Die Besetzung des Reichsgebiets, die parallel zum Einmarsch der Alliierten im Herbst 1944 begonnen hatte, endete erst Anfang Juni 1945. Vor der Kapitulation der Wehrmacht drohte jedem Deutschen, der beim Nahen amerikanischer, kanadischer, britischer, französischer oder sowjetischer Truppen weiße Fahnen hißte, die sofortige Exekution. Zu den letzten Maßnahmen Hitlers hatte eine entsprechende Weisung gehört. Es wurden fliegende Standgerichte organisiert, die jeden mit dem Tode bestraften, der sich den Aufgeboten entzog oder die Übergabe einer Ortschaft plante; es gab keine Möglichkeit der Verteidigung oder der Revision. Als die US-Armee am 27. April Landsberg am Lech erreichte, fand sie entlang der Straße an Bäumen und Laternen Gehenkte jeden Alters, Männer und Frauen. Der Grund war, daß die Zivilbevölkerung beim Abzug der hier stationierten Wehrmachtseinheit geglaubt hatte, daß der Krieg zu Ende sei, aber die verbliebenen Soldaten der Waffen-SS, die den Kampf fortsetzen wollten, rissen die weißen Tücher herab und töteten die Einwohner der Häuser, an denen sie angebracht gewesen waren. Ging bei vielen in den letzten Tagen und Wochen des Krieges die Angst um, in allerletzter Stunde für eine Sache zu sterben, die längst verloren war, so brachte doch die Besetzung durch die alliierten Truppen keineswegs das Ende der Gefahren für Leib und Leben. Die Okkupation wurde von allen Übeln begleitet, die zu den Kennzeichen einer Eroberung gehören: Plünderung, Vergewaltigung, willkürliche Tötung, Brandschatzung. Zwar hat sich das Bild des freundlichen GI im Jeep, der einem deutschen Kind Kaugummi reicht, im Kollektivbewußtsein tief eingeprägt und steht wie ein Symbol für Kriegsende und Neuanfang, aber das Bild ist nur ein Teil, wahrscheinlich ein kleiner Teil der Wahrheit. Die Begegnung mit den Siegern verlief selten so freundlich. Noch 1985 äußerten sich 67 Prozent (75 Prozent der Frauen) der Befragten, die nach 1933 geboren waren, negativ über das Verhalten der sowjetischen Truppen, 44 Prozent negativ über die französischen, 20 Prozent negativ über die amerikanischen und 14 Prozent negativ über die britischen Soldaten. Die relativ wohlwollende Beurteilung der amerikanischen und der britischen Armee erklärt sich daraus, daß ihre Truppen im allgemeinen die Regeln des Kriegsvölkerrechts einhielten. Den Briten kam außerdem eine bestimmte soldatische Überlieferung zugute und eine relativ klare Vorstellung von jener Linie, die Krieg und Nichtkrieg scheidet. Ihre Führung verbot zwar wie die amerikanische das „Fraternisieren“, lehnte aber von vornherein die Bestra-fungspolitik ab, die Eisenhower als Oberkommandierender der US-Armee gegen die Deutschen durchsetzen wollte. In seiner ersten Proklamation an die Deutschen hatte Eisenhower ausdrücklich darauf hingewiesen, daß man als „siegreiches Heer“, wenngleich nicht als „Unterdrücker“ komme. Noch deutlicher waren die Aussagen in der Direktive JCS 1067 des amerikanischen Generalstabs (Joint Chiefs of Staff = JCS) vom April 1945, die allerdings bis zum September geheimgehalten wurde: „4. Grundlegende Ziele der Militärregierung in Deutschland: a) Es muß den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben. b) Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat. Ihr Ziel ist nicht die Unterdrückung, sondern die Besetzung Deutschlands, um gewisse wichtige alliierte Absichten zu verwirklichen. Bei der Durchsetzung und Verwaltung müssen Sie gerecht, aber fest und unnahbar sein. Die Verbrüderung mit deutschen Beamten und der Bevölkerung werden Sie streng unterbinden. c) Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden. …“ Die Direktive atmete in vielem den Geist des Morgenthauplans, nicht nur, was die Vorbereitung umfassender Reparationen und Demontagen anging, sondern auch, was die Behauptung einer Kollektivschuld aller Deutschen und den Hinweis betraf, daß die Versorgung der Bevölkerung nur insoweit sicherzustellen sei, als Hungerrevolten die alliierten Truppen gefährden könnten. Bei Widerstand mußte überhaupt mit scharfen Repressalien gerechnet werden, etwa Geiselerschießungen, die nicht nur angedroht, sondern auch vollzogen wurden. Bei der Besetzung des Harzgebietes kündigten die Amerikaner Sühneexekutionen im Verhältnis zweihundert zu eins an, in dem kleinen Ort Treseburg wurden immerhin acht Kriegsgefangene erschossen, nachdem ein US-Offizier getötet worden war. Dabei handelte es sich um eine kriegsbedingte Repressalie. Davon zu unterscheiden waren die Übergriffe, die gegen das Kriegsrecht verstießen, vor allem Plünderungen und Vergewaltigungen. Im allgemeinen begnügten sich die amerikanischen und englischen Soldaten mit Uhren und Orden, aber in den ersten Wochen gab es auch Formen organisierten Raubes, an denen ganze Einheiten beteiligt waren, die mit Pelzen, Schmuck, Kunstgegenständen, Edelmetall und antiken Möbeln die Schwarzen Märkte von Brüssel und Paris belieferten; ein Raub wie der des Quedlinburger Domschatzes durch amerikanische GIs oder die Dreistigkeit, mit der der britische Luftmarschall Sir Sholto Douglas ganze Schlösser plündern und die Beute per Flugzeug abtransportieren ließ, bildeten indes Ausnahmen. Dasselbe läßt sich nicht über die Vergewaltigungen durch amerikanische Soldaten sagen. Es gibt eine neuere Untersuchung dieses Zusammenhangs durch Robert J. Lilly, einen Krimino-logen der Universität Kentucky, der zufolge schon bei der Bereitstellung von US-Truppen in Großbritannien und dann in Frankreich – also in Freundesland – gehäuft Klagen über Notzucht durch amerikanische Soldaten geführt wurden. Zwar seien von der amerikanischen Militärgerichtsbarkeit nur 854 Fälle statistisch erfaßt, aber die Dunkelziffer müsse als extrem hoch betrachtet werden. Lilly nimmt bis zu 18.000 Vergewaltigungen an, für die GIs verantwortlich waren, davon sechzig Prozent auf deutschem Boden verübt, häufig unter außerordentlich brutalen Umständen. Vergleichbares ist von britischen Truppen nie behauptet worden. Dagegen hat sich im Rheinland und im deutschen Südwesten bis heute die Erinnerung an die zahlreichen Vergewaltigungen durch Einheiten der französischen Armee, bevorzugt Kolonialtruppen oder Fremdenlegion, erhalten. In der kleinen Ortschaft Gomaringen, Kreis Reutlingen, die drei Tage lang vor allem von marokkanischen Verbänden besetzt gewesen war, meldeten sich nach dem Abzug 75 Mädchen und Frauen zwischen 14 und über 60 Jahren bei einer Ärztin zur „Sanierung“. In Freudenstadt wurden sogar 500 Vergewaltigungen registriert , aber diese Zahl bezeichnet sicher nicht die Gesamtzahl, da sich viele Betroffene schämten und auch im Fall einer Schwangerschaft keinen Arzt aufsuchten. Verallgemeinerungen sind aufgrund der unzureichenden Daten kaum möglich. Zur Rechtfertigung ihrer Untaten haben französische Soldaten immer wieder behauptet, man vergelte nur, was die Deutschen Frankreich angetan hätten. Das Verhalten ihrer Vorgesetzten war sehr unterschiedlich. In Freudenstadt sollen den Soldaten nach der Eroberung drei „Freinächte“ zugestanden worden sein, in anderen Fällen wurde Vergewaltigung mit sofortiger Exekution der Täter bestraft. Insgesamt haben die Schändungen aber ein solches Ausmaß angenommen, daß der Erzbischof von Freiburg schließlich einen Hirtenbrief von den Kanzeln verlesen ließ, in dem er um Schonung der deutschen Frauen und Mädchen bat. Das Verhalten der französischen unterschied sich auch sonst unrühmlich von dem der übrigen westlichen Armeen. Hier war die Anzahl der Repressalien wie Geiselerschießungen besonders groß und das Auftreten bei der Einnahme von Städten und Ortschaften ausgesprochen undiszipliniert. Häufig war zwischen Requisitionen und systematischem Raub kaum ein Unterschied zu erkennen. Noch als im Juni 1945 Stuttgart für die nachrückenden Amerikaner geräumt werden mußte, plünderten die Franzosen in der vom Luftkrieg stark zerstörten Stadt öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser, aber auch private Unternehmen, aus denen Maschinen und Rohstoffe entfernt wurden; am 22. Juni erging die schikanöse Anordnung, daß jede deutsche Familie einen Herrenanzug, ein Hemd mit Kragen, eine Unterhose, zwei Taschentücher, ein Paar Socken, eine Krawatte sowie ein Paar Schuhe abzuliefern habe. In einem Fall kam es beim Vorstoß der Franzosen sogar zu regelrechter Brandschatzung. Obwohl das schwäbische Freudenstadt mit Verwundeten überfüllt war und obwohl der Kommandant der deutschen Truppen in der Umgebung, General von Alberti, vorschriftswidrig einen offenen Funkspruch absetzen ließ, in dem die französische Seite darauf hingewiesen wurde, daß der Ort von Kampfverbänden geräumt sei, begannen am 15. April 1945 Bombardierung und Beschießung. Dabei kamen auch Brandgranaten zum Einsatz, so daß die mittelalterliche Innenstadt rasch in Flammen stand, verbliebene Gebäude wurden nach der Besetzung niedergebrannt. Derartige Kriegsgreuel, von denen man geglaubt hatte, daß sie seit dem 17. Jahrhundert vom europäischen Schlachtfeld verschwunden seien, sind sonst nur aus dem sowjetischen Machtbereich bekannt. Zumindest von Prenzlau und Demmin weiß man, daß sie von der Roten Armee gebrandschatzt wurden. Der Fall Demmins ist deshalb so dramatisch, weil die Zerstörung der Stadt offensichtlich aus reinem Mutwillen geschah, nachdem sie die Rote Armee besetzt hatte und am 1. Mai eine Maifeier improvisieren wollte, die dann in einer Orgie der Vernichtung gipfelte. Eine mordgierige Soldateska durchstreifte die Häuser, tötete Kinder, Frauen und Männer jeden Alters und vergewaltigte ohne Hemmung. Die Verzweiflung der Menschen war so groß, daß mit 700 bis 1.000 Selbstmorden gerechnet wird. Viele erhängten sich oder nahmen Gift, vergewaltigte Frauen stürzten sich mit ihren Kindern in die Peene und ertranken. Drei Tage lang brannte die Altstadt, erst dann erlaubte der Ortskommandant zu löschen und Massengräber für die Opfer anzulegen. Wenn als Ursache für derartige Ausschreitungen immer wieder das Rachebedürfnis der sowjetischen Soldaten angesichts der deutschen Untaten in ihrem Heimatland genannt wird, so bleibt dabei doch außer acht, daß es seit dem Herbst 1944 eine systematische Aufhetzung der Rotarmisten gegeben hatte. Verantwortlich dafür war vor allem der Schriftsteller Ilja Ehrenburg, der im Dienste der sowjetischen Propaganda Reden, Aufsätze und vor allem Flugblätter verfaßte, in denen zur Zerstörung Deutschlands, der Ausrottung der Deutschen und ausdrücklich zur Vergewaltigung der deutschen Frauen aufgerufen wurde. Der russische Schriftsteller Lew Kopelew, der 1945 als Offizier in der Roten Armee diente und an der Besetzung Deutschlands teilnahm, hat in seinen Lebenserinnerungen geschrieben: „Wir alle – Generäle und Offiziere – verhalten uns nach Ehrenburgs Rezept. Welche Rache lehren wir: Deutsche Weiber aufs Kreuz legen, Koffer, Klamotten wegschleppen … Begreif doch: In ein, zwei Monaten treffen wir mit den Engländern und Amerikanern zusammen. Die Deutschen fliehen vor uns zu ihnen. Und stell dir vor, was wird später aus unseren Soldaten, die zu Dutzenden über eine Frau herfielen? Die Schulmädchen vergewaltigten, alte Frauen ermordeten? Sie kommen zurück in unsere Städte zu unseren Mädchen. Das ist schlimmer als jede Schande.“ Die Schande hat Kopelew und ähnlich ein anderer sowjetischer Offizier, Alexander Solschenizyn, gespürt, und beide haben für ihre Kritik mit Verurteilung, Deportation und Zwangsarbeit bezahlt. Ansonsten fand sich kaum jemand, der wenigstens Mitleid zeigte, eher lapidar heißt es im Brief einer Rotarmistin aus Ostpreußen: „Von den Deutschen sind nur noch Greise und Kinder da, junge Frauen wenig, und auch die werden totgeschlagen. Überhaupt, was hier geschieht, das läßt sich weder sagen noch beschreiben …“ . Wie groß die Zahl der Ziviltoten infolge der Besetzung im sowjetischen Machtbereich war, ist nicht mehr festzustellen. Im Hinblick auf die Vergewaltigungen geht man von etwa 1,4 Millionen Fällen in den Vertreibungsgebieten, 500.000 in der Sowjetischen Besatzungszone und 100.000 im Bereich Groß-Berlin aus; etwa 200.000 der vergewaltigten Frauen überlebten nicht. Trotz des Bündnisses mit Stalin gab es auf seiten der Westmächte hohe Offiziere, die in der sowjetischen Armee keine Armee im europäischen Sinn sahen, sondern eher eine bewaffnete Bande, die den „barbarischen Horden des Dschingis Khan“ glich. Nachdem die sowjetischen Truppen die Reichsgrenze überschritten hatten und die Zivilbevölkerung vor ihnen zu fliehen begann, schlossen sich viele kriegsgefangene Briten, Franzosen, Polen und Russen den Trecks an. In einigen Fällen führten sie sogar die Züge, da sonst keine Männer zur Verfügung standen. Ein besonders seltsames Beispiel für die Verkehrung der Fronten bot eine Gruppe von 32 englischen Offizieren, die in einem kleinen Lager in Ostpreußen untergebracht gewesen war und von der Roten Armee befreit wurde. Angesichts der Perspektive, mit unbekanntem Ziel abtransportiert zu werden, zogen sie es vor, zu verschwinden und sich zu den deutschen Linien durchzuschlagen. Sie erschienen mit Parlamentär und weißer Fahne bei Offizieren des 35. Panzerregiments und baten um Mitnahme, nötigenfalls wären sie auch bereit, auf deutscher Seite gegen die Sowjets zu kämpfen. In den vier Wochen zwischen der Kapitulation und der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, mit der die Alliierten die Regierungsgewalt in Deutschland offiziell übernahmen, herrschte eine chaotische Übergangssituation. Ganze Regionen waren ohne Kontrolle durch deutsche oder alliierte Stellen. Es bestand in jeder Hinsicht Unklarheit über die weitere Entwicklung. Die Besatzungsmächte beschlagnahmten, requirierten, quartierten ein, setzten gefangen, internierten, und im Osten nahmen Vertreibung, Verschleppung, Folterung und Mord ihren Fortgang. Eine Befreiung war die Besetzung nur für die Häftlinge der Konzentrationslager, die Zwangsarbeiter und die meisten Kriegsgefangenen im deutschen Gewahrsam. Schon in den beiden letzten Kategorien wird man aber Ausnahmen machen müssen: Groß war die Zahl der Deportierten aus dem Osten, die keinesfalls in ihr Heimatland unter sowjetischer Kontrolle zurückkehren wollten, groß auch die Zahl der Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft, die wußten, daß nach ihrer „Repatriierung“ – die Stalin sich ausdrücklich hatte zusichern lassen – Jahre der Zwangsarbeit oder sogar der Tod auf sie warteten. Wenn es 1945 eine „Stunde Null“ gegeben hat, dann waren es die Tage der Besetzung. Der Begriff selbst soll schon unmittelbar nach dem Zusammenbruch in Umlauf gekommen sein. Dem ursprünglichen Sinn nach bedeutet er soviel wie Todesstunde, aber eher wurde davon gesprochen im Sinn von Tiefpunkt, nachdem alles verloren war und so oder so etwas Neues beginnen mußte. Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat an einem Gymnasium in Göttingen. Bei seinem Text handelt es sich um einen genehmigten Abdruck aus dem Buch „Die Besiegten – Die Deutschen in der Stunde des Zusammenbruchs 1945“, das soeben in der Edition Antaios, Schnellroda, erschienen ist.
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