Recht, so hat einst Gustav Radbruch verlangt, muß auf Wahrheit beruhen. Zur Wahrheit und zum Herstellen von Recht gehört, daß nicht nur Deutsche schwere Verbrechen an Polen, Russen und Tschechen begangen haben, sondern auch Polen, Russen und Tschechen an Deutschen – gleich, ob an Unschuldigen oder Schuldigen. Das auszusprechen, bedeutet nicht, deutsche Verbrechen der NS-Zeit zu relativieren und Schuld gegeneinander aufzurechnen, sondern, daß allen Opfern jeder Nationalität historische Wahrheit und Recht geschuldet werden. Gehört wird das nicht gern, besonders nicht im „politisch korrekten“ Deutschland. Wer aber nicht wahrhaben will, daß Wahrheit und Recht für alle gelten müssen, darf sich nicht wundern, daß es inzwischen eine Preußische Treuhand gibt, die für deutsche Vertriebene Rechte gegenüber dem polnischen Staat geltend machen will – auf welchem verlorenen Posten sie auch immer stehen mag. Ebenso verständlich ist, daß sich als Gegenkraft eine Polnische Treuhand gebildet hat, die das inzwischen erworbene Heimatrecht der im einst deutschen Hinterpommern und Ostpreußen angesiedelten Polen verteidigen will. Dabei kann sie sich auch auf die „politisch Korrekten“ in Deutschland verlassen. Denn unversehens hat sich der Anwalt Matthias Druba geweigert, weiterhin für die Preußische Treuhand zu arbeiten. Er versichert zwar, es gebe keinen politischen Druck auf ihn, aber überzeugend klingt das nicht. Das, womit er seinen Rückzug erklärt („übergeordnete Gründe, enorme Emotionen, scharfe polnische Reaktionen“), lag auf der Hand. Nun weicht er zurück. Lichtblicke sind, daß Kroatien den nach Österreich vertriebenen Donauschwaben ihr Eigentum zurückgeben will und daß die tschechische Regierung als Versöhnungsgeste zumindest jene Sudetendeutschen symbolisch gewürdigt hat, die aktive NS-Gegner waren, aber durch die berüchtigten Dekrete von Präsident Edvard Benes ebenso brutal vertrieben worden sind wie alle übrigen Sudetendeutschen. Diesen übrigen kollektiv Vertriebenen allerdings, der Mehrheit, wird die Geste nicht zuteil; sie bleiben mit pauschalem Schuldvorwurf rechtswidrig belastet. Schon zuvor, im Juli, hatte die tschechische Stadt Ústí nad Labem (Aussig) – trotz starker Widerstände tschechischer Politiker – mit einer Gedenktafel an das Massaker erinnert, das Tschechen im August 1945 an ihren sudetendeutschen Mitbürgern verübt haben. Dies sei man den Ermordeten schuldig. Hoffnung macht auch das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts vom August. Am Beispielfall eines Adligen beendet es die Praxis der Behörden und Gerichte, Menschen als Nazis und Kollaborateure zu verleumden, sich damit auf die Benes-Dekrete zu berufen und den Erben die Eigentumsrückgabe zu verweigern. Damit erfüllt es, was Kant verlangt: „Alle Politik muß ihre Knie vor dem Recht beugen.“ Doch sind noch viele Kniebeugen nötig, um allen politisch Verfolgten und Vertriebenen zu Wahrheit und Recht zu verhelfen – in Deutschland leider ebenfalls. Was nicht auch durch Recht geregelt ist, sondern nur durch Gesetz, kommt immer wieder auf den Tisch.
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