro-Überschwang und Wachstumsfanatismus“, so der ehemalige Botschafter in der Türkei Gustav Adolf Sonnenhol, gerieten angesichts der Weltwirtschaftskrise und einer Millionen Türken, die in der Bundesrepublik lebten, in den Hintergrund. Der Ruf nach Freizügigkeit verkehrte sich ins Gegenteil, und die deutsche Anwalts- und Fürsprecherrolle gegenüber der Türkei in Fragen der EG geriet in Erklärungsnot. Denn statt der bis dato propagierten Sichtweise, die Assoziation als Element zur Stützung des türkischen Entwicklungsprozesses zu betrachten, sah Helmut Schmidts Regierung die Assoziation seit Beginn der siebziger Jahre in erster Linie unter der Prämisse der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung und Arbeitsmarktsituation und kämpfte entsprechend für einen Aufschub oder am besten gleich die Revision der vertraglich vereinbarten Freizügigkeit für türkische Arbeitskräfte. Der Putsch der türkischen Militärs am 12. September 1980 und das damit einhergehende „Einfrieren“ der Assoziation zwischen EG und Türkei verschafften der sozial-liberalen Regierung jedoch zunächst einmal eine Verschnaufpause (siehe JF 41/04). Türkei/Europa ja! Freizügigkeit nein! – hieß dann aber auch für die neue Regierung Kohl/Genscher die schwer auszubalancierende Devise. Und so erklärte FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1984 die Verhinderung der Herstellung der Freizügigkeit zum „vorrangigen Ziel“ der christlich-liberalen Regierung. Genscher warnte vor einer „Massenzuwanderung“, die nicht allein zu schweren Problemen für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität der Bundesrepublik führen, sondern sowohl den zuwandernden Türken eine Zukunft in sozialer Not und Verzweiflung bieten als auch die Lage der bereits in Deutschland lebenden Türken drastisch verschlechtern würde. Genscher warnte 1984 vor einer „Massenzuwanderung“ Nachdem die Regierung Schmidt bis dato also darauf verwiesen hatte, daß es sich bei dem Assoziationsvertrag um einen Vertrag der EG handele, ergo die alleinige Zuständigkeit in Brüssel liege, wurde die Kohl-Regierung zwischen 1982 und 1986 auch auf bilateraler Ebene aktiv. Doch die unterschiedlichsten Lösungsansätze führten zu keinem Ergebnis. Weder ein Entgegenkommen in der Ausländerpolitik (Besserstellung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse türkischer Arbeitnehmer; Hilfsprogramme bei der Re-Integration Rückkehrwilliger) noch eine Erhöhung der Finanz- und Militärhilfe (Rüstungssonderhilfe um die 300 Millionen Euro im Jahr 1986) sollte eine Veränderung der türkischen Haltung hervorrufen. Ankara bestand auf seinen verbrieften Rechten. Denn es stand außer Zweifel, daß eine endgültige Regelung der Freizügigkeitsfrage allein auf dem Wege von Verhandlungen zwischen der EG und der Türkei gefunden mußte. Ende November 1986 verabschiedeten die zwölf Außenminister nach mitunter schwierigen Verhandlungen, bei denen Bonn mit harten Bandagen gekämpft hatte, ein Angebot-Paket, das der Türkei unterbreitet wurde. Bonn wertete die Einigung als Erfolg. Denn zusammengefaßt sah der Vorschlag vor, den Neuzuzug von Türken in die EG-Staaten so restriktiv zu regeln, daß türkische Arbeitnehmer praktisch nur in Ausnahmefällen Aufnahme finden konnten. Nach Angaben des deutschen EG-Botschafters hatte die deutsche Seite die EG-Partner „erheblich strapaziert“. Die Türkei wahrte ihren Rechtsstandpunkt, war aber dahingehend realistisch, das die erhoffte Freizügigkeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurde. Statt dessen reichte Ankara am 14. April 1987 seinen EG-Beitrittsantrag ein und setzte dabei, trotz oder gerade wegen aller Unbill in der Freizügigkeitsfrage, voll auf die Unterstützung Bonns. Denn die Regierung Kohl hatte nie Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie die Bemühungen um Aktivierung und Ausbau des Verhältnisses zwischen der Gemeinschaft und der Türkei, das infolge der türkischen Zypern-, Kurden- und Menschenrechtspolitik oftmals am Abgrund stand, als „wichtiges politisches Anliegen nach Kräften fördern“ wolle. Das EG-Beitrittsersuchen der Türken erntete in Regierungskreisen allerdings reine Verwunderung. Hatte man dem türkischen Freund doch immer wieder mit deutlichen Worten bedeutet, daß ein Beitritt zur EG mittelfristig nicht „aktuell“ und demzufolge „unrealistisch“ sei. „Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen europäischen Perspektive“ sei „Geduld und Augenmaß“ gefragt, betonte dann auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seinem Türkei-Besuch im Mai 1986. Eine brüske Zurückweisung wurde unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit vermieden. Statt dessen erklärte Bonn, daß noch längst nicht alle Möglichkeiten des Assoziationsabkommens ausgeschöpft seien, und plädierte für den Abschluß einer Zollunion zwischen EG und Türkei. Mitte 1989 wurde der türkische Aufnahmeantrag abgelehnt. In Anlehnung an die deutsche Position ließ die EG-Kommission verlauten, daß die Gemeinschaft der Türkei ein umfassendes Angebot zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des Assoziationsabkommens unterbreiten würde. Beitrittsantrag löste in Bonn Verwunderung aus Im Anschluß daran forcierte die Bundesregierung ihre Bemühungen um das Zustandekommen der Zollunion, obwohl ihr das Vorgehen der türkischen Armee gegen die Kurden im Nordirak sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene das Leben mehr als schwer machte. Doch unter vielfältigen Hinweisen hinsichtlich drohender Konsequenzen (Abkehr der Türkei von Europa und der Nato; Stärkung nationalistischer und islamisch-fundamentalistischer Tendenzen) focht sie für die Türkei und hatte Erfolg. Am 13. Dezember 1995 billigte das Europäische Parlament nach langwierigen Verhandlungen das Abkommen über die Zollunion mit der Türkei. Die Regierung Kohl zeigte sich zufrieden, lehnte sich erst einmal zurück und blickte Richtung EU-Osterweiterung. Parallel dazu wiederholte Außenminister Klaus Kinkel (FDP) immer wieder sein Standardrepertoire, indem er der türkischen Führung auf der einen Seite versicherte, daß die Bundesregierung weiter darum bemüht sei, die „zu Europa gehörende“ Türkei institutionell an die EU heranzuführen. Auf der anderen Seite machte der deutsche Außenminister jedoch keinen Hehl aus der Tatsache, daß auf dem Weg der Türkei nach Europa „noch Steine“ – nämlich das angespannte Verhältnis zu Griechenland sowie Demokratiedefizite und die türkische Menschenrechts- und Minderheitenpolitik – ausgeräumt werden müßten. Die genannten „Steine“ sah die rot-grüne Bundesregierung dann kurz nach der gewonnenen Bundestagswahl im Jahr 1998 beseitigt. Außenminister Joseph Fischer (Grüne) erklärte, die EU sei keine Religionsgemeinschaft, und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bescheinigte der Türkei, nunmehr ein geachtetes Mitglied der Staatengemeinschaft geworden zu sein. Im Juli 1999 bekräftigte Fischer nochmals den Willen Deutschlands, sich in der EU für eine formelle Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat einzusetzen. Was dann – der traditionellen deutschen Fürsprecherrolle für die Türkei entsprechend – auch im Dezember 1999 mit dem Beschluß von Helsinki gelang: Die Türkei erhielt den Kandidatenstatus. Foto: Jubelnde Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP am 18. Dezember 2004 auf dem Flughafen von Istanbul bei der Rückkehr von Premier Recep Tayyip Erdogan aus Brüssel: Arbeitnehmerfreizügigkeit würde gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität bedrohen Stichwort: Türkei – die schleichende Re-Islamisierung Die heutige Türkei entstand 1923 aus den Trümmern des Osmanischen Reiches. Der erste Staatspräsident Mustafa Kemal (Atatürk) versuchte bis zu seinem Tod 1938 mit oft autoritären Mitteln, eine Modernisierung und Europäisierung der Türkei durchzusetzen. 1945 war das Land Gründungsmitglied der Uno, 1949 erfolgte der Beitritt zum Europarat, 1952 der Nato-Beitritt. 1950 verliert die von Atatürk gegründete linksnational-laizistische Volkspartei (CHP) ihre Macht an die konservative Demokratische Partei – die schleichende Re-Islamisierung beginnt. 1970 gründet der spätere Premier Necmettin Erbakan die erste Partei der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung (MNP), eine Vorläuferpartei von Erdogans AKP.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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